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Digital In Arbeit

Woran denkt der Industrielle bei Nacht?

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Vor etwa Jahresfrist erschien in der amerikanischen Zeitschrift „Fortune“ ein Artikel mit der allerdings sehr amerikanischen Ueberschrift „Woran denkt der Leiter eines großen Industrieunternehmens, wenn er nachts nicht schlafen kann?“

Ich möchte hier etwas davon sagen, woran ich in solchen Nachtstunden denke.

Ich denke nicht an Bilanzen oder Neukonstruktionen oder große Investierungen oder an den Export oder die Konkurrenz. Anlaß zum ruhelosen Nachdenken, auch in der Nacht, ist nur die Tatsache, daß in einem großen Industrieunternehmen Menschen beschäftigt sind, in großer Zahl auf engem Raum, und Menschen sind keine Maschinen!

Menschen sind ganz anders konstruiert!

Den Wert einer Industrieorganisation machen nicht Gebäude und Maschinen aus, nicht Kapital und Bankkonto, sondern allein der Geist, in dem die Tausende dort Arbeitenden zu ihrer Arbeit und Aufgabe stehen, ob es gelungen ist, sie in der gemeinsamen Arbeit zusammenzufassen oder nicht. Maschinen und Fabrikeinrichtungen kann man nach Katalog kaufen, billige für ein paar tausend Mark und die teuersten um eine Million, und man kann Fabriken bauen, so groß und so schön und so teuer, wie man will, wenn man nur das Geld hat — den Geist einer Organisation kann man für kein Geld in der Welt kaufen, den muß man selbst schaffen, und da fehlt es allerdings nicht an schlaflosen Nachtstunden, die oft beglückend und oft verzweifelnd sind, die aber alle ein Thema haben: den Menschen im Betrieb.

Bewußt verwende ich den Singular. Die Menge ist wieder ein ganz anderes Problem, aber das kommt in zweiter Linie. In erster Linie steht: der einzelne Mensch im Betrieb, und gar nicht nur der Arbeiter, nein, auch der Prokurist, auch die Frau, auch der Lehrling, eben der Mensch in seiner ganzen Vielfalt.

Für meine Betrachtung bleibt die Tatsache, daß etwa in der von mir geleiteten Fabrik 30.000 Menschen zusammen sind, für die diese Fabrik ja mehr bedeutet und bedeuten muß als etwa nur die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fabrik ist vielmehr ein wesentlicher Teil des Lebens jedes einzelnen mit all seinen Sorgen und Erfüllungen und seinem meist doch so bescheidenen Wunsch nach ein wenig Glück, denn die Pflicht allein füllt kein Leben aus. Deshalb ist es auch eine ganz irrige Auffassung, es handle sich im wesentlichen immer um Lohn und Geld. Das ist nicht so. Es gibt Betriebe, ja ganze Länder mit sehr guter Bezahlung und miserabler Atmosphäre. Wie schon gesagt: den Geist im Betrieb kann man nicht mit Geld kaufen, auch nicht mit hohen Löhnen.

Auf der anderen Seite muß man aber auch die Gefahr sehen, die' nämlich, daß der Betrieb den Menschen auffrißt, daß er ihm nie entgehen kann, weder in der Arbeit noch in der Muße. Deshalb bin ich der Meinung, der Betrieb sollte so wenig wie irgend möglich Einfluß auf das Privatleben nehmen wollen, also keine Freizeitgestaltung — ein grauenhaftes Wort und ein schrecklicher Begriff. Es ist mehr als genug, wenn ein Mensch acht Stunden im Banne eines Betriebes steht — dann muß er frei und sein eigener Herr sein und tun können, was er will.

Ich glaube, die wesentlichste Voraussetzung dafür, dieses Zusammenarbeiten der Tausende fruchtbar zu machen und über das bloße technische Funktionieren des „Zusammenarbeitens“ hinauszuheben, ist die Einsicht, daß es keine Arbeiterschaft oder Belegschaft oder wie auch immer alle die Fachausdrücke eines in den letzten Jahren neu entstandenen Fachjargons lauten mögen, daß es also eine Arbeiterschaft als Kollektiv gar nicht gibt, sondern daß es sich um Tausende von Einzelpersönlichkeiten handelt, die weder idealisiert noch herabsetzend verallgemeinert werden dürfen, die eben die unübersehbare Fülle und Buntheit der Menschen im kleinen darstellen, mit ihren guten und schlechten Eigenschaften, mit allem Echten und Unechten, mit Idealismus und Konsequenz, viel mehr von Gefühlen und ganz irrationalen Antrieben beherrscht als von Logik und Konsequenz — Menschen eben, wie wir alle sind.

Es ist eine der ganz irrigen Vorstellungen, als sei die Tätigkeit etwa eines Arbeiters an einem Montageband von tödlicher Langeweile und eigentlich unwürdig; genau das Gegenteil ist der Fall. Diese Arbeit ist vielmehr voll immer neuer Probleme — man muß und kann sie so einrichten —, und ihre Bewältigung enthält Befriedigungen, die nicht klein sind, und in der Zusammenarbeit mit vielen liegt ein schönes Gefühl des Gleichschrittes und des Schaffens am gemeinsamen Werk. Dieses gemeinsame Werk, an dem alle arbeiten, zu einem lebendigen Erlebnis zu machen, zu einer Realität, die jedem seine Würde als Mensch und Arbeiter gibt und seine gewichtige Position für die Sicherung des Arbeitsplatzes und den Erfolg des Unternehmens, das bedeutet viel mehr Zusammenhang und Stärke als alle blutleeren Mitbestimmungserörterungen, die ja immer nur einige Funktionäre meinen, während ich jeden einzelnen Arbeiter im Sinne habe, wenn ich von Gemeinsamkeit der Arbeit spreche und danach handle.

Daß die Mehrzahl der in unserem Betrieb Tätigen keine jahrelange Lehre durchgemacht hat, bedeutet nicht, daß sie nichts können und zu leisten brauchen. Beides tun sie in hohem Maße, und das Endergebnis hängt in seiner Güte und Qualität genau so vom Menschen ab wie je. Anders geworden sind nur die Dimensionen, die Intensität, die Beherrschung des Materiellen.

Wenn wir schon vor Jahren begonnen haben, unsere Arbeiter und Angestellten am Gewinn zu beteiligen, dann nicht, v/eil so etwas in der Luft liegt, sondern aus der Ueber-zeugung, daß das ein Gebot der Gerechtigkeit ist und daß hierin der vielleicht einzige praktisch gangbare Weg liegt, die Mitarbeit jedes Werkangehörigen heranzuziehen und sinnvoll zu machen. Wenn schon die Liebe durch den Magen geht, wie der Volksmund sagt, dann dürfen Sie sicher sein, daß ein gutes, dauerhaftes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht auf Schwüren in der Romantik einer Vollmondnacht aufgebaut werden kann. Dazu gehören einfache und klare und innerlich wahrhaftige Voraussetzungen, Kapital und Arbeit sind die' Komponenten, die zum Erfolg geführt werden können, also sollen auch beide am Ertrag beteiligt sein.

Es scheint mir kein richtiger Weg zu sein, den Arbeiter am Besitz, des Unternehmens zu beteiligen. Solcher Besitzanteil enthält Risken, denen der Arbeiter nicht gewachsen ist und die man von ihm fernhalten sollte. Am Ergebnis der gemeinsamen Arbeit dagegen ist der Arbeiter zweifellos beteiligt, und diesen Anteil sollte man ihm gewähren, weil er ihn verdient. Ich meine, daß es einer der großen und weit verbreiteten Irrtümer ist, im Arbeiter immer nur den Fordernden zu sehen, der etwas will. Er ist in diese Rolle ein wenig durch die allzu geschäftigen Funktionäre der Gewerkschaften hineingespielt worden, ebenso wie manche Unternehmen etwas Aehnliches mit den Syndizi ihrer Verbände erleben — beides kein Gewinn. Nein, der Arbeiter bringt ja auch etwas ganz Wesentliches, und damit ist er Partner des Ergebnisses und keinesfalls ein Außenstehender, ein bloßer Kostenfaktor, den man gern kurz hält.

Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die demagogische Parole von der Ausbeutung des Arbeiters so lange nichts von ihrer Zugkraft einbüßt, wie wir ihr nicht das Gegenteil als Realität gegenüberstellen. Wen übrigens die von mir so kategorisch ausgesprochene Forderung nach einer Gewinnbeteiligung des Arbeiters als allzu neu oder modern erschreckt, den möchte ich an den hübschen und lebensklugen Vierzeiler von Goethe erinnern:

Mann mit zugeknöpften Taschen,

dir tut niemand was zulieb.

Hand wird nur mit Hand gewaschen.

Wenn du selber haben willst, dann eib.

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