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Zeit und Zukunft

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Für die Mehrzahl der Bewohner Österreichs sind die fünf Jahrzehnte erlebte Zeitgeschichte. Aber es wäre falsch, an solchen Tagen nicht auch an die Zukunft zu denken. Wie wird sie aussehen? Ein Glück, daß das niemand mit Sicherheit voraussagen kann. Aber eines spüren wir alle, daß nämlich die Welt von heute kleiner geworden und großen Wandlungen unterworfen ist. Wenn eines Tages in einem Winkel dieser Erde ein Ereignis von mehr als lokaler Bedeutung eintritt, dann hört und sieht es wenige Stunden später die ganze Welt.

Es ist noch kein Menschenalter her, daß wir die ersten Radioapparate mit ihren Kopfhörern und den langen Antennen neben den Häusern bestaunten. Mit Staunen waren wir erfüllt, als der „Zeppelin“ durch die Lüfte zog. Heute brauchen wir zum Radiohören weder Kopfhörer noch Antennen, und der Zeppelin ist Vergangenheit, denn die modernen Verkehrsmaschinen bringen den Europäer in wenigen Stunden über das große Meer nach Amerika. Eine bemannte Mondlandung gehört nicht mehr in das Fabelreich des Jules Verne, sondern scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein.

Doch hier sollen Überlegungen zu einem Thema angestellt werden, das uns — ob wir es wollen oder nicht — eigentlich alle angeht, nämlich über die Politik. Am 13. November beschloß der Nationalrat ein Gesetz über die Herabsetzung des Wahlalters. Die Landtage werden ähnliche Beschlüsse fassen, und die junge Generation kann um ein Jahr früher das politische Geschehen mitgestalten, um ein Jahr früher in Gemeindestuben, Landtage und Parlamente einziehen. Handelt es sich bei diesen Beschlüssen nur um eine platonische Verbeugung vor der heranwachsenden Generation oder erwarten die politischen Parteien, daß die Jugend tatsächlich stärker am politischen Geschehen teilnimmt? Sind die politischen Parteien aber auch bereit, jungen Menschen den Weg in das politische Leben zu eröffnen?

Das politische Interesse der Jungen

Das sind berechtigte Fragen, auf die allerdings eine richtige Antwort schwer zu finden ist. Daß es sich nicht nur um eine platonische Verbeugung handelt, haben die berufenen Sprecher der politischen Parteien wiederholt bekundet. Wie sieht es aber mit dem Interesse der jungen Menschen am politischen Geschehen aus? Es ist absolut zu begrüßen, daß Schulklassen immer wieder Parlamentssitzungen besuchen, aber der WK'IHIWW - jt inwfw iiii rn winwn i .. M

unparteiische Beobachter hat den Eindruck, daß nur wenige der jugendlichen Galeriebesucher tatsächlich mit echtem Interesse den Vorgängen im Hohen Haus Aufmerksamkeit schenken, sondern einen Parlamentsbesuch als eine Abwechslung im Schulalltag betrachten. Wer, immer mit jungen Menschen in ein' Gespräch kommt, wird feststellen, daß das Interesse der Jugend für politische Dinge sehr gering ist. Liegt das nur an der Jugend? Vielleicht haben daran auch die Politiker selbst ein volles Maß an Schuld. Allerdings nicht nur diese, sondern auch gewisse öffentliche Meinungsmacher. Was sollen zum Beispiel Studenten an unseren Hochschulen denken, wenn eine für angehende Akademiker geschriebene Zeitschrift auf der Umschlagseite ein Bild des Parlaments mit der Aufschrift „Kampf der Verblödung“ zeigte? Daß im Innern der gleichen Zeitschrift mit verschiedenen Politikern scharf ins Gericht gegangen wurde, versteht sich nach dem Titelblatt eigentlich von selbst.

Die „politischen Witwen"

Daß eine Verjüngung der Landtage und des Parlaments notwendig ist, wird niemand bestreiten, aber Politik ist eine sehr nüchterne Angelegenheit. Utopisten werden auf dem parlamentarischen Parkett kläglich scheitern, denn ein wirklicher Politiker muß mehr als ein bloßer Interessen- oder Gruppenvertreter sein. Er muß also mit dem Volk in einem lebendigen Kontakt stehen und über den eigenen Zaun hinausblicken können. Aber noch eine Eigenschaft muß ' ein Politiker, will er seine Pflicht erfüllen, in hohem Maße besitzen, nämlich die Opferbereitschaft. Nicht im materiellen Sinn! Der Politiker muß auf viele angenehme Dinge des Lebens und vor allem auf viel Freiheit verzichten. Man übersieht nur allzu gern, daß der Politiker eigentlich kaum ein geregeltes W——I -

Familienleben hat. Bei einem beson- deren Anlaß nannte einer der Großen unseres Landes die Frauen der Politiker die „politischen Witwen“!

Nun sollten die Politiker nicht nur über das mangelnde Interesse der Jugend klagen, sondern ab und zu ihr Gewissen erforschen, ob sie selbst für die jungen Menschen Vorbilder sind, denen nachzueifern es sich lohnt. Kehren wir zum Parlament zurück. Auf den Rängen sitzen junge Menschen, und unten im Saal brodelt und kocht es. Da gibt es Geschrei von allen Seiten. Geben wir zu, im Parlament kann man anscheinend nicht mehr diskutieren, sondern glaubt, durch Schreien den politisch Andersdenkenden mundtot machen zu müssen. Gewiß, man soll nicht verallgemeinern, aber allzuoft verläßt man mit echter Besorgnis den Sitzungssaal. Eine Unsitte hat sich eingebürgert, die eine echte Gefahr darstellt: die lautesten Radauszenen ereigenen sich in der Regel dann, wenn Rundfunk und Fernsehen eingeschaltet sind. Dr. Maleta hat einmal festgestellt, daß das Parlament kein Kindergarten ist. Aber was sollen die Staatsbürger von einem Parlament denken, das sich in den Abendstunden über Radio und Fernsehen als schreiende und tobende Menge präsentiert? Dann sieht nämlich der Staatsbürger nicht die viele und positive Arbeit, die von den Volksvertretern zu leisten ist, sondern . er wird sich ein vollkommen falsches Urteil bilden.

Unsere Demokratie

Steht also die Demokratie in Österreich auf starken oder auf schwachen Füßen? Eine Antwort darauf ist nicht leicht zu geben, denn weite Kreise der Bevölkerung zeigen sehr wenig Interesse an Fragen des öffentlichen Lebens, es sei denn, ihre persönlichen Angelegenheiten werden von einer politischen Entscheidung berührt. Allerdings wird man auch zugeben müssen, daß — und das ist keineswegs nur eine österreichische Erscheinung — das Ansehen der Politiker nicht hoch im Kurs steht. Es ist billig, in Kabaretts und Boulevardzeitungen Politiker verächtlich zu machen. Damit schadet man weniger den Politikern als vielmehr der Demokratie. Das ist der erste Schritt, dem bald der Ruf nach dem „starken Mann“ folgt, der „Ordnung“ macht. Und das Ende?

Die ältere Generation wird sich mit Entsetzen an die Zustände in der „Weimarer Republik“ erinnern. Auch damals wurden Politiker diskriminiert, und sie versagten in den Stunden ernster Entscheidungen. So konnte sich ein Abenteurer ein Millionenheer von Anhängern verschaffen. Er beseitigte nicht nur die Demokratie, sondern führte sein Volk und darüber hinaus ganz Europa in unsägliches Leid und er hinterließ einen Trümmerhaufen. Was soll damit gesagt sein? Es gilt, heraufziehende Gefahren rechtzeitig zu erkennen, die Demokratie im Bewußtsein der Staatsbürger zu verankern und immer daran zu denken, daß die Demokratie die schwierigste Regierungsform, aber immer noch die beste ist. Wahre Demokratie heißt aber auch, im Nebenmenschen nicht den Feind sehen, sondern mit friedlichen Mitteln und besseren Argumenten aufzuwarten, als sie der andere hat.

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