6646728-1958_28_09.jpg
Digital In Arbeit

Wir werden alle verzaubert

Werbung
Werbung
Werbung

Werben, das hieß noch vor wenigen Jahren: den Käufer überzeugen. Auch heute noch hat ein großer Teil der Reklame den Zweck, den erhofften Käufer von der Güte der angebotenen Ware und davon zu überzeugen, daß er sie überhaupt braucht. Schreiende Farben, fette Schlagzeilen sollen seine Aufmerksamkeit erregen — hat man ihn erst zum Zuhören gebracht, wird er mit den Mitteln der Vernunft angesprochen.

Neben dieser Art von Werbung macht sich seit einigen Jahren, vor allem in den USA, eine neue breit: Reklame mit den Mitteln der Tiefenpsychologie. Immer mehr Psychologen vertauschten in den letzten Jahren ihre Berufung zum Arzt oder Forscher mit dem einträglicheren Beruf eines Werbemanagers. Tausende von „Tiefenheinis“, so nennt man die Tiefenpsychologen in den USA gerne, haben die amerikanische Werbung bis auf den Grund umgekrempelt. Ihre Tätigkeit spielt sich jedoch hinter fest Verschlossenen Türen ab, sie lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Kein Wunder — auch im Wahlkampf ist es üblich geworden, psychologische Manipulationen an die Stelle der klaren, an die Vernunft gerichteten Argumente zu setzen.

Zunächst konnten sich in Europa unter „unterbewußtem Reklamemachen“ nur die wenigsten etwas vorstellen, aber dann erschien das Buch „The hidden persuaders“ (Die geheimen Verführer) von Vance Packard, einem amerikanischen Journalisten, und dieses Buch brachte gründliche Aufklärung. (Es ist mittlerweile im Econ-Verlag in Stuttgart auch in deutscher Sprache erschienen.) Außerdem hat ein in Deutschland gehaltener Vortrag von Doktor Ernest Dichter, von dem wir noch hören werden, das „unterbewußte Reklamemachen“ in das Bewußtsein der Oeffentlichkeit gerufen. Von einer norddeutschen Hafenstadt aus läßt ein „Institut für Motivforschung“ hübsche Interviewerinnen mit wissenschaftlichen Tcstfragen auf das Publikum los. Der Zweck dieses Tests ist aber kein wissenschaftlicher, sondern im Gegenteil: Es geht darum, die Erkenntnisse der Wissenschaft, nämlich der Tiefenpsychologie, in der Praxis auszuwerten — in diesem Institut hauptsächlich zur Erhöhung des Tabakverbrauchs.

Die „Motivforschung“ ist der Zauberstab der geheimen Verführer. Sie erforscht, wie schon der Name sagt, die Motive, die zum Kauf führen. Kennt man diese Motive, dann kann man sozusagen „auf den Knopf drücken“ — und der Käufer kauft wie ein Automat. Es wird nämlich vorausgesetzt, daß meistens gar keine Vernunftsgründe über den Entschluß zum Kauf oder zum Verzicht entscheiden, sondern daß dibei der geheimnisvolle Mechanismus der menschlichen Seele die Hauptrolle spielt, dem man mit Vernunftgründen nicht kommen darf. Die Motivforscher sind davon überzeugt, daß es so ist — und man muß zugeben, daß sie mit ihren nicht immer sehr sympathischen Me'hoden erstaunliche Erfolge erzielen.

Einer d“r Väter der Motivforschung ist der schon erwähnte Dr. Ernest Dicht:-, der in Wien geboren wurde — ein Fanatiker der angewandten Psychologie. Es gibt Leute, die sagen: der mißbrauchten Psychologie. Er ermittelte zum Beispiel, daß die meisten Leute immer dann, wenn sie sich etwas zum Naschen kaufen, ein geheimes Schuldgefühl empfinden. Daher leisten sie sich Süßwaren nur bei besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel nach besonders schweren und unangenehmen Arbeiten. Es ist demnach auch kein Wunder, wenn die Qualitätswerbung der Süßwarenbranche, wenn etwa ihr an die kritische Vernunft gerichteter Appell „Sooo sahnig und mild...“, oft auf eine unüberwindliche Abwehrmauer stößt, sie sozusagen immer höher wird, je höher man die Anpreisungen und auch die tatsächliche Qualität hinaufgeschraubt. Man kann diese Mauer nicht überspringen, indem man paradiesische Gaumengenüsse in Aussicht stellt. Man muß es anders machen. Man muß dem erhofften Käufer sagen: „Du arbeitest hart..Du hast dir jetzt etwas Süßes verdient!“ Und man darf ihm \ ja nicht • mit besonderen Qualitätsanpreisungen kommen, sonst setzt man seinen, unterbewußten Abwehrmechanismus unversehens wieder in Gang. Dr. Ernest Dichter, der für eine halbtägige Beratung bis zu 12.000 Schilling fordert und bekommt, gab einer Süßwarenfirma ein paar kleine Ratschläge. Sie entfernte daraufhin die Plakate mit der Aufschrift ,;Sooo sahnig und mild...“ und ersetzte sie durch. solche, auf denen zu lesen stand: „Mach dir harte Arbeit leichter — du verdienst M & M-Candy!“ Der Absatz stieg in kürzester Zeit auf das D o p-p e 11 e C

Dr. Dichter weiß die Erklärung dafür: „Jedesmal, wenn Sie ein Genußmittel verkaufen, müssen Sie die Schuldgefühle des Käufers beschwichtigen und ihm die Absolution erteilen. Beim Konflikt zwischen Genuß und Schuld liegt die Hauptaufgabe des Werbungtreibenden, weniger darin, das Produkt anzupreisen, als die' moralische Erlaubnis zu einem Vergnügen ohne Schuld zu erteilen.“

2.

Die „Tiefenheinis“ kennen ihre Amerikaner gut. Sie bauen zum Beispiel prinzipiell keine Autotüren, die leise schließen, denn wenn die Autotür ins Schloß schlägt wie die eines Panzerschranks, gibt das ein herrlich sicheres Gefühl. Sie lizitieren ihre Preise nicht gegenseitig hinunter, sondern im Gegenteil: Wenn Ford ■einen 10.000-Dollar-Traumwagen baut, dann baut Cadillac einen für 12.500, den nicht einmal jeder haben kann. Und macht ein Bombengeschäft damit. Sie machen ihre Fernsehsendungen absichtlich nicht gut, damit sie nicht von der Hauptsache ablenken: von der Reklame. Sie dressieren schon die Kleinkinder zu Verbrauchsrekruten. Sie machen sie systematisch zu Verbündeten gegen die Geldbörsen der Eltern, zu richtigen Schleppern. Sie manipulieren mit geometrischen Symbolen, auf die der Mensch hineinfällt, ohne zu bemerken, daß sein Sexualsinn angesprochen wird. Sie richten ihre Selbstbedienungsläden bewußt so sein, daß die Frauen durch entsprechende Farbreize in einen tranceähnlichen Dämmerzustand geraten — und ihre Einkaufskörbchen mit den Produkten vollstopfen, die sie loswerden wollen. Sie manipulieren und verführen. Und alles durch die Hintertür, alles auf dem Umweg über das Unterbewußtsein.

Wohin man blickt: Manipulationen mit der Seele, mit dem Unbewußten. Traktoren werden so gestrichen, daß es aussieht, als läge das Hauptgewicht auf der Vorderachse, während es natürlich auf der hinteren liegt. Die Farmer sollen keine Angst haben, der Schlepper könnte auf einem steilen Hang nach hinten kippen und sie unter sich begrabe. Auch wenn diese Gefahr besteht... Ansichtskarten werden mit Monden, Ovalen, Kerzen und Kreisen beladen, und der Käufer weiß nicht, warum sie ihm gefallen, warum er mehr davon verschickt, er weiß nicht, daß man ihm Sexualsymbole aufdrängt. Auf Inseraten für Bagger wird der Baggerführer besonders vorteilhaft herausgestellt, damit die Baggerführer zum Ankauf gerade dieser Maschine raten. In Bierinseraten wird jedes Gesicht vermieden, das irgendwie intellektuell aussehen könnte. Sonst geht das Bier schlechter.

Fast erheiternd wirken die Erfahrungen einer großen Zigarettenfirma. Die Zigarette Marl-borough, die als Zigarette für die Frau herausgestellt wurde, woHte nicht gehen. Dr. Dichter kam und gab einen kleinen Rat. Seither sieht man überall große Inserate, und darauf: eine Marlborough-Zigarette in einer tätowierten Männerhand. Darunter steht: „Wo ein Mann ist, da ist eine Marlborough!“ Seither wird die Marlborough in Massen gekauft. Von Frauen.

3.

Weniger erheiternd wirken Methoden, die George Orwell erfunden haben könnte. Man blendet zum Beispiel eine kurze Inschrift in einen Spielfilm ein: „Trink Fruchtsaft X.'“ Dieser Text erscheint für den Bruchteil einer Sekunde auf der Leinwand, so kurz, daß er dem Zuschauer nur als kurzer Flimmer zum Bewußtsein kommt. Aber das Auge hat ihn gelesen und das Unterbewußtsein hat den Befehl zur Kenntnis genommen. Und in der Pause bestellen doppelt so viele Leute wie sonst jenes Getränk. Keiner von ihnen weiß, warum.

Man könnte auch einen politischen Befehl ausprobieren. Zum Beispiel „Wähle Ike!“

Tatsächlich haben die geheimen Verführer auch in der amerikanischen Wahlpropaganda längst das große Wort zu reden. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß sich ihre Methoden zum Teil auf die Ergebnisse des Russen Pawlow stützen, der die bedingten Reflexe erforscht hat. Auch die Wahlprophezeiungen stützen sich nicht mehr allein auf Gallups „Nasenzählung“, sondern auf Tiefenpsychologie. Die Verkaufspsychologen ersuchen zum Beispiel eine Versuchsperson, ein Auto zu zeichnen. Wie er es zeichnet, das sagt“ geftflgiMn ■ auf Grund seiner Wesensverwandtschaft mit den „Leitbildern“ der einen oder der anderen Marke für Autoöl sofort mit größter

Wahrscheinlichkeit sagen zu können, welches Fabrikat er fährt. Mit der gleichen Wahrscheinlichkeit läßt sich auf Grund dieser „Projektionstechniken“ die Verwandtschaft mit den Leitbildern der politischen Propaganda und sein voraussichtlicher Wahlentschluß bestimmen. Wenn Eisenhower die letzte Präsidentschaftswahl gewann, so verdankt er dies nicht zuletzt auch den Künsten einer großen Werbefirma, die das Unterbewußtsein der Wähler mit einem gewaltigen Strom von entsprechenden Einflüssen überschüttete. Von Eindrücken, die, der Forderune der tiefenpsychologischen Reklame entsprechend, nicht von der „Ware“, sondern von der „Verpackung“ ausgehen. Der Präsident muß eine Vaterfigur sein und aufrichtig . in die Tele-visionskamera blicken können. Seine Ansichten über politische Probleme sind unwichtig. Nicht umsonst begleitete auf dem Höhepunkt des letzten Wahlkampfes die Fernsehkamera Eisenhower einen ganzen Tag lang bei seinem Privatleben, nicht zuletzt wurde dann bei der Sendung der Hauptwert auf das Familienleben des Kandidaten gelegt. Leute, die die USA kennen, schreiben dieser Sendung einen nicht unbedeutenden Einfluß auf das Wahlresultat zu!

Was werden uns die nächsten Jahre bringen? Wie wird unser Leben in einigen Jahrzehnten aussehen? Kenneth Boulding von der Universität des Staates Michigan erklärte: „Eine Welt der unsichtbaren Diktatur ist denkbar, die sich noch der demokratischen Regierungsformen bedient!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung