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Wolf gang Bauer

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Die Kommune in der Praterstraße Nr. 32 hat einen besonderen Gast, „Hearst — wieso bist du denn plötzlich so berühmt worden?“ fragt Kom-munenführer Otto Mühl, während sich seine halb oder ganz entkleideten Mitgenossen (es ist immerhin bereits drei Uhr nachmittag) dezent in den Hintergrund verziehen. Der also Angesprochene zerdrückt seine unvermeidliche Zigarette im Aschenbecher und leert sein ebenso unvermeidliches Whiskyglas. „Das ist eine ganz seltsame Entwicklung, die gar nicht irgendwie gesteuert wurde“, gibt er zu verstehen und streicht Uber seinen Stoppelbart. „.Magic Afternoon' zum Beispiel, das habe ich zuerst an insgesamt 50 Theater verschickt, ohne auch nur eine einzige Antwort zu erhalten.“

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Die Kommune in der Praterstraße Nr. 32 hat einen besonderen Gast, „Hearst — wieso bist du denn plötzlich so berühmt worden?“ fragt Kom-munenführer Otto Mühl, während sich seine halb oder ganz entkleideten Mitgenossen (es ist immerhin bereits drei Uhr nachmittag) dezent in den Hintergrund verziehen. Der also Angesprochene zerdrückt seine unvermeidliche Zigarette im Aschenbecher und leert sein ebenso unvermeidliches Whiskyglas. „Das ist eine ganz seltsame Entwicklung, die gar nicht irgendwie gesteuert wurde“, gibt er zu verstehen und streicht Uber seinen Stoppelbart. „.Magic Afternoon' zum Beispiel, das habe ich zuerst an insgesamt 50 Theater verschickt, ohne auch nur eine einzige Antwort zu erhalten.“

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Wolfgang Bauer, neunundzwanzig, gebürtig aus Graz und augenblicklich sicher einer der begehrtesten Bühnenautoren im deutschsprachigen Raum, lebt mit einem Stipendium in Berlin und stattet Graz und Wien nur gelegentliche Blitzbesuche ab. Was ja zu verstehen ist angesichts der Tatsache, daß mit „Magic Afternoon“ 1968 der große Durchbruch in Hannover gelang. Und auch etliche andere Stücke auf deutschen Bühnen und im deutschen Fernsehen eifrigst uraufgeführt oder nachgespielt werden, während „Change“ im Wiener Volkstheater, obwohl ständig ausverkauft, nur 14mal zur Aufführung gelangte — und das deswegen, weil es nicht ins Abonnement aufgenommen worden war. Seinen Erfolg in Deutschland führt Bauer teilweise auch auf den Durchbruch Peter Handkes zurück. „Davon leben alle Österreicher irgendwie besser.“

Immerhin wurde ihm jetzt in Österreich der Franz-Theodor-Csokor-Preis verliehen, womit wahrscheinlich das Debakel wettgemacht werden soll, daß ein kleines Land eben nicht jene Aufführungsmöglichkeiten besitzt wie ein relativ großes. Begonnen hat es, als „Magic Wolfle“ neunzehn war und „Die Nashörner“ von Ionesco gesehen hatte. „Seitdem habe ich nichts anderes mehr gemacht als schreiben.“ Und das, obwohl er eine „unheimliche Aversion gegen das Theater und gegen alle Literatur und Kultur“ gehabt habe. Das sei so eine Art Trotzreaktion gewesen, „weil meine Eltern mir diese Dinge um jeden Preis eintrichtern wollten“. In der Schule hat Wolfgang Bauer damals als einziger das Freifach Literatur nicht belegt. Dafür s~hr viel Sport getrieben und Karten gespielt. „Da kann man richtig krank, da kann man süchtig werden.“ Ein Jahr lang hat er nur vom Kartenspiel gelebt, und dann plötzlich ständig verloren. „Das war in der Provinz. Diese Beamten und Bürohengste haben einen Spielstil gehabt, den ich nicht mehr manipulieren konnte.“ Und da, am absoluten Nullpunkt seiner Spielleidenschaft angelangt, entdeckte Bauer plötzlich das absurde Theater. „Ich war sehr epigonal, damals.“ Erst später entwickelte er einen eigenen Stil. Inzwischen hat er fast 30 Stücke geschrieben, von denen allerdings bis jetzt erst ein Bruchteil zur Aufführung gelangte. Das Übrige, so meint er zuversichtlich, werde jetzt wohl auch anzubringen sein. Das Fernsehspiel „Der Schiedsrichter“ beispielsweise, in dem ein Fußballschiedsrichter wahnsinnig wird, aus dem Irrenhaus ausbricht und am Fußballplatz seine Spiele weiterpfeift. Sein Roman „Der Fieberkopf“ hingegen wurde bereits veröffentlicht. Auch Gedichte unter dem Titel „Das stille Schilf — das Schlechteste von Wolfgang Bauer“ kamen bei Bärmeier & Nikel heraus. (Sie sind tatsächlich eine Zumutung und man fragt: Was soll's?) Schließlich ein Band „Mikrodramen“: Kuriose, surrealistische und teilweise sehr vergnügliche Einfälle werden zu Kurzdramen verarbeitet. Am besten, packendsten und unmittelbarsten ist er sicherlich in seinen Theaterstük-ken. Da ist alles zu finden, was Brisanz und Wirkung hat. Das ist blutvolles, echtes Theater, das ist „dem Volk aufs Maul geschaut“ und das Ergebnis theaterwirksam verarbeitet. Dabei sehr böse und grausam. Nicht von jener vordergründigen, kalten Bosheit, die der Umwelt mit dem Messer zu Leibe geht. Das ist Bosheit mit dem gewissen wienerischen Gemüt, in der außerdem eine zwar überspielte, aber doch sehr spürbare Dämonie ihre Weichen stellt. Auf keinen Fall aber ist es — trotz Komik und immer etwas lustig wirkendem Dialekt — ein amüsantes Unterhaltungsstück, in dessen Nähe die ansonsten gelungene Inszenierung im Münchner Werkraumtheater trotz guter Besetzung (Hans Brenner, Jutta Schwarz, Karl Re-nar) gefährlich nahe rückte. Weshalb auch — im meist ausverkauftem Parkett — eine bis zuletzt animierte Stimmung herrschte. (Ein österreichisches Schicksal: Es wird eben im Ausland trotz tapfersten Bemühens selbst von seiner schwärzesten Seite nicht wirklich ernst genommen.) Die Fernsehverfilmung der Bavaria G. m. b. H. (Regie: Franz Peter Wirth) traf allerdings schon eher den Kern der Sache, das wurde nicht ganz so leutselig und operettenhaft heruntergedreht.

Bauer selbst steht seinen Erfolgen etwas zwiespältig gegenüber. „Sie sind vor allem auf die schlechten, mißverstandenen Inszenierungen zurückzuführen. ,Magic Afternoon' beispielsweise wurde überall wie ein Reißer gespielt.“ Was es seiner Meinung nach keineswegs ist. Immerhin, so gibt der Autor zu, „auf Reißer steh ich wahnsinnig. Auf diese ganzen deutschen oder amerikanischen Kriminalserien.“ „Change“ hingegen, so meint er weiter, sei ein traditionelles Stück mit einer richtigen Story. Fast, so möchte man vermuten, meint er das ein wenig abschätzig. Auf jeden Fall aber merkt man sofort: seine eigentliche Liebe gehört Theaterstücken anderer Art, denn: „Ich habe keinen einheitlichen Stil. Ich halte das für lächerlich, daß einer 30 Jahre lang ein Stück nach dem anderen in einer Masche herunterschreibt.“ Als Beispiel nennt er „Party for six“, das er 1962 schrieb und das kommendes Jahr in Bochum uraufgeführt werden soll. „Es ist das wichtigste Stück, das ich bis jetzt gemacht habe“: Eine Party Jugendlicher wird zum Schauplatz banaler Alltäglichkeiten, die jedoch nicht einmal passieren, sondern mehr geahnt werden. Die Bühne ist nämlich das Vorzimmer, den eigentlichen Raum und damit das eigentliche Geschehen sieht man gar nicht. Die teils sichtbare, teils unsichtbare Handlung jedoch läuft von „Host du no an Eieaöffna“ über „Wie wärs, wenn ma jetzt a Flaschal auf-mochatn“ bis zu „klaß de Plottn“, wo sie dann auch endet.

Bauer: „Die Stücke, die ich jetzt mache, leben vor allem von den Erwartungen des Zuschauers. Der Zuschauer ist ja durch Jahrhunderte auf gewisse Dinge im Theater eingestellt. Diese Erwartungen werden aber bei mir enttäuscht. Es entsteht Theater allein dadurch, daß die Leute im Theater sitzen und sich Theater erwarten.“ Bauer möchte also den banalen Dingen des Alltags besondere Akzente verleihen, indem er sie einerseits erhöht, anderseits ad absurdum führt, auf jeden Fall aber ins Bewußtsein bringt und so eine neue Art von Wirklichkeit schafft. In gewisser Hinsicht ließen sich hier Parallelen zu Peter Handke ziehen, mit dem Unterschied, daß Bauer Handlungen meint und Handke die Sprache. Das also sind die wichtigen Momente, wenn eine Coca-Cola gekippt, eine Zigarette angezündet, eine Platte aufgelegt oder ein Gin Fizz gemixt wird. Ebenso wichtig aber ist es, wenn die Darsteller aufs Klo gehen müssen (wobei die Klospülung lange und ausführlich zu rauschen hat), wenn sie schlafen, sich kämmen, gähnen oder eine Limonade bereiten. Und das alles hat auch nicht im Zeitraffertempo zu geschehen, sondern ebenso lang und ausführlich, wie in Wirklichkeit. Das Leben auf die Bühne tragen, dieses Motto progressiver Theaterleute hat hier nicht zum erstenmal Premiere.

Im übrigen, so meint Wolfgang Bauer, beschäftigt ihn bei seinen Stücken zuerst und vor allem die geeignete Theaterform, zu der er -:ch erst später das Thema aus?1'-' Niedergeschrieben wird es dann je nach Länge in zwei bis vier Wochen. Natürlich werden dabei nicht alle Ideen verwirklicht, an denen Bauer gewiß keinen Mangel leidet. Darum auch schreibt er meist an mehreren Stücken zugleich, „weil eins dann sowieso nix wird“.

Im Augenblick beispielsweise stehen zur Debatte: .JSylvester oder das Massaker im Hotel Sacher“, das zu den kommenden Wiener Festwochen vom Volkstheater aufgeführt werden soll. Inhalt: Ein Schriftsteller, der ein Stück abzuliefern hat, nimmt in letzter Minute eine Party auf Tonband auf, um sie möglichst dramatisch zu einem Stück zu verarbeiten. Weiters: „Gespenster, von Wolf gang Bauer.“ Ibsens Stück wird anfangs werkgetreu nachgespielt, später allerdings verlieren die Schauspieler ihre Rolle, verwirren sich mehr und mehr, die Geschichte wird zu einem qualvollem Alptraum, in dem sich allmählich ein anderes Wertsystem spiegelt. „Die Edegg-Familie — eine Familiensendung mit kleinen Überraschungen“ wird augenblicklich in Stuttgart vom Süddeutschen Fernsehen vorbereitet. Und schließlich „Wilhelm Teil, für eine Souffleuse allein“.

Wollgang Bauer ist eine Begabung, die noch einiges verspricht. In der Realisierung seiner Ideen seltsam schizophren — hier Reißer und reines Action-Stück, dort langatmig ausgesponnenes Experiment mit einer Handlung, die gar keine ist, reduziert auf notwendige leibliche Bedürfnisse einerseits, anderseits aber auch auf schickes, dabei Im Grunde überflüssiges weil modisches Dekor. Das Ziel: eingefahrene Denkschemata zu zerstören, den Blick für neues, überraschendes (weil bereits abgeschliffenes und darum keinesfalls mehr durchlebtes und wahrgenommenes) Geschehen zu öffnen und das Publikum zu Stellungnahme und Kritik aufzurufen.

Der Autor ist bis jetzt vor allem durch gängige Publikumsstücke bekannt. Aber es gibt auch noch einen anderen Bauer, der allerdings erst zu entdecken wäre. Welcher von beiden die größere Brisanz besitzt, ist abzuwarten.

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