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Digital In Arbeit

Wo stehst du, Jungbauer?

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DAS EINSAME DORF, DIE LOCKENDE WELT. Du lebst auf deines Vaters Hof, im Dorf, oft abgelegen, und es scheint dir seit neuestem einsam. Du meinst außerhalb der Welt zu leben. Die Heeresstraße, .auf der die Wagen und Autobusse dahinsausen, ist die Verbindung zur Welt, eur Zeit. Die kleine Welt deines Dorfes, dein wunderschönes „Heimatl”, der Hof, wird dir gering vor dem unbekannten Locken. Welch ein Gegensatz: Am Sonntag der Vater bei den Bienen, allein über die Felder streifend, und der Sohn, ganz vergessend der Welt, die dem Vater noch sein Ich bedeutete, voll Verlangen nach dem Anschluß an die moderne Zeit, als ein Unwissender, betört vom Locken der Welt, auf der Suche nach ihr mit dem Motorrad auf-Fahrt, in der Bezirksstadt, bei Tombolas, bei Wiesenfesten und, wenn es gut geht, vielleicht bei Landjugendtreffen und Dorfgemeinschaften. Immer unnihigss.süchtig. Halt verloren zu haben scheint.

Dein Vaterhaus ist dir noch das Vaterhaus, aber wie jenem in der Stadt oft auch nur noch eine Stätte des Wohnens und täglichen Lebens. Es ist nicht mehr das „Heimatl” von früher.

Sind dir Vater und Mutter noch der ruhende Pol im Hause? Gewiß übersiehst du nicht, was dir Vater und Mutter bedeuten, aber andere Leute haben auch Meinungen Erfahrungen, Erfolge. Das Haus wird dir oft sehr eng, Sehr oft paßt dir vieles nicht darin. Du vergißt, daß der Hof deinem Vater so vieles verdankt, was dir heute selbstverständlich erscheint; daß auch du nichts über das Knie brechen kannst, daß manches leichter erträumt als durchgeführt ist. Warte nur erst.

Daß du deine Arbeiten ungern machtest, wer sagte denn das; aber du arbeitest anders als deine Väter, die zwischen Arbeit und Freizeit keine so tiefe Trennung machten, die den Begriff der Freizeit gar nicht kannten, im übrigen aber den „Feierabend” hatten. Welche verschiedene Welt, der Feierabend und die Freizeit!

Du arbeitest höchst angespannt, aber nachher willst du Entspannung finden. Es kommt dir daher darauf an, daß die Arbeitszeit, wenn schon nicht viel kürzer, so doch geregelt ist.

Der Vater sorgt dafür, daß du Bekleidung hast, die Mutter für Essen und Wäsche, und am Sonntag bekommst du Geld auf die Hand. Aber du dünkst dich schon zu alt, dich bekleiden zu lassen, ein Sonntagsgeld zu bekommen, wenn doch die Nichtbauernsöhne ihr Selbstverdientes umsetzen, wie es ihnen beliebt.

DAS REVOLUTIONÄRE IST DAS VERBINDENDE: Du möchtest nicht auf allen deinen Schritten beobachtet sein von Eltern, Geschwistern, vom Dorf. Du machst es ja nicht schlecht, aber was geht es die anderen an!

Und wieder, welch ein Gegensatz: Früher etliche Burschen als Freunde immer beisammen, am Sonntagmorgen vor der Kirche, beim Lieder- singen oder gemächlich in den Abend wandernd, beim Hochhalten der Bräuche des Jahreslaufes. Heute jeder entweder ein Alleingänger, mißtrauisch gegen jede Bindung; oder ein Gebundener und damit gegen andere Gebundener; oder ein Haufen zu jeder Angeberei aufgelegter Vergnügungssüchtiger.

Und doch ist eines allen gleich: das ungewisse Gefühl, in dieser gärenden Zeit auf neuen Wegen zu sein; und ihr wißt noch kaum, wie ihr euch dazu stellen sollt.

So trefft ihr euch zusammen, ihr Neuerungssüchtigen; und die Väter sagen manchesmal: Ihr Revolutionäre! Wie bei allen Revolutionären sind auch eure Formen, eure Aeußerungen, euer Tun oft übersteigert, laut, verworren, negativ und manches mehr.

Das alte Gehaben, Kleidung, äußere Form, warft ihr über Bord. Das neue nehmt ihr von hier und dort, manchmal paßt es, manchmal sehr schlecht. Tracht ist dahin, euer verhaltenes, meist etwas zu schüchtern oder plump gewesenes Benehmen ist dahin. Aber wie ihr euch jetzt manchmal gebt — man sieht es euch an, wie unsicher ihr doch seid. Nicht mehr alle so, aber viele. Oft seid ihr mehr als die städtische Jugend vom Motorteufel befallen, berückt vom Glanz der vielen Möglichkeiten; beherrscht von ihnen, tätt sie nach Gutdünkeö -au’inützeifi Auch euch ist Freizeit eine Zėifr dės- fauffiefo’ von Eindruck zu Eindruck, von Reiz zu Reiz ins Land des Unbekannten.

AUF NEUEN WEGEN: Aber du hast auch hochfliegende Gedanken; dein Vater meint, sie führen nur dazu, dich dem Hof, der Arbeit zu entfremden. Du hast seit neuestem einen „Beruf” und bist nicht nur der Bauernsohn und Hoferbe. Es genügt dir nicht, auf deines Vaters Hof angelernt worden zu sein; du willst deinen Beruf richtig verstehen und zum Können das Wissen haben, Prüfungen und Zeugnisse, nicht nur, weil sie dir vorgeschrieben Werden, willst Fremdlehre und Fremdpraxis, nicht nur, weil du Fernweh hast. Nein, du willst Meister in deinem Beruf werden.

Du willst auch sonst ein Gebildeter sein, willst mindestens wie der gebildete arbeiterliche Mensch Bescheid wissen über so viele Fragen, nicht mehr hinten stehen in Fragen der Wirtschaft, der Technik, der Politik.

Daß eure Väter in der Frage nach eurer Zukunft, „Existenz”, mit euch ehest ins reine kämen, das ist Voraussetzung. Euch kommt es nicht darauf an, Herr und Bauer zu sein, eher, als es gut ist, aber zu wissen, ob ihr es werdet, und daß ihr sobald als möglich euer Ich entfalten könnt. Ihr wollt sicher bestens zugreifen, aber als Vorarbeiter, wollt nicht Objekt, sondern — und wenn es der kleinste Bereich wäre — Subjekt sein.

Euch ist bewußt, daß der bäuerliche Hof der Zukunft, der Zwei-Mann-Hof, der Vater-Sohn- Hof, sein wird, daß ihr alles werdet darauf abstellen müssen, Grünlandnutzung, Viehhaltung, Technisierung, Baulichkeiten.

Ihr wißt, daß e i n Bauer kein Bauer ist, daß ihr den Zusammenschluß eures Berufsstandes dringend herbeiführen müßt, damit die 20 Prozent doch einmal das Zünglein an der Waage werden, ein lockendes Ziel.

Ihr seid euch bewußt des Ueberganges, der Revolution, die euer Dorf, euch selbst von gestern auf heute überfallen hat, wie einst die Revolution den städtischen Menschen überfiel, als die Maschine einbrach und das Industriezeitalter anhob.

DIE WURZELUNG IM „HEIMATL” ALS ANGELPUNKT ALLER FRAGEN : WO STEHST DU, JUNGBAUER? Ihr erkennt, daß euch zwar manches fast unmöglich Scheinende abgefordert wird, manches Erstrebenswerte wird vorenthalten sein müssen, daß ihr als einzige aber über das verfügt, was den anderen Entbehrung ist: euer „Heimatl”, das dem Leben Sinn gibt, Bleibe, Ausgang und Wiederkehr.

Was entbehren doch die anderen, die in den Mietskasernen Enterbten, über dem Asphalt Erstickten, iri der Masse Erdrückten, die ihre Sehnsucht nach Freiheit und Selbständigkeit abtöten mit maßlosem Konsum, weil sie sonst nichts, haben, in das sie ihr .Tun und Schaffen, ihre-PehänHdikeit verpflänzeh könriten…

Der Blick auf die maßlose Unruhe der anderen läßt euch erkennen, warum es geht: euch abzusichern durch bestes fachliches Können und Wissen; geleitet zu sein von tiefen EinsichtA in Familie, Hof, Dorf, Berufsstand; aus revolutionärer Gärung Gestalt, Haltung, neuen Brauch und neue Bindung zu finden; und schließlich auf der Grundlage begnadeter Einsicht in menschliches Glück und menschliche Verwirrung den neuen Standpunkt zu gewinnen.

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