Zerrissene Familien, zerrissenes Land

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Die spanische Erfolgsautorin Almudena Grandes erzählt auf fast 1000 Seiten, wie der spanische Bürgerkrieg Keile zwischen Familien getrieben hat und ein Land über Generationen vergiftet.

Bis in die späten 1990er-Jahre lautete in Spanien die Devise, über den Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 „nichts zu wissen, nichts zu sagen, nichts zu denken“. In einem Gedicht aus dem Jahr 1977 heißt es: „Die Alten erzählen, es habe in diesem Land einen Krieg gegeben, es gebe zwei Spanien, die bis heute den Groll alter Rechnungen bewahren. Ich aber sah nur Menschen, die leiden und schweigen.“ Inzwischen erscheinen unzählige Bücher und Filme, Richter genehmigen fast jede Woche neue Exhumierungen von Opfern des Franco-Regimes.

1000 Seiten, 100 Jahre

„Das gefrorene Herz“, der Roman der spanischen Erfolgsautorin Almudena Grandes, umfasst fast 1000 Seiten und 100 Jahre. Eine Familie steigt während der Franco-Ära zu Reichtum auf, die andere fasst mühsam Fuß im Exil in Paris. Am Anfang der fünf dargestellten Generationen gab es eine Verwandtschaft; dazwischen eine Feindschaft, hervorgerufen durch eine kalte Enteignung der einst Besitzenden durch einen Vertreter der Sieger; in der fünften Generation treffen zwei junge Menschen, deren Ururgroßeltern verwandt waren, aufeinander, verfallen einander in Liebe, aber die brutale Vergangenheit steht zwischen ihnen. Spanien ist noch immer eine Clan-Gesellschaft. Was zählt, ist nicht der Staat, nicht das Gesetz, sondern die Familie. Damit ist auch die Tragödie dieses gewaltigen Romans angedeutet: Der Bürgerkrieg hat Familien zerrissen.

Für traditionelle Spanier, und das waren im Bürgerkrieg viele, bedeutete Flucht ins Exil den Beginn einer lebenslangen Sehnsucht nach einem Paradies, das es so nie gegeben hat. Wer Heimweh fühlt, glorifiziert das Verlorene. „Der Hund ist tot, die Tollwut hat ein Ende“, schrien 1975 die spanischen Exilanten in Frankreich, als Francos Tod bekannt wurde. In Spanien hingegen begann die Angst der Sieger vor der Rückkehr der Geflohenen, die ihren enteigneten Besitz zurückfordern und Recht und Gerechtigkeit verlangen würden.

Ein dichtes Netz, gewoben aus den Schicksalen von 30 Menschen, und die nicht chronologische Erzählweise der Autorin fordern hohe Aufmerksamkeit beim Lesen. Dabei erfährt der Leser historisch wenig Bekanntes, etwa, dass Spanier auf Hitlers Seite in Russland kämpften und dass Frankreich geflohene spanische Republikaner unter entwürdigenden Umständen internierte. Überzeugend wird vorgeführt, wie ein Bürgerkrieg ein Land über Generationen vergiftet.

Viele Dialoge

Die Autorin hat eine spanische Eigenart perfekt abgebildet: das Sprechen. In dem Buch reden die Menschen ununterbrochen. Der Dialog hat in der modernen deutschen Literatur keinen großen Stellenwert; vielleicht rührt daher die Befremdung. Eine deutsche Kritikerin hat das Buch als Schmonzette bezeichnet.

Was bringt das Wissen um die Verbrechen der eigenen Vorfahren? Wie kann man weiterleben mit der Last dieses Wissens? Manche Gestalten dieses Romans versinken in Schweigen, andere fliehen in Genusssucht, wieder andere versuchen zu ergründen, wie ihre Väter, Großväter zu dem wurden, was sie waren. Es lohnt, Stunde um Stunde über den Seiten zu sitzen, Spannung und Anteilnahme sind garantiert.

Das gefrorene Herz

Roman von Almudena Grandes Aus d. Span. v. Roberto de Hollanda Rowohlt 2009. 959 S., geb., e 25,60

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