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Wunder und Zeichen

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Friederike Maria Zweig gibt uns mit ihrem Buche „Wunder und Zeichen“ eine Reihe von Essays; die von dem Gedanken, eine einheitliche Linie in der Vielheit der Erscheinungen des 13. Jahrhunderts zu finden, zusammengehalten werden. Kaum eine Zeit war an Widersprüchen reicher als diese. Was wir geistig als Gotik erkennen, ist das große aufsteigende Bemühen, emporzugelangen in die hohe Sphäre der Erfüllung, Ist der Drang, sich den Anfeditungen, Niedrigkeiten und Verstrickungen zu entziehen. Aus der Flut seelischer Krisen ragen übergroß die Gestalten auf, die sichtbar um die göttliche Wahrheit und Gnade ringen. In tiefer Dienetbereit-schaft nehmen sie das Kreuz Christi auf sich. Diese Nachfolge ist eine Rettung aus zeitbedingten Gefahren, erzeugt Jedoch auch einen derart gesteigerten Idealismus, daß Gewinnsucht und Laster unter der Flagge größter Tugenden das Bild des 13. Jahrhunderts trüben.

Nur in einer Epoche, in der sich das Unwirkliche, das glühend Beseelte so sehr verlebendigt wie in eben diesem Säkulum, können die ekstatischen Unternehmungen der Kinderkreuzzüge entstehen. Aber schon' in ihrer Nähe sehen wir Franz von Assisi, dessen Geschichte, in helles Licht getaucht, uns Andacht und glückseliges Staunen schenkt. Unvergessen und unerloschen tönt der Wohlklang seines Wesens, seiner Srhliditheit, Demut und Größe bis in unsere Tage. Die Erntezeit franziskanischer Aussaat scheint gekommen, da Ludwig IX. von Frankreich, der Heilige, „le bon roi“, sein Königtum als eine Statthalterschaft Gottes zugunsten der Bedrängten und Heimgesuchten betrachtet. Auf der deutschen Wartburg, zu Anfang des Jahrhunderts eine Helmstätte zahlreicher Dichtersänger, finden wir die heilige Elisabeth In schwerem Kampf, das Leben einer Fürstin mit dem einer Demütigen zu verbinden. Unter den Adelsleuten, die ihren Gatten bei seinem Kreuzzug begleiten, treffen wir jenen Grafen von Gleichen an, der nach seiner Heimkehr mit zwei Frauen lebt, der thüringischen Orla-münde und der Sultanstochter, die ihn aus seiner Gefangenschaft unter der Bedingung befreit, daß er auch sie ehelicht.

Wir begegnen in diesem Jahrhundert Kaiser Friedrich II., In seiner geistigen Reife, seinem Drang nach Erkenntnis eine vielfarbige Gestalt vor dem Goldgrund des von ihm geliebten Ostens. Richard Löwenherz gerät auf seinem Kreuzzug in einen verhängnisvollen Konflikt mit Leopold von Österreich und muß schließlich dem großen Sultan Saladin Jerusalem überlassen. In Saladins Abschiedsbrief an seinen Sohn finden wir die Worte: „Vergossenes Blut kommt nie zur Ruhe. Ich empfehle dich dem allerhöchsten Gott, dem Quell aller Güte.“

Albertus Magnus, einer der großen Enzyklopädisten des 13 Jahrhunderts, macht die Werke des Aristoteles durch seine Kommentare dem christlichen Abendland zugänglich. Thomas von Aquin, ein Genus der Weisheit, stellt die Beziehungen des eingebrachten Schatzes zur Gegenwart her und schafft selbst bleibendes Gedankengut. Leo XIII. befürwortete seine Lehre und bezeichnete sie als mustergültig; sie ist in unseren Tagen wieder lebendig geworden. Künstler, wie Cimabue und später sein Schüler Giotto und wieder dessen Schüler, bemalen zu allgemeiner Betrachtung die Wände der Kirchen, Dante steht wie ein erratischer Block zwischen dem 13. und dem 14 Jahrhundert,

Wir lesen von strengen Gesetzen über das ärztliche Studium, die unter anderem besagen, daß die Ärzte sich einem fünfjährigen medizinischen Unterricht zu unterziehen hatten und ein weiteres Jahr einem erfahrenen Arzte assistieren mußten, ehe sie selbständig ihre Kenntnisse an Kranken versuchen durften.

Wenn wir uns in Leben und Leiden der Menschen jenes in seiner Art großen Jahrhunderts vertiefen, ernten wir Saatkörner für den aufgewühlten Boden unserer eigenen unruhigen, brodelnden Zeit. Friederike Maria Zweig schuf mit ihrem von Franz Theodor Csokor aufs verständnisvollste eingeleiteten Buche, dessen Vielheit wir nur durch kurze Hinweise andeuten konnten, da6 Mosaikbild einer widerspruchsvollen und doch auch für uns, historisch und moralisch gesehen, bedeutsamen Epoche. Die Sprache ist etwas zu spröde, die Fülle der geschichtlichen Aufzählungen manchmal zu wenig aufgelockert, um der großen Allgemeinheit das Werk so nahezubringen, wie es das Thema verdienen würde. Eine kleine Anzahl guter Bilder beweist eine sorgfältige Auswahl.

Die Schaukel. Roman. Von Annette K o 1 b. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 205 Seiten.

Ein eigenartiges, helldunkle6 Buch, das sich mit seinem Vor- und Nachgreifen der Zeit (es beginnt mit einem kleinen Kapitel „Nachspiel', wie ja auch Anette Kolbs Mozart-Biographie gewissermaßen mit dem Schluß anfängt) wie unter Licht- und Schattenreflexen liest, während die Wellen vergangener Münchener Zeit das Echo einer hellhörigen Kindheit herantragen Dieser „Roman“ besteht eigentlich aus Impressionen, die bald lebhaft und deutlich rauschen, bald in Katarakten abgekürzt dahinstürzen und an einer Familie mit ihren Wider6pielen, namentlich an den drei Mädchengestalten färben- und lautreich aufstäuben In wachen Traumbildern wechseln Szenen im Plauderton, und selbst wo Tragisches aufklingt, liegt rätselhaftes Lächeln darüber Vielleicht ist an diesem Buch am schönsten die Katholizität, die hinter allen Wolken stets den Himmel weiß. Was dem Buch „den Zauber und die Originalität“ gibt, sagt Hennann Hesse über diesen autobiographischen Skizzenring, ist der Autorin Heiterkeit, die 6tets bereit ist, „sich der Tragik zu erinnern“, und daß ihre Trauer stets gewillt ist, „unterwegs eine Blume zu pflücken, über eine hübsche Nichtigkeit zu lächeln“. — Da6 neuaufgelegte Buch mit zarten Schutzumschlag- und Einbandzeichnungen E. R. Weiß' i6t vorbildlich aufgemacht.

Prof. Dr. Thomas O. Brandt

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