Werbung
Werbung
Werbung

Lou Andreas-Salomés Debütroman sowie eine Bildbiographie bieten Einblicke in Literatur und Leben einer faszinierenden Frau.

Lou Andreas-Salomé wies 1899 in ihrem Aufsatz "Ketzereien gegen die moderne Frau" die Forderung ihrer Freundin Frieda von Bülow zurück, man solle nicht "männliche Maßstäbe an weibliche Literatur" anlegen. Die Neuausgabe von Andreas-Salomés Debütroman Im Kampf um Gott (1885) zum 70. Todestag der Autorin am 5. Februar macht nun nachprüfbar, wie sich ihre eigenen Romane dazu verhalten.

Im Kampf um Gott ist der autobiografische Bericht eines alten Mannes, dessen Leben etliche Frauenleichen pflastern. Der im Titel verankerte Grundkonflikt hat seine fatalen Wurzeln im doktrinären Charakter des Vaters, eines starrköpfigen protestantischen Landpfarrers. Er bestimmt seine beiden Söhne zum Priesteramt, doch der Erzähler wie sein jüngerer Bruder Rudolf verlieren beide ihren Glauben, wenn auch auf mit unterschiedlichen Konsequenzen. Der Erzähler hat die Härte des Vaters geerbt, er rebelliert, nimmt den offenen Kampf gegen den Vater auf und studiert Medizin. Rudolf ist schwach von Konstitution und Charakter, er fügt sich und flieht in Melancholie und Sarkasmus.

Der Erzähler ist als faustischer Charakter gezeichnet. Dem ewig Weiblichen nähert er sich nur phasenweise an, um es dann jeweils radikal hinabzustoßen. Den Auftakt macht die Studentin Margherita. Sie tritt zunächst durchaus selbstbewusst auf, und versteht die Kommilitonen burschikos auf Distanz zu halten. Doch zum Studium war "wahrscheinlich ihr Geist, aber gewiß nicht ihr Wille" befähigt. So sieht es der Erzähler, der sie bald darauf ohne besondere Emotionen "zum gefallenen Mädchen" macht. Tatsächlich hört Margherita zu studieren auf, wird eine Art Kurtisane und nimmt sich später das Leben, um ihrer großen Liebe nicht lästig zu fallen.

Huren und Lichtgestalten

Das zweite Opfer ist Jane, die Jugendfreundin des Erzählers; eine madonnenhafte Lichtgestalt, moralisch integer und in sich ruhend, die in unglücklicher, kinderloser Ehe mit einem nüchternen Geschäftsmann lebt. Auch sie wird für eine Nacht die Geliebte des Erzählers, trägt noch das gemeinsame Kind aus und stirbt.

Das dritte Opfer wird dieses Kind, an das sich der Erzähler viele Jahre später erinnert. Er zieht in den Ort, wo die kleine Marie zur Pflege ist, und beginnt sie nach seinem Willen umzuformen. Die Zurichtung beginnt mit einer Umbenennung: aus dem Kind Marie wird sein "Märchen". Er kämpft gegen den Einfluss der Pflegemutter, macht sich das Kind gefügig und verschweigt ihm die Wahrheit über ihre Beziehung. An ihrem 17. Geburtstag will er sich als Vater zu erkennen geben, aber da hat sich "Märchen" schon in ihn verliebt und Rudolf in Märchen - überleben wird die selbst gemachte menschliche Katastrophe nur der robuste Erzähler.

Sprachlich ist das Buch ganz im 19. Jahrhundert verankert, ohne jeden Bezug zum gerade einsetzenden naturalistischen Aufbruch Richtung Moderne, und das gilt - selbst verglichen mit zeitgenössischen Erzählentwürfen von Autoren - auch für die aufgezeigten Rollenbilder. Die Frauenfiguren dürfen keinen Schritt aus ihrem engsten Kreis heraustreten, sie haben ihre "Bestimmung" zu erfüllen als Madonna (Jane), Hure (Margherita) oder Jungfrau (Märchen). So gesehen gibt es tatsächlich keinen Grund, an dieses Buch nicht "männliche Maßstäbe" anzulegen. Rosa Mayreder hat bereits 1901 auf das Problematische von Lou Andreas-Salomés Frauenbild hingewiesen, das die Frau als ein "auf sich beruhendes und in sich vollendetes Wesen" definiert.

Über das Leben der einstigen Kultfigur Lou Andreas-Salomé informiert das Nachwort von Hans-Rüdiger, der hartnäckig auf dem amikalen "Lou" besteht, eine Respektlosigkeit, die hiermit auf ihn übertragen sei.

Erotisches Missverständnis

Einen raschen und kulinarischen Lebensabriss bietet die Bildbiografie (der auch die Abbildungen auf dieser Seite entnommen sind), mit Textzitaten aus Briefen, aus Andreas-Salomés Tagebuch und ihrem "Lebensrückblick", zusammengestellt von Ursula Welsch und Dorothee Pfeiffer. Lou Salomé wird 1861 in Petersburg in ein streng pietistisches Elternhaus geboren. Hier verlebt sie die Kindheit mit einer berührungsfeindlichen Mutter und fünf älteren Brüdern. Das von ihr so empfundene Initialerlebnis des Glaubensverlusts und der existenziellen Einsamkeit führt zum ersten erotischen Missverständnis: Ihr Beichtvater nimmt die Glaubenssorgen weniger ernst als ihren jugendlichen Charme, ein Muster, das sich in der Beziehung zu Friedrich Nietzsche wohl wiederholt hat. 1880 beginnt sie ein Studium in Zürich, muss es aber 1881 aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Die soziale Überforderung im Männerbiotop Universität hat damals bei auffällig vielen jungen Frauen zu Blutstürzen etc. geführt, die zum Studienabbruch zwangen.

Lou Andreas-Salomé macht ihren Weg auch ohne Abschluss. Nach Aufenthalten in Rom - hier lernt sie Nietzsche und Paul Rée kennen - und der Schweiz, geht sie mit Paul Rée nach Berlin, wo die beiden einen intellektuellen Kreis um sich scharen. 1887 heiratet sie den Orientalisten Friedrich Carl Andreas, die Ehe scheint glücklich gewesen zu sein, trotz ihrer späteren Affären - literarhistorisch am bekanntesten die mit Rainer Maria Rilke. 1895 reist sie das erste Mal nach Wien und begeistert die aufstrebenden Autoren rund um Schnitzler und Beer-Hofmann, ihr Urteil galt "als inappellabel", so Felix Salten im Rückblick.

Modellhafte Analysen

Ab 1895 schreibt sie eine Vielzahl von Novellen und Romanen, die zum Teil ihre Beziehungen und Freunde modellhaft analysieren. Entscheidend wird die Begegnung mit der Psychoanalyse 1911. Sie befreundet sich mit Anna Freud, wird Mitglied der Psychoanalytischen Gesellschaft und eröffnet 1913 in ihrem Göttinger Haus selbst eine Praxis. Die Biografie, die das gesamte Fotomaterial leider eintönig gleich einfärbt, zeichnet das Bild einer faszinierenden Frau von großer Ausstrahlung und intellektueller Wendigkeit. Noch im Alter von 66 Jahren spricht sie von ihrer Neugierde, "was im Wunderknäul ,Leben' es wohl noch alles abzustricken geben wird, so daß die drein eingegarnten Überraschungen einem dabei in den Schoß fallen".

Kritische Reaktionen und Reflexion auf Person und Werk bleiben in diesem Band weit gehend ausgespart. Mit hagiografischer Ehrfurcht bekommt man allerdings Autorinnen, die immer auch auf Widerstände und Vorurteile stießen und selbst Widersprüche in sich trugen, schwer zu fassen. Immerhin erfahren wir, dass der Psychologe Hermann Ebbinghaus den Debütroman Im Kampf um Gott als "Nonnenphantasien" abtat. Trotzdem darf Lou Andreas-Salomés zweiter Prosaband Aus fremder Seele mit Spannung erwartet werden, den der Deutsche Taschenbuch Verlag für kommenden Herbst ankündigt.

Im Kampf um Gott

Roman von Lou Andreas-Salomé

Nachwort von Hans-Rüdiger Schwab

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007. 298 Seiten, kart., € 11,90

Lou Andreas-Salomé

Eine Bildbiographie von Ursula Welsch, Dorothee Pfeiffer. Verlag Reclam Leipzig, Leipzig 2006. 200 Seiten, geb., € 20,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung