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„ Wissen Sie schon, Herr Gutenberg…?“

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Verehrter Herr Gutenberg! Wissen Sie schon… ? Nein? Sie haben wirklich keine Ahnung? Setzen Sie sich, bitte, und sind Sie vor allem nicht erschrocken, was Sie jetzt lesen werden. Es läßt sich gewiß, wie so oft im Leben, noch ein Ausweg finden. Aber es ist gut, daß Sie die Wahrheit erfahren. Die Wahrheit ist, daß Ihre Erfindung gefährdet ist. Ihre große Erfindung, die Buchdruckerkunst. Die Leute wollen nämlich keine Bücher mehr kaufen.

Das hat verschiedene Gründe. Da sind einmal die kleinen Wohnungen, in denen jetzt die Menschen hausen müssen. Wo soll in diesen winzigen Kammern noch Platz für ein Bücherregal gefunden werden? Sehen Sie um sich, Herr Gutenberg, in wessen Wohnung finden Sie noch Bibliotheken von 500 oder 1000 oder gar mehreren tausend Bänden? In jeder Stadt werden es nur noch wenige sein. Den armen Menschen bleibt nichts übrig, als in die Leihbüchereien zu gehen, die jetzt eigentlich ihre große Chance haben. Aber Bücher kaufen und in der Wohnung äuf- stellen, können wirklich nur noch wenige. Sie werden jetzt, verehrter Herr Gütenberg, auf die reichen Leute verweisen. Da werden Sie leider auf eine merkwürdige Tatsache stoßen. Die Menschen, dis sich gerne Bücher kaufen würden, haben kein Geld und keinen Platz, und diejenigen, die Geld und Platz haben, die haben wieder vielfach kein Interesse für Bücher. Es ist ein rechter Jammer.

Und dann haben die Menschen auch so wenig Zeit zum Lesen. Sie sind ewig gehetzt. In den Zeitungen überfliegen sie gerade noch die Üeberschrifteri. Einen dicken Roman, für dessen Lektüre sie fünf Tage oder fünf Wochen benötigen würden, nehmen sie gar nicht erst in die Hand. Sie gehen dafür lieber ins Kino und sehen sich in Form eines Kinostreifens einen ganzen Roman innerhalb von zwei Stunden an. Im Laufe eines Jahres können sie auf diese Weise eine ganze derartige umfangreiche Ersatzbibliothek in sich hinein verschlingen. Sie fallen auf den Stand der Mpnschen vor 1000 Jahren zurück, denen der Inhalt von Büchern ebenfalls mittels Bildern beigebracht wurde. Aber passen Sie auf, Herr Gutenberg, bis erst das Fernsehen kommt! Nehmen Sie sich schon jetzt zusammen, sonst bekommen Sie dann einen Schock, den Ihnen kein Psychoanalytiker mehr ausbügeln kann. Neben dem Radio kann man noch lesen, neben dem Fernsehen aber nicht mehr. In Amerika sitzen Erwachsene und Kinder bereits stundenlang vor dem Kasten und sehen gespannt auf .das kleine Stück Glas. Für das Lesen von Büchern haben sie überhaupt kein Interesse mehr. Sehen Sie jetzt ein, daß Ihre Erfindung schweren Zeiten entgegengeht?

Aber noch von' einer anderen Seite wird Ihre Erfindung bedroht. Von den Autoren. Die wollen nämlich keine Bücfier schreiben. Es zahlt sich für sie nicht mehr aus. Radio, Film, Fernsehen, Theater zahlen ihnen ungleich höhere Honorare für ihre Manuskripte als sie je mit ihren Büchern verdienen können. Kaum kann eine Zeitschrift oder eine Zeitung noch ein Manuskript von einem bedeutenden Autor erhalten. Meist winkt er bei einer Anfrage gleich energisch ab find sagt, daß er jetzt nur noch für den Rundfunk arbeite, der ihm den dreifachen Preis für ein Manuskript bezahle als eine Zeitung. Gesqhweige dehn, daß er sich pinsetzt und monatelang an einem Buch schreibt, von dem er nicht weiß, ob es ein Erfolg wird. Das ist menschlich alles verständlich, aber für Ihre Erfindung, Herr Gutenberg, ein weiterer Sargnagel.

Dennoch sind Sie nicht traurig. Im Gegenteil, eigentlich müßten sie erleichtert aufatmen und besonders fröhlich sein. Ihre Erfindung, die Buch druckerkunst, ist gewiß gefährdet, weil die Massen sich vom Buch abzuwenden beginnen. In Wirklichkeit erhält Ihre Erfindung jetzt eine neue Chance. Niemals nämlich wird der Zustand eintreteri, daß überhaupt keine Bücher mehr erscheinen werden. Gewisse Arten von Büchern werden im Gegenteil immer verlegt werden. Natürlich Fachbücher aller Art, aber vor allem auch wissenschaftliche Bücher, religiöse Bücher, Memoiren, hie und da auch ein Band Gedichte. Sie werden erscheinen, weil g e- wisse Ideen nur in Form von Büchern gedacht und verbreitet werden können. Weil die Beschäftigung mit gewissen Themen teilweise nur über Bücher geht. Sehen Sie, Herr Gutenberg, diese Bücher werden immer gekauft werden, sogar in allen Wirtschaftskrisen, sie werden sogar gelesen werden trotz Radio, Kino, Fernsehen, Theater. Gewiß, es werden nicht mehr so viele Bücher wie heute erscheinen, aber dafür eine Elite von geistigen Produkten. Die große Zeit Ihrer Erfindung, Herr Gutenberg, ist erst im Kommen. Bis jetzt wurde Ihre gute Buchdruckerkunst ja oft mißbraucht, nun kommt die Stunde, da sie eine währe Dienerin der Menschheit werden kann. Und das wird Sie doch sicherlich sehr freuen, denn das haben Sie ja wahrscheinlich gehofft, als Ihnen die geniale Idee Ihrer Erfindung gekommen ist. Erholen Sie sich von dem Schreck, in den Sie der Anfang dieses Briefes gesetzt hat, er wurde ja nur geschrieben, um Ihrer Erfindung zu zeigen, was für großen Zeiten sie ehtgegengeht, und um ihr die Chance zu geben, sich auf diese Zeiten vorzubereiten und umzustellen.

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