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ZEUGE DER AUFERSTEHUNG

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Į ch möchte an einem Tage der Auf-erstehung sterben.”

Worte, bei einem Diner im französischen Konsulat in New York. Einen Monat später gehen sie in Erfüllung. Am Ostersonntag 1955 stirbt, ganz plötzlich, der 74jährige Pierre Teil- harddeChardin. Ein schlichter, viereckiger Grabstein, in St. Andrew on-Hudson, in lateinischer Sprache: „Geboren am 1. Mai 1881, eingetreten am 19. März 1899, gestorben am 10. April 1955.”

Den Verstorbenen kennen seit längerem die Paläontologen und andere Naturforscher auf der ganzen Erde, und in China, Indien, Afrika, beiden Amerika und Europa ein Häuflein Christen und Nichtchristen. Sein geistiges Werk schien Rom, in dem er früh mit Galilei verglichen wurde, als so kühn und di Grenzen Europas und der Christenheit sprengend, daß man sich nicht entschließen konnte, es zur Veröffentlichung freizugeben.

Heute liegen von diesem Werk vier Bände im Original vor. Uebersetzungen, auch ins Deutsche, sind im Druck. Katholische Theologen, nicht zuletzt der Gesellschaft Jesu, haben umfangreiche Bücher über den großen Unbekannten veröffentlicht. Soeben liegt ein neuer Band vor, herausgebracht von eben dem katholischen Pariser Verlag, der auch sein Hauptwerk betreut; ein Unikat: diese Texte eines Bandes sind in französischer, englischer, deutscher. russischer und arabischer Sprache wiedergegeben.

Funken vom Feuer des Pierre Teilhard de Chardin laufen um die Erde.

Teilhard de Chardin hat die Veröffentlichung keines einzigen dieser seiner bekenntnishaften Werke erlebt. Er, der nach China auszog, um, wie er am 12. September 1923 aus der Wüste Gobi schreibt, „in Paris besser vom .Großen Christus’ sprechen zu können”, ist weder durch dieses Verbot noch durch seine Austreibung aus dem geliebten Frankreich — er konnte sich immer nur kurze Zeit in Paris aufhalten — in seinem Gehorsam gegenüber seinem Orden, seinem Glauben in der Kirche, in seiner strahlenden Heiterkeit, in seinem Glauben an die Zukunft verwirrt worden.

Vergebens wird man im geistigen Werk dieses unerschütterlich an das Wachsen des Kosmos und der Menschheit (ein Wachsen im Geiste, in der Liebe, in der Vereinigung) glaubenden Mannes ein sichtbares Zeichen dafür suchen, daß sein persönlicher Lebensweg auch ein einziger Kreuzweg war. Wer die Bedeutung seiner Botschaft vernehmen will, muß dies wissen.

Von seinem Lebensweg ist zumindest dies hier festzuhalten: Das Kind wird im Herzen Frankreichs, in der Auvergne, zutiefst von der Schönheit und Kraft der Materie, der Erde, cies Eisens, ergriffen. Der junge Mensch gibt sich an Gott, wird in England Jesuit. Vom Menschen wird er erstmalig .;nd entscheidend ergriffen vor Verdun: als Soldat, als Sanitäter, erfährt er hier, wie elend und wie groß der Mensch ist. Nach dem ersten Weltkrieg beginnt sein Wanderleben, das ihn als Paläontologen und Mitglied vieler Forschungsexpeditionen immer wieder nach China, Afrika, Indien, Ceylon, Mittelund Nordamerika führt: hier erfährt er beglückt, in der kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit amerikanischen, schwedischen, russischen, chinesischen, japanischen Forschern und in steter Konfrontierung mit den ungeheuren Weiten der Wüsten, Steppen und Urwälder unserer Erde, daß die Menschheit im Aufbruch ist, einem neuen Weltalter zu.

Seine Weltanschauung läßt sich in Kürze mit drei Sätzen andeuten. „Es gibt noch so viele Menschen, die so tun, als wäre die Vergangenheit an sich von Interesse, und sie so behandeln, wie es nur die Zukunft verdient.” Teilhard de Chardin ist überzeugt, „daß der Glaube an Christus sich in Zukunft nur erhalten oder verbreiten kann auf dem Wege über den Glauben an die Welt”. — „Der Herr erhalte mir meine Leidenschaft für die Welt und eine große Sanftmut, und helfe mir, bis zuletzt ein ganzer Mensch zu sein.”

Die Welt! Am 30. März 1941 spricht Chardin in Peking: „Es gehört heute zum .guten Ton’, allem, was wie ein Zukunftsglaube aussieht, mit Spott und Mißtrauen zu begegnen. — Dieser Zweifel kann, wenn man nicht achtgibt, tödlich wirken, denn seine direkte Absicht ist die Zerstörung der Lebenslust und der lebendigen Kräfte der Menschheit. Auf Grund der allgemeinen Geschichie der Welt, wie sie uns die Paläontologie für einen Zeitraum von 300 Millionen Jahren berichtet, können wir, ohne uns in Träumereien zu verlieren, die folgenden zwei Behauptungen auf stellen:

• Erstens zeigt die Menschheit in ihrem Innern noch eine Reserve, außerordentliche Möglichkeiten von Konzentration, das heißt von Fortschritt. Denken wir nur an die ungeheure Zahl der Kräfte, der Ideen, der Personen, die noch nicht entdeckt, noch nicht nutzbar gemacht, noch nicht geboren, noch nicht zur Synthese gebracht sind … Energetisch und biologisch gesehen, ist die Gruppe der Menschheit noch ganz jung und ganz unverbraucht.

• Die Erde hat noch lange nicht ihre siderische Entwicklung vollendet. Gewiß, wir können uns alle möglichen Katastrophen vorstellen, die imstande wären, diese schöne Entwicklung jäh zu unterbrechen.1 Aber seit 300 Millionen Jahren erhebt sich das Leben paradoxerweise im Gebiet des Unwahrscheinlichen. Läßt das nicht vermuten, daß die bewegenden Kräfte des Universums sein Fortbestehen heimlich unterstützen? — Die wahre Schwierigkeit des Problems besteht nicht darin, zu entscheiden, ob der Mensch der Sitz eines kontinuierlichen Fortschritts ist: es geht vielmehr um die Erkenntnis, wie dieser Fortschritt in seinem heutigen Tempo noch lange weitergehen kann, ohne daß das Leben in sich selbst explodiert oder die Erde sprengt, auf der es geboren ist. Unsere moderne Wek ist in weniger als 10.000 Jahren entstanden; aber in 200 Jahren hat sie sich schneller verändert als im Verlauf aller vorhergehenden Jahrtausende.” Das Treiben der Menschen? Bereits am 11. November 1936 notiert Teilhard, ebenfalls in Peking: „Im Grunde sind die Menschen unbefriedigt, obwohl ein gewisser Enthusiasmus viele in die politischen und sozialen Tagesströmungen hineinzieht. Begegnet man einem wahrhaft fortschrittlich gesinnten Geist auf der Rechten oder auf der Linken, so gibt er zu, daß jede der bestehenden Bewegungen ihn zum Teil enttäusche. Man schließt sich der einen oder der anderen Partei an, weil man ja eine Wahl treffen muß, wenn man bandeln will. Aber Jeder fühlt sich in der von ihm eingenommenen Stellung im Grunde behindert, verletzt, empört. Alle wünschen mehr Weite, -mehr Verständnis, mehr Schönheit. In den scheinbar feindlichen Massen, die einander bekämpfen, gibt es überall verstreute Elemente, die nur auf ein Ereignis warten, um sich zu orientieren und zu vereinen. Sobald der rechte Strahl auf diese Staubwolke fällt, der Weckruf für ihre innere Struktur, so werden wir die lebenden Atome des Universums über alle konventionellen Benennungen und Schranken hinweg einander suchen sehen, sich finden, sich organisieren. Im Namen der Gerechtigkeit und der Menschenrechte sind ehemals unsere Väter auf das große Abenteuer ausgezogen. Wir, denen die moderne Wissenschaft Räume und Zeiten eröffnet, von denen sich unsere Väter nichts träumen ließen, wir dürfen unser Streben nicht auf jene mittelmäßigen Dimensionen beschränken, die genügt hatten, ihre Begeisterung hervorzurufen. Deshalb ist unsere Epoche des Sektenwesens müde, das die menschliche Sympathie hinter trennende Mauern sperrt. Wir ersticken im Wirbelwind der Parteien. LuftI Vereinen wir uns! Keine politischen Fronten, sondern eine allgemeine Front des Fortschritts …Eine Front der Menschheit, wird man einwenden, bedarf letzten Endes zu ihrer Konstituierung der Gegenwart eines .Antagonisten’, dem sie sich widersetzen kann. Ich persönlich glaube nicht an die absolute Wirksamkeit des Selbsterhaltungstriebes und der Angst. Nicht das Grauen vor dem Untergang, sondern der Wille zum Leben hat den Menschen zur Erforschung der Natur gedrängt, zur Eroberung des Aethers und der Durchquerung der Lüfte. Der Magnet, dessen anziehende und reinigende Kraft auf unsere Energien wirken soll, deren stets wachsender Ueberschuß sich gegenwärtig in unnützen Zusammenstößen und raffinierten Perversionen Verschwendet, diesen Magneten würde ich letzt- lich.in die stufenweise Manifestation von etwas. Absolutem verlegen, dessen reiche Vollkommenheit, wertvoller als Gold und anziehender als alle Schönheit, für den großjährig gewordenen Menschen der Gral und das Eldorado sein könnte, von denen einst die Abenteurer träumten: etwas Greifbares, für dessen Besitz es wunderbar wäre, sein Leben hinzuopfern.”

„Deshalb bedürfte eine geistige Front der Menschheit, wenn sie sich zu formen begänne, nicht nur Ingenieure zur Organisation der natürlichen Reichtümer und Verbindungslinien der Erde, sondern auch anderer .Techniker’, deren einzige Aufgabe es wäre, die konkreten und immer höheren Ziele zu definieren und bekanntzumachen, auf die sich die Mühe menschlicher Aktivität konzentrieren muß. Bis jetzt haben wir uns mit Recht für die Enthüllung der Geheimnisse begeistert, die sich im unendlich Großen und im unendlich Kleinen der Materie verbargen. Doch eine für die Zukunft weit wichtigere Erforschung ist das Studium der Strömungen und Anziehungskräfte psychischer Natur: eine Energetik des Geistes. Gezwungen, die Einheit der Welt herzustellen, werden wir … schließlich bemerken, daß die Wissenschaft in ihrem dunklen Drange nichts anderes bewirkt als die Entdeckung Gottes.”

„Die Entdeckung Gottes”: Teilhard de Chardin wirkt heute auf wache Menschen aller Rassen, Farben, Konfessionen, ja politischen Ueberzeugungen, weil er glaubwürdig macht und aufzeigt: Gott liegt vor uns. Die Auferstehung hat begonnen. Die Auferstehung schreitet, mitten durch Katastrophen, mitten durch den Kreuzweg jedes Menschenlebens, fort. — Die Menschheit ist in einem stürmischen Wachstumsprozeß begriffen, einem größeren Menschen, einer tieferen Erfahrung Gottes zu. Retter des Fortschritts, der gewiß unendlich viel kostet und immer das Kreuz einbegreift, ist Christus, „der Retter der Evolution”. Ostern, Auferstehung ist nicht,nur ein Fest, eine Feier, sondern eine Aufgabe der Schöpfung, der Menschheit. Das ist die Erfahrung des Pierre Teilhard de Chardin auf seiner Weltwanderung durch die Wüsten und Urwälder unserer Erde, durch zwei Weltkriege: Der Stein ist längst zur Seite gerollt. Kein Grab, keine Katastrophe vermag die erste Auferstehung aufzuheben und sie zu hindern, immer mehr Menschen in ihre Strahlung zu holen.

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