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Zeitinsel in einer Welt mit immer kürzeren Ablaufdaten

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100.000 Jugendliche werden zum Jahresende erwartet; das 2. Taize-Treften, das in Wien stattfindet, wirft seine Schatten voraus: Seit 50 Jahren markiert „Taize” spirituellen Aufbruch.

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100.000 Jugendliche werden zum Jahresende erwartet; das 2. Taize-Treften, das in Wien stattfindet, wirft seine Schatten voraus: Seit 50 Jahren markiert „Taize” spirituellen Aufbruch.

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Ubi Caritas, Deus ibi est - Wo die Liebe ist, da ist Gott.” Diese wenigen Worte, in vielen Sprachen gesungen, fassen die Botschaft von Taize zusammen. Die riesige „Kirche der Versöhnung” mit Ikonen im flackernden Kerzenlicht, als Lichtpunkte einer Bildersprache und immergrünen Buchsrabatten geschmückt, ist erfüllt von Musik. Viele der Jugendlichen, die voll Inbrunst in das Meer von Klängen einstimmen, sind zum diesjährigen Allerheiligenfest aus dem fernen Skandinavien angereist. Der strahlend blaue Himmel und der rote burgundische Boden wirken im morgendlichen Herbstlicht wie ein Jubel der Natur, der spürbar im Gesang mitschwingt. In Taize, einem Forum der Freude und des Verstehens, haben religiöse, nationalistische und ideologische Vorurteile keinen Platz. Der vor zwei Jahren verstorbene Dominikaner Yves Congar, - einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts - fand, Taize sei eine Stätte, an der die Barmherzigkeit Gottes die Erde berühre.

„Zu den Jugendlichen sprechen wir lieber von Versöhnung als von Ökumene”, meint Frere Emile im Gespräch; er stammt ursprünglich aus Kanada. „Die unterschiedlichen theologischen Standpunkte sagen ihnen wenig. Hingegen leiden viele an den Bissen menschlichen Unverständnisses in ihrer nächsten Umgebung. Es gibt keine neue, von Taize aus organisierte religiöse Bewegung. Die jungen Menschen, die meist für eine Woche zu uns kommen, sollen, nach Hause zurückgekehrt, den Geist der Versöhnung in ihre Familien, in ihre Kirchen und in ihre Städte tragen. Auch wenn sie nur eine Minderheit bilden, so können sie doch einigend auf andere wirken.”

Leeren sich vielerorts die Kirchen, so wird das Gotteshaus hier ständig vergrößert. Seit 1962 hat sich sein Umfang verdreifacht. Wer nach Taize kommt, ist eingeladen im gemeinschaftlichen Gebet, in Stille und anhand der Unterweisung durch die Brüder nach den Quellen des Evangeliums zu suchen. In den Sommerwochen können sich im sakralen Bau bis zu 6.000 Betende versammeln. Jährlich werden über 80.000 Jugendliche aus allen Ecken der Erde im Zeltdorf auf dem südburgundischen Hügel, nahe bei Cluny untergebracht. Dazu kommen noch an die 100.000 Besucher, die sich auf den von Frere Roger lancierten „Pilgerweg des Vertrauens” in verschiedene europäische Städte begeben. Seit 1978 wurden Europäische Jugendtreffen in Rom, London, Barcelona, in Prag und Budapest, in München und Stuttgart von Taize aus organisiert. Diese internationalen Zusammenkünfte sind eng mit dem Leben der Ortskirchen verbunden.

Das „20. Europäische Jugendtreffen” soll vom 29. Dezember 1997 bis zum 2. Jänner 1998 in der österreichischen Hauptstadt stattfinden, die bereits vor fünf Jahren Gastgeberin war. Für diesen Zeitraum werden in Wien und Umgebung Zehntausende Privatquartiere gesucht. Die Jugendlichen sollen die Vormittage in Wiener Gemeinden und die Nachmittage auf dem Messegelände verbringen. Gemeinsam will man nach Wegen suchen, wie inneres Leben mit Solidarität verbunden und wie Verantwortung in der Gesellschaft und in der jeweiligen Kirchengemeinde übernommen werden kann. Wie in jedem Jahr soll ein von Frere Boger eigens für das Treffen verfaßter, in vierzig Sprachen übersetzter Brief die Akzente setzen.

Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in Taize #rändert? Bewegten die Jugend der sechziger Jahre vor allem Fragen, wie die Armut in der Dritten Welt und der Rassismus, so geht es ihr in den neunziger Jahren mehr um die Suche nach Identität und Lebenssinn. Seit Ende des Kalten Krieges kommen immer mehr Osteuropäer und orthodoxe Christen hierher. In diesem Sommer trafen drei bis vier Busse wöchentlich aus Rußland und aus Rumänien ein. Daß die vielen Jugendlichen aus über sechzig Ländern keinem modischen Trend folgen, zeigen die seit nunmehr vierzig Jahren ständig steigenden Besucherzahlen. Taize wirkt in einer Welt mit immer kürzer werdenden Ablaufdaten wie eine Zeitinsel. An diesem Ort voller Paradoxe wird die Einfachheit bene-diktinischen Ordenslebens mit moderner Technik, die Zeitlosigkeit der biblischen Botschaft mit aktuellen Fragen verknüpft, lebt man zwischen Improvisation und Planung und bewahrt sich trotz des Massenandranges eine tiefe Spiritualität.

Die ökumenische Communaute umfaßt hundert Brüder aus zwanzig Nationen mit katholischem oder protestantischem Ursprung. Einige Brüder leben in kleinen Fraternitäten in Asien, Afrika, Latein- und Nordamerika. Ein großer Teil der siebzig Brüder, die die täglichen Gebetsversammlungen und Bibelmeditationen gestalten und sich in Gesprächen persönlicher Belange annehmen, haben sich um die sonntägliche Mittagstafel versammelt. Dem festen Schritt von Frere Böger merkt man seine 82 Jahre kaum an. Im September ist er noch zur Beerdigung von Mutter Teresa nach Kalkutta gereist. Er trägt ein bäuerliches weißes Leinenhemd, vor der Zugluft schützt ihn ein graues Wolltuch. Seine Präsenz füllt den Raum. Auch als Gast fühlt man sich während des gemeinsamen Mahls von der brüderlichen Gemeinschaft aufgenommen. Zunächst essen wir schweigend zu Klängen von Händel. Beim nächsten Gang erzählt mir der Gründer von Taize, welche große Bedeutung die Musik für ihn und für die Communaute hat. Während des Sprechens scheint er hin und wieder nach innen zu horchen. Seine Gesichtszüge spiegeln eine fast kindliche Einfachheit und Helle wider.

Die „Gesänge von Taize” gehen auf das Jahr 1948 zurück, als Frere Robert die Vertonung einer Psalmenübersetzung aus der Jerusalemer Bibel von Joseph Gelineau entdeckte. Aus der gemeinsamen Zusammenarbeit entstanden die ersten Lieder, später wurden sie noch durch Kompositionen des Jesuiten Jacques Berthier ergänzt. Bereits in den fünfziger Jahren kamen die ersten Schallplatten heraus. Es sind leichtverständliche, nach mittelalterlicher Tradition repetitiv gesungene Klänge, die an die Herzensgebete der Ostkirche oder an den Rosenkranz gemahnen. Heute werden die „Gesänge aus Taize” weltweit gesungen. Für viele sind es Choräle der Hoffnung, die in die Seele dringen und innere Wunden heilen. „Die Lieder sind wie gesungene Gebete, auch für Menschen, die kaum beten können, weil ihnen die richtigen Worte fehlen”, teilt mir Frere Roger mit seiner leisen Stimme mit. „Es hat den Anschein, als würde sich unter den Tönen dieser Musik ein wenig der Schleier Gottes heben.”

Bin Mittagsgebet mit Brüdern aus Taize findet täglich außer Sonntag um 12.40 Uhr im Wiener Stephansdom statt Weitere Informationen: Taize - Europäisches Jugendtreffen, 1090 Wien, Canisius-gasse 16, Tel 01j)lSm8, Fax OlplSWO e-maiL taize.uiien@ibm.net

Evangelische Synode i

In der Frage der Segnung von homosexuellen Paaren konnte bei der Evangelischen Synode in Linz keine endgültige Einigung erzielt werden. Zwar wurde bei der Generalsynode, dem gemeinsamen obersten Gremium der österreichischen evangelischen Kirche A.B. und H.B., eine Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften grundsätzlich befürwortet, doch folgte die evangelische Kirche A.B. dieser Entscheidung nicht. „Die Generalsynode hat ein Ziel formuliert, dem die Mehrheit gefolgt ist. In der evangelischen Kirche A.B. wollen wir auch mit denen, die eine andere Position vertreten noch einmal reden. Wir wollen ja überzeugen und nicht überstimmen”, erklärte Herwig Sturm, der Bischof der evangelischen Kirche A.B. Der Präsident der Generalsynode Peter Krömer trat aufgrund des positiven Abstimmungsergebnisses zurück, bleibt aber weiterhin Präsident der Synode A.B. Auch die zahlenmäßig kleinere evangelische Kirche H.B., die die Segnung befürwortet, wird - um des innerevangelischen Friedens willen - im kommenden Jahr noch keine homosexuellen Paare segnen.

Evangelische Synode ii

Der Vorschlag für die gemeinsame Erklärung des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche zur Rechtfertigungslehre ist von der Synode der evangelischen Kirche A.B. angenommen worden. In diesem Dokument erklären beide Kirchen in der Grundfrage der Lehre von der Rechtfertigung, einem der wichtigsten Streitpunkte der Reformation, weitgehend übereinzustimmen. Die Lehre sagt aus, daß der Mensch die Versöhnung mit Gott nicht durch eigene Verdienste und Leistungen erreichen kann, sondern nur als Geschenk Gottes. Synodenpräsident Peter Krömer kritisierte allerdings, daß die evangelische Kirche H.B. nicht ins Gespräch eingebunden worden sei.

Kothgassers Bekenntnis

Der am vergangenen Samstag geweihte, neue Innsbrucker Diözesanbischof Alois Kothgasser betonte in seiner ersten Ansprache, daß er den vom Zweiten Vatikanischen Konzil so hervorgehobenen Dialog mit allen Menschen guten Willens suchen wolle. Vor allem erinnerte Kothgasser an die im Vorjahr seliggesprochenen Tiroler Priestermärtyrer der NS-Zeit, Jakob Gapp und Otto Neururer. Der neue Innsbrucker Bischof erzählte, daß ihm Vorgänger Reinhold Stecher die Brille Neururers übergeben habe, die auf Stechers Schreibtisch einen Ehrenplatz eingenommen habe. Auch er, Kothgasser, wolle alle Ereignisse durch die Brille Neururers sehen lernen.

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