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Wortwanderungen zwischen Ungarn und osterreich

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Jede Sprache hat eine Anzahl von Fremd-und Lehnwörtern, die sich unter die volkseigenen Wörter gemischt haben und oft trotz Anfeindung hartnäckig lieber gebraucht werden als die bodenständigen Synonyme; Sehr oft hat aber das Fremdwort kein genau gleichbedeutendes Wort m der Sprache; denn es ist mit einem Begriff in das Land gekommen und muß weiter genau diesen Begriff veranschaulichen, wenn es auch oft nur um ganz feine Nuancen geht.

Die Beschäftigung mit fremden Ausdrücken in einer Sprache ist nicht nur sprachwissenschaftlich interessant, sondern auch kulturgeschichtlich und allgemein geschichtlich. Die Völker der früheren österreichisch-ungarischen Monarchie bieten für solche Betrachtungen ein besonders reiches und dankbares Gebiet. Das Jahrhunderte währende Beisammensein verschiedener Nationen in einem Staat hat auch in sprachlicher Hinsicht eine weitgehende Befruchtung möglich gemacht, ja begünstigt. Im folgenden soll von ungarischen Ausdrücken erzählt werden, die offenkundig Zusammenhang mit Wiener Dialektausdrücken haben.

Das Wort kellner, das neben dem ungarischen pincer verwendet wird, ist wie der streber (kapaskodö), svindler (szelhamos), fön (hajszärito), copf (hajfonat und mara-disag) und das pech (baj) nicht unbedingt aus dem Wienerischen ableitbar. Man könnte sich die Einwanderung dieser Wörter auch aus anderen deutschen Sprachgebieten vorstellen.

Eindeutiger wird die Sache schon beim „bakfis“ (auch süldö leäny), der meist „fess“ (esinos, takaros, helyes) oder „hercig“ (ked-ves) ist. Denn besonders fesch und herzig sind Wiener Ausdrücke und auch beim Backfisch hört man infolge der Eigenart der ungarischen Aussprache das tiefe, dem o ähnliche a der süddeutschen Mundarten. Der wienerische „Feschak“ freilich, womit man einen ortseigentümlichen Typ bezeichnet„ dürfte ein Rückwanderer sein.

In trucc für Trotz haben wir die österreichische Form dieses Wortes klar vor uns. Die Mutter sagt ja auch zum Buben: „I wer dir den Trutz schon austreibn!“ Auch der pucc (eifrasag) findet sich in der Begriffswelt der Wiener häufig. „De treibt an Putz!“ heißt es da von eitlen Frauenzimmern. „I bring Ihna an ganzn Pack Briaf“, meint der Briefträger und wir finden das Wort pakk im ungarischen mit einem beinahe gleichen a wieder. Der „Jux“ aber, der bodenständiger Wiener ist, wenn er auch vom lateinischen iocus abstammt, hat seinen Zwillingsbruder im ungarischen juksz (trefa).

Daß ein Zug nicht nur auf Schienen fährt, sondern daß man auch im Zug aufpassen muß, nicht „in den Zug“ zu kommen, wissen wir. Der Ungar hat mit dem Begriff gleich das Wort cüg übernommen, wenn er auch legvonat dafür sagen kann.

Es gibt Fremdwörter, die schon bei uns solche sind, ohne Zweifel jedoch über Österreich nach Ungarn wanderten. Das malör (baj) kommt bestimmt nicht direkt aus dem Französischen, denn es ist ein für das Wienerische zu bezeichnendes Fremdwort. Auch die matüra ist ein österreichischer Begriff und ebenso charakteristisch wie die Gage, die im Ungarischen zur gäzsi (havi fizetes) wird. Das takszi endlich kann seine Wiener Herkunft schon gar nicht verleugnen.

Vollends in die Vorstadt wird man versetzt, wenn man „abeug“ für Pfui hören muß (wieder das ähnliche a!). Man hört förmlich die „Pülcher“ den eindeutigen Pfiff „Ziag a!“ pfeifen. Daß die etwas sehr familiären trampli und trottli auf die so wenig schmeichelhaften, Wiener Koseworte Trampel und Trottel zurückzuführen sind, leuchtet ein. Es ist überhaupt bezeichnend, wie schnell sich Schimpfworte usw. in anderen Sprachen festsetzen, oft ohne überhaupt verstanden zu werden. Denn so mancher Österreicher gebraucht den Fluch „bassama teremtete“, wobei er freilich nicht ahnt, daß er damit eine Gotteslästerung ausspricht. Aber die Worte rollen so schön und klingen kräftig, das genügt ihm.

„Geben S' mir an Spritzer!“ sagt der Wiener an heißen Tagen und will keineswegs etwa im Sommer von einem Gärtner angespritzt werden, sondern damit einen ..Gespritzten“ bestellen, einen mit Sodawasser verdünnten (gespritzten) Wein. Der Ungar kennt natürlich den spriccer und meint dasselbe. Zahlt einer den Spritzer nicht, so „blitzt“ er den Ober, er prellt die Zeche. Im Ungarischen bliccel, der Zechpreller ist ein blicellö.

Meistens geben Leute mit solchen Gewohnheiten bei Befragen eine „linke“ Adresse an, wobei in Wien jeder weiß, daß es sich um eine unechte, falsche Anschrift handelt. Der Ungar versteht unter dem ausgeborgten Wort link ebenfalls nicht etwa links, das bal heißt, sondern falsch, unecht.

Der pek ist auch sofort als Fremdwort für „Bäck“ zu erkennen, noch dazu da backen (Brot) sütni heißt. Wir hören an dem Klang des ungarisch ausgesprochenen Wortes die Herkunft aus der Wiener Vorstadt.

Es wäre noch der jassz eine sehr bemekenswerte ungarische Entlehnung aus dem Wienerischen. Man bezeichnet damit vulgär die niedrigste Schicht der Großstadt. In Wien versteht man unter einem Jaß allerlei, oft schwanken die Bedeutungen nach Bezirken in ihren feinen Unterschieden. Immer aber ist der Jaß eine Art „Pülcher“, ein „Plattinger“, gehört also den unteren Schichten an. Jassznyelv (wörtlich Jaß-SDrache) nennt der Ungar die Gaunersprache und wir befinden uns auch bei diesem Wort bereits an der Grenze zwischen Dialekt und Rotwelsch.

Doch auch der Wiener hat aus dem Ungarischen mancherlei entlehnt, denn der Mulatschak (mulatsag) ist in Wien genau so zu Hause wie in Budapest oder anderswo in Ungarn. Eigentlich heißt es nur Unterhaltung (von mulatni, unterhalten), bedeutet aber im besonderen darüber hinaus eine ausartende Unterhaltung mit Zerschlagen von Gläsern und tollen Ausgelassenheiten. Der Wiener versteht dasselbe darunter, oft gebrauchter den Ausdruck schon für einen längeren und ausgedehnten „Drahrer“.

Die „Gattehosn“ ist im Grunde genommen ein Pleonasmus, zumindest was die Hosen angeht. Gatja heißt schon Unterhose, der Wiener hat also eine Unterhosenhose konstruiert. Er gebraucht das Wort aber gern und oft, wenn die meisten auch nicht wissen, woher es stammt. Es wird vielen Ungarn bei den anderen, vorher aufgezählten Wörtern wohl ähnlich gehen.

Zwei grammatikalische Eigenheiten seien noch erwähnt, ohne dabei eine Behauptung über Ursache und Wirkung aufzustellen. Die Konstruktion des Genetivs ist im Dialekt genau dieselbe wie im Ungarischen. Wenn der Ungar az atya (nak) haza für „das Haus des Vaters“ sagt, so folgt der Dialekt mit „dem Vater sein Haus“ beinahe wortwörtlich dem Ungarischen.

Ebenso vermeidet man in den österreichischen Dialekten zum Unterschied von den Reichsdeutschen und der Schriftsprache bei der Erzählung die Mitvergangenheit und verwendet lieber die Vergangenheit. Von jemand, der statt „i bin gangen“ „ich ging“ sagt, heißt es: „Der red't aber g'spreizt!“ Im Ungarischen ist das Imperfekt ebenfalls nur in der geschriebenen Sprache erlaubt, sonst klingt es gekünstelt.

Die Grenzen, die Gesetze und viele andere Dinge haben sich geändert, neue Formen sind geworden, eine neue Lebenshaltung ist entstanden. Auch die Sprachen haben sich weiterentwickelt, manches abgestoßen, anderes wieder aufgenommen. Sie bewahren uns aber doch treulich viele interessante Dinge, die in anderem Zusammenhang wohl schon vergessen wären. Wir sehen, daß zs Verbindungen gibt, die ohne Vertrag und Klausel besser die Zeiten bestehen als andere, die feierlich gelobt wurden. Und es ist keineswegs ein Zufall, daß sich diese Verbindungen gerade in der Sprache des einfachen Volkes erhalten haben.

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