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Zeitgenssische franzsische Graphik

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Nach sieben langen Jahren künstlerischer Abgeschlossenheit zeigen französische Graphiker unserer Zeit in einer repräsentativen Schau lebendige Kunst des Auslandes, bieten sie uns die Möglichkeit, von den Strömungen internationalen Kunstschaffens Kenntnis zu nehmen. Alte Bekannte und neue Namen sind mit interessanten und qualitativ wertvollen Blättern vertreten, die in ihrer Gesamtheit ein treffendes Bild französischer Gegenwartkunst geben.

Wir sind den Wegbereitern und Schöpfern dieser graphischen Ausstellung, General Bthouart und Commandant Andri R i v a u d, außerordentlich dankbar für diese noble Geste künstlerischer und menschlicher Freundschaft, vor allem auch schon deshalb, weil sie den heimischen Graphikern so manche Anregung zu geben vermag. Wir spüren endlich wieder den Atem der Welt.

Grundsätzlich muß gesagt werden, daß uns diese Ausstellung nichts Umwälzendes, nichts unerhört Neues bringt. Von den sieben Jahren, die wir vom künstlerischen Weltgeschehen abgeschnitten waren, sind sechs von dem furchtbarsten aller Kriege erfüllt gewesen, und rauhe Kriegszeiten sind keine Förderer kulturellen Schaffens. Sie vermögen dem künstlerischen Genius nichts xu geben außer eine Fülle niederdrückender Gesichte des Leides und Grauens, wie sie in den aufwühlenden Zeichnungen Leon D e-1 a b r e s niedergeschrieben sind. Erst nach und nach kann sich aus dem Chaos, das dieser Krieg in Europa hinterlassen hat, wieder neues künstlerisches Leben entwickeln, aber nicht auf den ausgetretenen Bahnen der Vorkriegszeit, deren politische und weltanschauliche Zerrissenheit jede Keimen erstickte. Sobald der Gesundungsprozeß, den heute die ganze Welt unter Schweren Fieberschauern mitzumachen hat,' die Konturen einer neuen Menschheitsord-; nung abzuzeichnen imstande ist, werden sich' auch auf künstlerischem Gebiete die neuen, zum Teile schon erkennbaren Ansätze ent-j wickeln können. Sie werden nicht aus formalen künstlerischen Experimenten erwachsen, sondern aus den innersten Tiefen menschlichen Empfindens, das sich der göttlichen Sendung der Kunst bewußt geworden ist.

Ein Hauch dieses neuen Wollen weht uns an aus den vier Blättern des groß aufgebauten „Miserere“ von Georges R o u a u 11, die in ihrer geschlossenen Komposition und der erdrückenden Wucht ihrer leidgeladenen Darstellung tiefsten Eindruck hinterlassen. Wir spüren diesen Hauch auch in der herbstrengen, fast mittelalterlich anmutenden Graphik von Darage in dessen „Passion de N. S. Jesus-Christ“. M a t i s s e zeigt sich immer von neuem als Meister linearer Ausdruckskunst, seine Studienköpfe sind ganz auf charakteristische Linien zurückgeführt. D u f y, Jean Pom, Adam und andere ihnen geistig verwandte Graphiker dieser Ausstellung haben anscheinend noch nicht den endgültigen Weg gefunden, der sie aus den Versuchen zu wirklich neuer Gestaltung führen müßte. Ihre Arbeiten sind zweifellos interessant, aber hinterlassen doch noch den Eindruck einer gewissen Zwiespältigkeit, die ihren Grund im Mangel innerer Klärung haben! dürfte.

Ein Umstand macht diese graphische Schau durchaus erfreulich, und das ist der feine, geläuterte Geschmack, der aus alter Kultur gewachsen ist und alle Kraßheiten vermeidet, selbst dort, wo das Thema dazu verleiten könnte. Dazu kommt wohl auch in den meisten Fällen eine erstaunlich starke Naturverbundenheit, die aus der Fülle wundervoller Landschaftsblätter zu dem Betrachter spricht.

Wie fein abgewogen, von zarten Stimmungen erfüllt sind die Landschaften von Andrei Jacquenin, der auch in seiner figuralen Komposition „Golgotha“ Beachtenswertes bietet. Albert D • a r i t, Henri Vergi-Sarrit, Jean Sanier und Jean F r & 1 a n t sind gleichfalls Landschaftsgraphiker von wirklicher Kultur und beachtlichem Können.

Man müßte sich eigentlich mit jedem einzelnen Blatte beschäftigen, um der Fülle graphischen Könnens, das in dieser Ausstellung zu finden ist. wirklich nach Gebühr entsprechen zu können. Robert B o n f i 1 s, dessen köstliches Hochzeitsbild ein kleines Meisterwerk ist, Pierre C o u r t i n, Marcelle Gromaire, Jean Deville, Germaine De Costa, De la Patelliere und Demetrius G a 1 a m i (prächtiger Frauenkopf) verdienten aus der Fülle des Guten noch ganz besondere Hervorhebung.

Vielleicht ist die graphische Kunst die beste Vermittlerin zwischen den künstlerischen Gefühlen und Anschauungen zweier Völker, weil sie die unmittelbarste Künderin des Wesens und Empfindens eines Volkes ist. Zu uns spricht jedenfalls aus dieser graphischen Schau viel Verwandtes, das in ähnlichem Lebensgefühle, in ähnlicher Naturfreude und in ähnlichem menschlichen Leiden wurzelt. Das macht sie uns wertvoll über die Freude hinaus, wieder den Anschluß an das europäische Kunstschaffen gefunden zu haben. .

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