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Woher, warum, wohin?

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„Die jungen Männer zürnen nicht mehr.“ Das ist der Titel eines Berichtes zum Jahresabschluß 1958 über das geistige Leben in England; in London, Oxford und Cambridge zumal, aus der Feder Hilde Spiels. „John Osborne, der Erfinder des Rebellentyps, hat sich aus Steuergründen in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung verwandelt und arbeitet zur Zeit an einem Musical.“

Mögen die „zornigen jungen Männer“ in England schweigen: In Deutschland sind sie da und bilden eine Gesellschaft von einzelnen und Einsamen, vielleicht das interessanteste Phänomen im inneren deutschen Raum der Nachkriegszeit.

Wo sind sie? Woher kommen sie? Welche Jahrgänge gehören ihnen an? Was ist ihre weltanschauliche, ihre politische Ueberzeugung? Was wollen sie?

Nun, wer viel in Westdeutschland herumkommt, der trifft sie überall und erkennt sie auf den ersten Blick: an ihrem unauffälligen Aussehen und Auftreten. Diese zornigen jungen Männer Deutschlands sind ,a nicht zu verwechseln mit Jazzfans, mit modisch gekleideten Jüngern einer neuen Jugendbewegung, vor deren Krawallen sich die arrivierten Herren und Damen, die der alten klassischen deutschen Jugendbewegung angehörten, mit Entsetzen abwenden. Die Menschen, von denen hier zu sprechen ist, sind nicht an der Kleidung zu erkennen, sondern an ihrer Haltung, an ihrem Auftreten: ruhig, kühl, zurückhaltend, distanziert beobachten sie ihre Umwelt und sich selbst. Dem Menschen neben sich, in der Bahn, auf der Straße, im Berufe, begegnen sie freundlichverhalten. Aus sich heraus gehen sie, in ihrem kalten, kühlen Zorn, in ihren kleinen Kreisen der Freundschaft und Diskussion und in ihren Werken: wer sie hören will, braucht nur den Rundfunk aufzudrehen, etwa jene Sendungen zu später Stunde, die man „Nachtstudio“ nennt. Wer sie sehen will, braucht nur etwas aufmerksam die Auslagen der Buchläden zu durchstöbern:. der größte Teil von Deutschlands jungen Erzählern gehört irgendwie zu Deutschlands zornigen jungen Männern. In der Presse kommen sie im Feuilleton und im Kunst- und Kulturteil zu Wort, ja sie haben sich eine eigene Gattung geschaffen: in einem Typ von Studentenzeitungen, der hierzulande, in Oesterreich, unbekannt ist.

II.

Woher kommen sie? Welche Jahrgänge gehören ihnen an?

Ein Versuch, diese Fragen kurz zu beantworten, begegnet sofort der großen Streuung: sic kommen von „überall“ her: aus Berlin, geflohen aus der „Zone“, aus Familien von Heimatvertriebenen aus dem ganzen weiten deutschen Ostraum zwischen Königsberg und dem Südosten; sie kommen aus Familien und aus großen Städten, die durch Krieg und Vorkrieg ihr Gesicht verloren haben. Aus zerbrochenen und aus zerschlagenen Familien; aus Städten und Landschaften, über die die Walze des Feuers und der Industrie hinwegging und sie tief Versehrte.

Sie, diese jungen Männer und Frauen — nicht wenige der begabtesten und tüchtigsten von Deutschlands zornigen jungen Männern sind ihrem physischen Geschlecht nach Frauen — kommen aber auch aus „alten, guten Familien“, verdanken dieser ihrer Herkunft ihr Vermögen, sich aus dem Dunstkreis des Tages innerlich abzusetzen.

Da sind es junge Menschen aus alten bayrischen und hanseatischen Patrizierhäusern, die sich solidarisch wissen mit ihren Kollegen und „Kommilitonen", ihren Berufsgenossen, die aus dem Kleinbürgertum und von noch weiter „unten" herkommen. Der breiten Streuung ihrer gesellschaftlichen Herkunft entspricht eine gewisse Breite der Jahrgänge. Von achtzehn bis vierzig Jahren, ja darüber hinaus geht diese erstaunliche Spanne. Das sind also „junge“ Männer und Frauen, die im Schatten des ersten Weltkrieges geboren wurden, in das Dritte Reich hineinwuchsen und jetzt erst zu Sprache und Wort finden. Zu einer harten Sprache. Ganz dicht neben ihnen stehen, als Gefährten einer inneren Generation, andere junge Männer, zwischen achtzehn und fünfundzwanzig, denen die Gegenwart den Star gestochen hat, so daß sie wach, überwach in die Wirtschaftswunderwelt hinein und durch sie hindurch sehen: so als wären die riesigen Bauten, die da in wenigen Jahren auf dem Schutt gebaut wurden, Glashäuser, mit stählernen, gutsitzenden Türen und

Fensterrahmen, die sich schwer öffnen lassen, da es ihre wichtigste Funktion zu sein scheint, die Gesellschaft da drinnen abzuschirmen vor Wind und Wetter der Welt — und der Weltgeschichte.

„Draußen vor der Tür ..Mit Wolfgang Borcherst Drama und dramatischen Skizzen hatte sich 1947 Deutschlands zornige junge Generation erstmalig der Welt vorgestellt. Borchert wirkt heute auf eben diese „Jungen" selbst oft als zu melodramatisch, „romantisch“ fast in seinem Expressionismus. Sein „Zorn“ hat sich neue Formen gesucht und gefunden: die da wahrnehmen, was da drinnen, hinter den Türen geschieht. Nicht zufällig spielen irt dem Film um Rosemarie Nitribitt, einem sehr augenfälligen Protestakt dieser „jungen Generation", Türen eine so überaus große Rolle: es sind die Drehtüren eines großen Hotels. Durch sie gehen die großen Männer des großen Geschäfts und ihre Damen ein und aus. Wer sich dazwischendrängt, wird zermalmt: zwischen den Türen, zwischen Tür und Angel. Das ist ja ein Grund erlebnis von Deutschlands zornigen jungen Männern heute: in überraschend kurzer Zeit hat eine herrschende Gesellschaft sich ihre Tabus geschaffen, verpflichtet alle, die mitspielen, mitreden wollen, auf einen Nonkonformismus, der alten byzantinischen Staatsbeamten Aeußerungen höchsten Lobes abringt.

Diesen zornigen jungen Männern wird nicht wohler, wenn sie aus hohem Munde, von dem bekannten Physiker Professor Dr. Pascual Jordan, Mitglied des Bundestages und einem der wehrhaftesten Streiter für die Atomrüstung, „die Krankheit des Nonkonformismus“ vorgehalten bekommen. Herr Professor Jordan vertritt die Ueberzeugung, daß sich die „junge deutsche Demokratie“ in „dieser Zeit voll ernster Gefahren und bedrückender Spannung . .. nicht gut den Luxus eines Nonkonformismus leisten“ kann.

III.

Damit stehen wir bereits im dritten Fragenkreis: Was ist die weltanschauliche, was ist die politische Ueberzeujung dieser „zornigen“ jun gen Männer und Frauen im heutigen Deutschland? Auch hier begegnen wir dem Phänomen breiter Streuung. Heinrich Böll spricht von einer „heimatlosen Rechten", der er sich selbst zuzählt. Nun, die „Rechte", der mit Böll, einem der begabtesten und bekanntesten Männer dieser inneren Generation (die ja nicht nach äußeren Jahren, sondern nach inneren Jahren, Jahren der Wandlung, sich bildet), nicht wenige dieser Männer und Frauen angehören, zumal im bayrischen und südwestdeutschen Raum, ist nicht jene heimatlose Rechte der ersten Nachkriegsjahre, mächtiger Erbträger des Dritten Reiches, die sich inzwischen massiv eingewurzelt und in nahezu allen großen Interessenverbänden Heimatrecht gefunden hat. Die „heimatlose Rechte“ dieser jungen inneren Generation Deutschlands kommt geschichtlich von den katholischen, evangelischen und altliberalen Gruppen und einzelnen her, die als immer unbequeme Mahner seit den Reichstagen des Bismarck-Reiches versucht haben, die Räder der riesigen Reichsmaschine zu stoppen, die nicht zum Siege, wie ihre Maschinisten meinten, sondern zum Untergang rollten, wie eben diese konservativen Einsamen und einzelnen voraussahen.

Die Väter und Großväter dieser „heimatlosen Rechten“, die in Deutschlands innerer Generation seiner zornigen jungen Männer eine bedeutende Rolle spielt, kämpften gegen einen hemmungslosen Drang zur Macht, zur Herrschaft, zur rücksichtslosen Durchsetzung in der Weltpolitik, auf dem Weltmarkt, wobei jeder innenpolitische Gegner als Staatsfeind gezeichnet und behandelt wurde. Die Söhne und Enkel dieser „heimatlosen Rechten“ sehen denselben Typ des „Erfolgsdeutschen“ heute hoch und zur Macht kommen in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist die konservative Herkunft dieser „Jungen“, ihre konservative Erziehung, die sie wachruft zum Protest gegen die Brutalität prestige-besessener Zeit- und Volksgenossen, die, taktlos und kontaktlos, eben diese unbequemen Mahner nicht ungern als Staatsfeind an den Pranger stellen.

IV.

Dieser heimatlosen Rechten entspricht eine heimatlose Linke in dieser inneren Generation; ihr gehören regional vielleicht mehr Menschen aus Ost- und Norddeutschland an, wobei jedoch München ein intellektuelles Zentrum mitbildet. Hier macht sich übrigens, wie in vielen politischen und gesellschaftlichen Dingen, der Ausfall Berlins stark bemerkbar. Das heutige Deutschland hat keine Hauptstadt. Berlin ist ein Sonderfall; die Teilung der Stadt, die Brandungen aus der „Zone“, die tägliche Bedrohung lassen nur langsam jenes geistige und kulturelle Leben in vollem Maße wiedererstarken, das vor Hitler Berlin gerade auch zur Hauptstadt der heimatlosen Linken gemacht hatte. Was charakterisiert politisch diese junge heimatlose Linke, die nach außen hin vielleicht am sichtbarsten diese junge Generation verkörpert?

Es ist der „Zorn“, die Erbitterung über das Versagen der deutschen Sozialdemokratie. Ihr wird vorgeworfen: Bürokratisierung, Diktatur des Parteiapparats und einzelner mächtiger Funktionäre; Angst vor der herrschenden Regierungspartei, Angst vor sich selbst, Angst vor der Uebernahme ihrer wichtigsten Aufgabe: wirkliche Opposition zu bilden. Die junge heimatlose Linke wirft der SPD, ihrer heutigen Führung, vor, schwächlich, ja feige ihre Forderungen und Parolen zu vertreten, so daß es kein Wunder sei, wenn diese ihr immer wieder vom Kanzler in Bonn im passenden Moment aus der Hand genommen würden.

Diese junge Linke, deren Versuche, in der Partei zu Wort zu kommen, in den letzten Jahren mehrfach gescheitert sind, ist der Ueber- zeugung, daß der im Innersten schwankenden, unsicheren Führung der SPD ein gerüttelt Maß von Mitschuld an der zunehmend „reaktionären" Verhärtung der deutschen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zufalle.

Heimatlose Rechte, heimatlose Linke: beide bilden Pole i n der Generation der deutschen „zornigen“ jungen Männer. Zwischen diesen bewegen sich viele Frauen und Männer, die stark politisch interessiert sind, aber über das hinausschauen, was „rechts“ und „links“ am Wege liegt. Vielleicht darf man ihre Ueber- zeugung als die eines politischen globalen Humanismus ansprechen; sie sind der Ansicht, daß die großen Bauten der Zukunft andere Maße, Formen, Räume bilden und erfordern, als eine gewisse ängstlich auf Gleichschaltung bedachte Gegenwart sie in Politik und Gesellschaft zu bosseln wagt. Es ist kein Zufall: nicht wenige Künstler, Architekten, Designer, Gestalter von Industrieformen ebenso wie von Bühnenbildern und von künftigen Städten — von Städten als Stätten eines neuen mitmenschlichen Lebens — gehören dieser Gruppe an. Hier wird der Zorn, ein kühler, reiner Zorn, vielleicht am klarsten produktiv: in einem konstruktiven Nein den herrschenden Mächten gegenüber.

Der Hauptvorwurf — wenn man alles das, was da vom Zorn dieser „jungen Generation“ gegen die Männer an der Macht, in Staat und Gesellschaft vorgebracht wird, in einem Wort zusammenfassen darf, ist ja eben der: Unsachlichkeit. Die riesigen, gigantischen Mittel, über die Staat, Wirtschaft, Gesellschaft heute verfügen, werden unsachlich, unangemessen der Wirklichkeit, verwendet und vergeudet: die Währungen der Waren und Waffen, mit denen sich Deutschland seinen Platz an der Sonne wiedererkämpft, blenden die Massen, sind aber, so ist es die Ueberzeugung dieser „Jungen“, nicht imstande, das deutsche Volk wirklich ein- zuwurzeln in der Gegenwart und Zukunft, in der globalen Gesellschaft des Menschen.

(Ein zweiter Artikel folgt)

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