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Wo sind hier die Leidenden?
Eine Dornenkrone sorgte in Südtirol einmal mehr für Identitätsprobleme und in Nordtirol für Unverständnis.
Eine Dornenkrone sorgte in Südtirol einmal mehr für Identitätsprobleme und in Nordtirol für Unverständnis.
Kein Zweifel - das Symbol könnte pathetischer und provokanter nicht sein: eine 650 Kilogramm schwere Dornenkrone aus Aluminium als Zeichen des Schmerzes über die nunmehr fast 80jährige Zerrissenheit eines Landes.
Und doch sollte die ganze Aktion in Tirol sehr still und diskret über die Bühne gehen. Die Landeshauptmänner dies- und jenseits des Brenners, Wendelin Weingartner und Luis Durnwalder, waren sich, in Absprache mit den eigentlichen Besitzern, den Südtiroler Schützen, schon vor Monaten einig. Das Ungetüm würde, eingebettet in eine zeitgeschichtliche Dokumentation, im Innenhof des Stiftes Stams seine letzte Buhestätte finden; und alles schien - darauf legte man Wert - ohne allzu großes Aufsehen seinen Lauf zu nehmen. Wäre da der Innsbrucker Bürgermeister Herwig Van Staa nicht gewesen. Der kam eines Tages auf die Idee, die Dornenkrone doch auf dem Platz vor der Innsbrucker Hofburg aufzustellen, gewissermaßen am Nabel Tirols also. Als dann am 14. Juni dieses Jahres bei einem Treffen der ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer (Italiener pflegen weniger schmeichelnd von „terroristi” zu sprechen) in Innsbruck neben Van Staa auch noch Weingartner auf diesen Kurs einschwenkte und man jetzt im Herbst schließlich als geplanten Einweihungstermin den 27. September bekanntgab, da war es um die Stille in den Alpen geschehen. Im Lande Tirol brach ein mittleres Erdbeben los, und die ohnehin äußerst empfindliche Nahtstelle zwischen Nord und Süd trat deutlich sichtbar hervor wie schon lange nicht mehr.
Freiheitskommers
Rückblende: Am 11. Mai 1984 steht in Innsbruck alles Spalier, was eine Tracht und noch ein paar Tröpfchen Gesamttiroler Blut in den Adern hat. Die Nord- und Südtiroler Schützen haben anläßlich des Tiroler Gedenkjahres zu einem Freiheitskommers geladen, einem Trachtenumzug zur „Demonstration der kulturellen Einheit Tirols”, wie es hieß. Prominenz aus Politik und Kultur ließ sich zu diesem Ereignis nicht zweimal bitten und zollte mit der begeisterten Menschenmenge stürmischen Applaus. Der ORF berichtete live.
So stand an jenem strahlend bunten Nachmittage der Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago wohlwollend und ahnungslos neben seinem Pendant Eduard Wallnöfer auf der Tribüne vor dem Landhaus. Als da unten in dem bunten Treiben aber plötzlich eine eiserne Dornenkrone, von gut einem Dutzend strammer Schützen geschultert, vorbeizog, da zuckte Magnago zusammen und senkte - während Wallnöfer stramm salutierte - den Blick. Dem Südtiroler Politiker erster Stunde schwante nichts Gutes. Sein politischer Instinkt täuschte ihn nicht: Noch am selben Abend liefen Öffentlichkeit und Presse in Südtirol Sturm.
An erster Stelle waren es natürlich die Italiener, die die Dornenkrone als unerhörte Provokation empfanden. Die ersten zaghaften Versuche der Südtiroler Volkspartei, nach Jahren der Konfrontation einen Dialog mit der italienischen Bevölkerung aufzubauen und auch ihr die Vorteile der Autonomie schmackhaft zu machen, Waren damit mit einem Schlage über den Haufen geworfen. „Im Land zog ethnische Eiszeit ein, der Aufschwung der Neofaschisten in Südtirol kann mit dem Tirol-Gedenkjahr und seiner Dornenkrone datiert werden”, resümiert die Südtiroler Wochenzeitung „FF” die damaligen Ereignisse.
Doch damit nicht genug. Zusätzlich floß Öl ins Feuer, als die Hintergründe des Dornenkronenumzuges bekannt wurden. Als Drahtzieher der ganzen Veranstaltung erwiesen sich rechtsradikale, revanchistische Kreise und Burschenschaften, wiederum gebildet um einen Kreis ehemaliger Südtirol-Aktivisten. Der Auftraggeber der Dornenkrone war Siegfried Steger, in den sechziger Jahren Mitglied der „Pusterer Buam”, verantwortlich für mehrere antiitalienische Sprengstoffanschläge, bei denen es auch Tote gab, in Italien nach wie vor zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Geld, rund 250.000 Schilling, kam aus Deutschland von der „Niermann Stiftung”, ins Leben gerufen von dem inzwischen verstorbenen Norbert Burger, dem Gründer der in Deutschland verbotenen rechtsradikalen Partei NDP, und dem Anästhesisten Erhart Härtung, dem Vorsitzenden der ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer.
Keineswegs umsonst beeilte man sich also südlich des Alpenhauptkammes sehr, sich von den Ereignissen in Innsbruck zu distanzieren. Landeshauptmann und SAT-Obmann Silvius Magnago ließ verlauten, er glaube, daß durch Dornenkronen bestehende Grenzen nicht abgebaut, sondern eher neue aufgebaut würden. Auch Diöze-sanbischof Joseph Gargitter warnte deutlich vor neuerlichen Zuspitzungen: „Zuerst sind wir immer noch Menschen und dann erst Tiroler beziehungsweise Deutsche, Ladiner und Italiener”, hieß es.
Währenddessen reagierte man in Nordtirol mit Befremden auf die „alK zugroße” Südtiroler Aufregung. Und als selbst der damalige Südtiroler Bundesmajor der Schützen und Mitorganisator des Umzuges Michl Ebner beteuerte, daß er von der Dornenkrone nichts gewußt habe und dieser Aktion niemals zugestimmt hätte, begriff man nördlich des Brenners nur mehr wenig. War den armen Südtirolern in ihrem Kampf als Minderheit überhaupt noch zu helfen?
Dreizehn lange Jahre ist inzwischen viel Wasser den Inn und den Ei-sack hinuntergeronnen. Das Autonomie-Paket wurde in der Zwischenzeit abgeschlossen, und fast feierlich erfolgte die Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien vor dem Europäischen Gerichtshof. Eine doch erneuerte Südtiroler Volkspartei hat unter Luis Durnwalder eine NachPaket-Ära eingeleitet und es auch geschafft, den Badikalisierungs-tendenzen der Italiener Einhalt zu gebieten, indem man die zweite Sprachgruppe als gleichwertigen Partner zu sehen begann. Verstummt ist der Bombenterror seit den späten achtziger Jahren, und im großen und ganzen wird in Südtirol während dieser 13 Jahre friedlich zusammengelebt. Geblieben waren nur das Nordtiroler Unverständnis - und eine Dornenkrone, die im Innsbrucker Zeughaus gemütlich vor sich hin rostete.
Doch ganz vergessen wurde sie nicht. Als die Dornenkrone 1992 bei Aufräumarbeiten nach Überschwemmungen in eben jenem Zeughaus im AA'ege stand und man sie respektlos auf den Bauhof zur Endlagerung schaffte, wurde es dem Besitzer zuviel. Steger schenkte die Krone dem Südtiroler Schützenbund, wo er mit Lan-deskommandant Bichard Piok einen sicheren A'erbündeten wußte. In gemeinsamer Arbeit gelang es schließlich nicht nur die Krone zu renovieren, sondern mit der Zusage Durn-walders und Weingartners zur Aufstellung in Stams auch wieder die Politik vor den eigenen Karren zu spannen. Mit Aan Staas und AVeingartners Schwenk zur „A7ariante Hofburg” endete jenes Bestreben freilich frühzeitig, laut und für das Nachbarschaftsverhältnis einmal mehr fatal.
Endlagerung
Dum walders Stellvertreter Michele Di Puppo zuckt resigniert mit den Schultern: „Weingartner und A'an Staa sind doch begeisterte Europäer, und jetzt kommen sie wieder mit sowas daher!” Michl Ebner, inzwischen vom strammen Schützen zum SVP-Europaparlamentarier avanciert, ist prompt fürs Einschmelzen: „Dann ist endlich Ruhe!” Der Obmann der Südtiroler Aolkspartei, Siegfried Brugger, will mit dem Gesamttiroler Schützenbund nichts mehr zu tun haben, falls der sich „weiterhin hinter Personen aus extrem rechten Kreisen formiert”. Und schließlich spricht sogar das italienische Außenministerium beim österreichischen Botschafter Günther Birbaum in Rom vor. Das Verhältnis Österreich-Italien könnte leiden, heißt es. Umgehend läßt Birbaum in AA'ien wissen: „Angesichts der gut funktionierenden Autonomie in Südtirol halte ich es für unangebracht, weitere Mahnmale zu errichten.” Eine Meinung, die sodann auch maßgebliche Politiker in Wien teilen.
Aor allem aber weiß die Südtiroler Bevölkerung mit dem schweren Kreuzwegutensil nichts mehr anzufangen. Die Meinungen gehen von Aerärgerung bis Spott. AA'as seine Berechtigung hat. Eine leidende Minderheit sind die Deutschen in Südtirol schon lange nicht mehr: Arbeitslosigkeit gleich null, völlig autonome Steuerverwaltung - davon können die Bundesländer in Österreich nur träumen. Den Südtirolern geht es so gut wie noch nie. Überdies gibt man sich in Südtirol zuweilen viel lieber italienisch als österreichisch, vor allem gilt dies für die jüngere Generation. Und wenn die im Exil lebenden einstigen Volkshelden von der Brennergrenze als dem „Schwert durch das Herz Tirols” sprechen, das erst wieder zu schlagen beginne, wenn man dieses Schwert herauszieht, dann wird kaum mehr einem Südtiroler auch nur lauwarm in der Brust. Zu gut lebt es sich im Staate Italien.
Was .Wunder also, daß die Nordtiroler nicht schlau werden aus den Schwestern und Brüdern südlich des Brenners. Sind diese vielleicht gar schon zu Italienern geworden, selbst wenn sie noch deutsch sprechen? Braucht man Dornenkronen nur mehr dazu, sie ab und zu den Italienern ins Fenster zu stellen, als Rechtfertigung für die Autonomie gewissermaßen? Und was, wenn die labile politische Situation in Italien einmal kippen sollte, wenn man gegen den erstarkenden Sezessionismus wieder eine starke nationale Führung brauchte, um den Staat zusammenzuhalten?
A'orläufig wird die Dornenkrone jedenfalls nicht aufgestellt, weder in Stams, noch vor der Hofburg. Und vielleicht dauert es wieder dreizehn Jahre, bis ...
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