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Zerstörung mit Methode

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Seien wir in der Steiermark!, heißt es in Elfriede Jelineks Roman „Die Kinder der Toten”. Die Steiermark, die Umgebung von Peter Roseggers „Waldheimat”, ist Ort der Handlung. Im Zentrum steht die „Pension Alpenrose”, ein Mittelding zwischen dem berüchtigten „Hotel California” der Eagles (amerikanische Folk-Rockgruppe, besonders erfolgreich in den siebziger Jahren) und „Einfried”, dem Sanatorium in Thomas Manns Zauberberg, denn die Auswege sind zwar keine Holz- sondern Schlammwege, aber mit Sicherheit Wege ins Nichts.

Die „Alpenrose” ist Treffpunkt für urlaubende Pensionisten und auf verschiedene Art zu Tode Gekommene wie den Schifahrer Edgar Gstranz, der mit dem Auto gegen ein Einfamilienhaus raste, die Philosophiestudentin Gudrun Bichler, die aus Prüfungsangst Selbstmord verübt hat, gewöhnt ans Denken, „was sie dauerhaft trennt von den übrigen”, und die 53jährige Karin Frenzel, die, „da sie ihrer Mutter gehört, nichts tut, was sich nicht gehören würde”. Die Mutter gehört also gehört, wenn sie durch ihr dauerndes Geschrei nach ihrer Tochter den anderen Pensionsgästen (zum Großteil Opfer eines Busunglücks) den Urlaub vermiest, „dessen Sinn ja darin besteht, daß man selbst einmal aus sich herausgehen kann”.

Das gilt indes nicht nur für die Urlauber, sondern auch für die Einheimischen wie etwa die beiden umgekommenen Förstersöhne. „Wer in den Bannkreis dieses Ortes gerät, kommt darin um, und die Gefahr ist jeder selber” heißt es frei nach Dode-rer. Ähnlich wie in dessen „Merowin-gern”, wird auch hier ausreichend zugeschlagen und an Körperteilen gerissen. Das Grundprinzip ist die totale Zerstörung, total, weil auch die Zerstörung selbst nicht hält. Dennoch ist es Zerstörung mit Methode. Kompliziert ist der Boman angelegt, doch die

Handlung kann in einem Satz zusammengefaßt werden: Urlauber verunglücken bei einem Zusammenstoß mit einem holländischen Reisebus und verbleiben 667 Seiten in der „Alpenrose”, nicht ganz tot und nicht ganz lebendig, bis endlich eine Mure alles unter sich begräbt.

Jelinek erweist sich als meisterhafte Geschichtenzerstörerin, „sobald sich eine Geschichte hinter einem Prosahügel hervorwagt” (Thomas Bernhard) wird sie schon abgeschossen, entweder mit einem bissigen Erzählerinnenkommentar oder von einer der Figuren. Zwei Geschichten dürfen sich in ihrer ganzen Grausamkeit bis zum blutigen Ende mit allen Details entfalten. Die Zerstörung von Tieren wird daneben nicht so auffallen, da sie als Alltäglichkeit gilt, und „der Gast will, außer auf seinem Teller, nichts Totes sehen”.

Wer der Erzählerin vorwirft, daß sie gar zu viel verwesendes Fleisch und ähnliches agieren läßt, der schlage bei Gottfried Benn nach, oder vielleicht bei Georg Trakl. Der Hinweis auf die „ungeborenen Enkel” wird von der Autorin selbst gegeben.

Überhaupt ist ihr Roman ein ertragreiches Feld für Intertextua-litätsritter, Literaturkundige, die das dejä-lu-Erlebnis (Effekt des Schon-gelesen-Habens) lieben. So dürfen Georg Trakl, Thomas Bernhard, Hans Lebert und Gerhard Fritsch nicht fehlen. Und wenn mitten in der gewaltigen Jelinekschen Wortmasse endlich Walter Benjamin, Martin Heidegger oder Hans Blumenberg durchblitzen, zuweilen sogar neben Bildern aus der heutigen Medien- und Konsumwelt, ist dies nicht nur eine Erleichterung für den Leser, sondern auch ein Gewinn für die Lesbarkeit des Textes.

Zu den Regeln des typisch negativen Heimatromans gehört es, am Katholizismus Kritik zu üben. Ob im konkreten Fall Blasphemie der richtige Ausdruck ist, soll hier nicht beurteilt werden, doch sei darauf hingewiesen, daß wieder einmal versucht wird, ein altes Thema neu zu bearbeiten - und zwar so, daß es nervt.

Ganz im Sinne einer politisch korrekten Haltung sind aktuelle Themen eingearbeitet, die EU und selbstverständlich der Tourismus: „Das Bäuerliche bricht zwar noch manchmal aus den Mündern der Menschen hervor, aber es umgibt sie nicht mehr, oder nur mehr als Gespenster des Originalen, das mittlerweile als Originelles über uns und unsere Kinder, die Ferien auf dem Bauernhof machen dürfen, gekommen ist. Es ist ein Quotient, den die Bauern von sich abziehen, um zu beweisen, wie wenige sie noch sind, man kann das Bäuerliche nicht einmal so lange aufhalten, bis die Brüsseler Bürokraten es in Augenschein nehmen können”.

Intelligent und pointenreich sind die Angriffe auf Jörg Haider und dessen Anhänger, denn die Jelinek schlägt nicht lautstark auf die Moralisiertrommel.

Massenmedien und Satellitenschüsseln haben im Inventar indes ihren angestammten Platz, der ihnen aber letztendlich von der Natur streitig gemacht wird.

So scheint der Boman von vornherein darauf ausgerichtet, die Natur aufs Siegerpodest über die Konsumwelt zu erheben. Da hilft auch kein Förster mehr. Das einzige, was der menschlichen (zombischen) Zerstörungswut- Einhalt gebieten kann, ist die Natur selbst. Und sie reagiert auch prompt.

„Die Kinder der Toten” ist kein Buch für Empfindliche, sie werden sich vor Ekel schütteln und vielleicht nach wenigen Seiten ihr Urteil fällen. Daß ihnen dabei grandiose Naturschilderungen entgehen, sei am Rande erwähnt. Jelineks Roman aber hat einen festen Platz in der österreichischen Literaturgeschichte verdient.

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