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Zeugung und Züchtung

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Aus dem Brief des Autors an die „Furche“: „Sehr geehrter Herr Redakteurl Vor etwa vier Jahren übersandte ich Ihnen eine Abhandlung, die im großen und ganzen fast völlig mit der hier beigelegten übereinstimmt. Sie haben damals den Abdruck aus Gründen abgelehnt, die ich zwar nicht aus einer weltpolitisch christlichen Gesamtschau, wohl aber im Hinblick auf die konservativen österreichischen Gegebenheiten billigen mußte. Inzwischen hat aber Papst Pius XII. auf dem katholischen Geburtshelferkongreß in Rom eine richtunggebende Erklärung eröffnet, die sich weitestgehend mit meinen Erkenntnissen vor vier Jahren deckt. Seine ergreifenden Worte waren nicht, wie ihm von den Vertretern einer „modernen“ Weltanschauung vorgeworfen wird, gegen die große Ordnung der N a t u r gerichtet, sondern er verteidigte diese wahre Ordnung der Natur gegen die Auswüchse einer doktrinären Naturwissenschaft, die diese Naturordnung vergewaltigen will. Auf Grund einer nicht auf konfessioneller Gebundenheit beruhenden viel jährigen Beschäftigung mit den angeschnittenen Problemen, die die Erkenntnisse der modernsten Naturwissenschaft, vor allem der Atomphysik, einbezieht, bin ich zur selben empörten Stellungnahme gegen den planmäßiges Menschhertsmord gelangt wie der Heilige Vater. Ich gebe Ihnen nochmals das Manuskript zu Ihrer Verfügung. H. M.“

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Aus dem Brief des Autors an die „Furche“: „Sehr geehrter Herr Redakteurl Vor etwa vier Jahren übersandte ich Ihnen eine Abhandlung, die im großen und ganzen fast völlig mit der hier beigelegten übereinstimmt. Sie haben damals den Abdruck aus Gründen abgelehnt, die ich zwar nicht aus einer weltpolitisch christlichen Gesamtschau, wohl aber im Hinblick auf die konservativen österreichischen Gegebenheiten billigen mußte. Inzwischen hat aber Papst Pius XII. auf dem katholischen Geburtshelferkongreß in Rom eine richtunggebende Erklärung eröffnet, die sich weitestgehend mit meinen Erkenntnissen vor vier Jahren deckt. Seine ergreifenden Worte waren nicht, wie ihm von den Vertretern einer „modernen“ Weltanschauung vorgeworfen wird, gegen die große Ordnung der N a t u r gerichtet, sondern er verteidigte diese wahre Ordnung der Natur gegen die Auswüchse einer doktrinären Naturwissenschaft, die diese Naturordnung vergewaltigen will. Auf Grund einer nicht auf konfessioneller Gebundenheit beruhenden viel jährigen Beschäftigung mit den angeschnittenen Problemen, die die Erkenntnisse der modernsten Naturwissenschaft, vor allem der Atomphysik, einbezieht, bin ich zur selben empörten Stellungnahme gegen den planmäßiges Menschhertsmord gelangt wie der Heilige Vater. Ich gebe Ihnen nochmals das Manuskript zu Ihrer Verfügung. H. M.“

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Es mag verwegen erscheinen, gegen die beiden ehernen Pfeiler der modernen Weltanschauung anzurennen, aber sie drohen das Lebendige zu erdrücken, das Menschliche abzuwürgen, und darum muß ich es tun. Ich meine mit diesen Grundpfeilern die Theorie des Milieus und die Gesetze der Erblehre. Sie liegen dem politischen Denken unseres Jahrhunderts, dem anerkannten wie dem verfemten, gleichermaßen zugrunde, sie und die ihnen verwandte Psychoanalyse beherrschen das künstlerische Schaffen unserer Zeit, sie haben die dramatische Konzeption von Thesis und Antithesis ebenso abgelöst wie etwa die klassische Anschauung von der tragischen Schuld. Sie machen die unbegreifliche schöpferische Fülle der Natur zu einem einfachen Mechanismus, für sie ist alles Menschentum nur das Ergebnis von Rezepten der Blutsmischung oder einer geschickt gelenkten Erziehung und Schulung, sie bestimmen Milde und Härte der Gerichtshöfe, kurzum sie durchziehen mit unheimlicher Wucht das Denken der Zeit, bald in schamloser Sachlichkeit, bald verbrämt, wie etwa im Mythos von Blut und Boden.

Damit hat heute in vollem Umfang ein frivoles Spiel mit dem Leben eingesetzt, eine Geringschätzung des Einzelschicksals, dessen gottgewollte Einmaligkeit im Zeitalter des Kollektivs als reaktionäre Illusion abgetan wird. Man will nicht mehr wahrhaben, daß jede kulturelle Leistung da« Werk von Persönlichkeiten ist und nicht das Ergebnis von gesellschaftlichen Organisationsformen oder Institutionen. Man denkt auch nicht mehr organisch in Generationen, oder kosmisch in Ewigkeiten, sondern in Programmen und Plänen auf vier oder fünf Jahre. Und für deren Verwirklichung glaubt man nach den Gesetzen des Milieus und der Vererbung unschwer das nötige Menschenmaterial heranschulen und heranzüchten zu kön* nen.

So greift der moderne Staat, dämonisch wie Leviathan, in das Grundprinzip der Menschwerdung. Er kennt keinen Wert der Persönlichkeit als Träger von Geist oder gar einer Seele, für ihn gibt es nur Träger von Arbeitskraft oder Wehrkraft.

In Anbetracht dieser erschütternden Vorgänge erhebt sich von selbst die Frage: Sind für das Werden und Wirken der menschlichen Persönlichkeit die Gesetze von Milieu und Vererbung, wie sie heute vorliegen, unfehlbares Dogma der Naturnotwendigkeit? Sind sie die alleinigen oder wenigstens die ausschlaggebenden Faktoren, die unser inneres Schicksal bestimmen?

Ich will mich bei der Beantwortung dieser Frage nicht in die Metaphysik flüchten. Ich will sie in naturwissenschaftlichen Analogien unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Forschungsmethoden und mit den Begriffen und in der Sprache der Naturwissenschaften erläutern.

Wer die tatsächlichen Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Erblehre und Milieutheorie genauer überprüft, findet sehr bald, daß sie die Probleme des eigentlichen Persönlichkeitskerns nur so oberflächlich berühren, wie die Gesetze der Newtonschen Physik die des Atomkerns und daß sie sich in ihren wirklich fundierten Ergebnissen mit der Erklärung der äußeren Erscheinungen und Verhaltensweisen unseres Ichs, also gleichsam mit den Gegebenheiten seiner (negativ geladenen) Elektronenhülle begnügen müssen. Sie können mithin überhaupt nur jenes persönliche Geschehen und Wirken fassen, das von dem Mechanismus einfachster Kausalabläufe getrieben erscheint, also das passive, automatische. Für die aktiven Schaffens- und Gestaltungskräfte der Menschheit, für die Reaktion des (positiv geladenen) Wesenskerns auf Milieu und Vererbung, besser gesagt: für die menschliche Revolution gegen die Schicksalshaftigkeit dieser

Kräfte, die die ganze Welt umgestaltet hat und der eigentliche Träger jedes menschlichen Fortschritts ist, fehlt ihnen jeder Sinn.

Worauf ist nun diese für jede Persönlichkeitsentwicklung und kulturelle Leistung entscheidende Kernkraft unseres W es en6 zurückzuführen? Ich will dafür auf Grund langjähriger Beobachtung und Forschung eine Erklärung geben, die ungemein naheliegend ist und die dennoch Zumindestens von der Naturwissenschaft weitgehend außer acht gelassen wurde. Diese Erbenergie, diese dynamische Kernladung, diese Spannweite der Persönlichkeit entstammt der Wesensliebe, die, um mit Goethe zu sprechen, dem Urphänomen der Polarität der Geschlechter entstammt.

Hier liegt ein Mysterium der Natur vor, dem sie selbst irgendwie die Schleier des Sakralen verlieh. Es ist der Urquell alles Schöpferischen, der sofort versiegt, wenn ihm ein Törichter mit dem Eingriffswillen einer frevelnden Vernunft naht. Denn diese lebensspendende, beseelende Urkraft der Wesensliebe? entstammt der gewaltigen Spannung, die in der Polarität der Geschlechter liegt und die um so größer ist, je höher entwickelt die Lebensformen sind, die sie aufweisen, und je persönlicher und differenzierter sie sind. In dem Augenblick der Zeugung, der naturgegeben die Krönung und Auslösung dieser Spannung bedeutet, wird nun dem neugeschaffenen Lebewesen jene Vitalität, jene Wesenskernladung, jene Erbenergie mitgegeben, die seine spätere geistige Spannweite, Persönlichkeitsentfaltung und Kulturleistung bestimmt. Je irrationaler, spontaner, schicksalshafter, begnadeter der Zeugungswille des Mannes (eine beseelte und von höheren Sinngesetzen bedingte höchste Kraftentfaltung im Dienste des-Lebens und nicht die fast lausbübisch in fantil anmutende Libido eines entpersön lichten Geschlechtstriebs), je unbedingter; und persönlicher die Hingabe der Frau' ist, desto größer ist die Erbenergie und Spannweite, die das Kind mitbekommt^ das dieser Stunde sein Leben verdankt,

Die Natur trägt der ungeheuren Bes deutung dieses Augenblicks Rechnung,, sie umkleidet ihn mit den Schleiern tieft ster Intimität, mit allen Wonnen des Sich suchens und Sichfindens, mit dem Em wachen feinster und persönlichster In-! stinkte, mit der Abgründigkeit des Bewußtseins von Schuld und Sünde. Alles, was sie an Himmeln und Höllen zu vergeben weiß, rankt sie um dieses eine Erlebnis, das nicht etwa' nur der statischen Erhaltung der Art dient, sondern ihrer dynamischen Entfal tung und Höherentwicklung. Und so hebt aus der Glut dieses Augenblickes ein neues Lebewesen seine Schwingen, von diesem Guß gezeichnet und begnadet oder verflucht.

Der Augenblick der Zeugung! und nicht der der Geburt ist mithin die Stunde, die uns de* Welt verliehen, wir fallen nicht als unbeschriebenes Blatt in die Druckerpresse des Milieus, wenn man uns in das Geburtenregister der menschlichen Ges Seilschaft aufnimmt. Vom Augenblick defl Zeugung an sind wir geprägte Form, diel lebend sich entwickelt nach dcJm Gesetz^ nach dem wir angetreten. Und was im Mutterleib heranwächst, sich regt und sich entfaltet, ist schon ein Mensch und nur ein! Mensch, nicht ein Organ, nicht ein beliebiges Zellengewebe, sondern bereits! inkarnierter Geist, geballtes Menschens Schicksal.

Was uns im Augenblick der Zeugung an Liebe geschenkt oder vorenthalten wurde, kann uns keine noch so edle Erbmasse, kein noch so treffliches Milieu aufwiegen. Es ist die Kraft, die uns befähigt, die oft „sehr verschiedenartigen Erbmassen der Eltern zu einer neuen Per* sönlichkeitsharmonie zu schichten, kurzum das, was uns von den Vätern geschenkt wurde, zu erwerben, um es zu besitzen. Es ist die Kraft, die es uns ermöglicht, allen Rückschlägen zum Trotz die Enge unseres Milieus zu sprengen und nicht Geschöpf, sondern Gestalter unserer Umwelt zu sein, zum eigenen Glück und zu dem der Gemeinschaft. Diese innere Spannkraft kann uns nichts ersetzen. Sie ist der Grundton jeder kulturellen Entfaltung!

Unsere Zeit hat mehrfach gegen dieses Grundgesetz verstoßen. Jeder rationalistische Eingriff in den Prozeß der Zeu-: gung als solchen vermindert die ihm zugrunde liegende persönliche Polarität von Mann und Weib, betäubt die gesunden Instinkte der Natur und führt unweigerlich zur Dekadenz. Reinrassige Hochzüchtung, etwa nach den Standesgesetzen gewisser Gesellschaftsschichten oder nach den Ehegesetzen gewisser Staaten, brachte zwangsläufig nicht eine Bereicherung, sondern eine Verarmung an schöpferischen Persönlichkeiten. Denn die viel zu gleichartigen Elternteile geben ihren Kindern zwar wertvolle Erbmassen, aber keinerlei innere Spannung, keine große Vitalität mit, um diese Erbmassen zu nützen. Walter Rathenau hat mit feinem Wortspiel einmal festgestellt, daß es nur geschichtete Völker sind, die Geschichte machen: ihre Kulturleistung wird von der polaren Spannung getragen, die die in ihnen zur Mischung gelangenden, verschiedenen, aber gleichartigen, meist gleichwertigen Rassen hervorrufen. Diese Mischung aber erfolgt irrational, sie ist umwittert vom spontan Schicksalshaften, nicht vom rational kausalen Automatismus. Jede Kreatur, die den Sinn dafür verloren hat, geht zugrunde!

Ein Volk, eine Gesellschaft, die dert Prozeß der Zeugung von einer Schicksalstat im Dienste des Lebens zum pikanten Spiel von Lust und Unlust machen, das Sinnvolle daran dem platten Sinnlichen opfern, Sexualität und Eros trennen, geschlechtliche Beziehung und Zeugung voneinander lösen, sterben daran! Nicht umsonst ist dieser Komplex und gerade er in erster Linie von dem Schaudern der Sünde umflutet. Hellas und Rom sind die Opfer dieser Sünde geworden. Pereant sequentes! Aber ebenso ergeht es einem Staat, der die Beziehungen der Geschlechter zueinander versachlicht, um eine besondere Menschenschicht hoch-zuzüchten, etwa ideale Träger von Wehrkraft oder Arbeitskraft. Wo Nachkommenschaft nicht gezeugt, sondern produziert wird und nicht der Liebe entspringt, sondern der staatsbürgerlichen Pflicht, versagt die Natur, wie im Falle Spartas, dessen Volk nicht an den Blutverlusten der Kriege ausstarb, in denen es sich immer sehr geschont hat, sondern an den Prinzipien seines oft so gerühmten Staatswesens.

Roboter lassen sich züchten, so wie man Maschinen baut, und wessen Menschenbild sich nicht über eine solche Vorlage erhebt, der mag lieblos, aber vernünftig am Untergang des Menschengeschlechtes mitwirken. Denn jene Dekadenz, die das 20. Jahrhundert anstrebte und anstrebt, führt zwangsläufig zum Rückfall ins Larvenhafte, Termitenähnliche, zum Abstieg zu einer Masse uniformer, persönlichkeitsloser, geschlechtsloser Arbeitstiere, geführt von einer Drohnenschicht politischer Leiter und Funktionäre!

Die Liebe zwischen Mann und Weib, aus dem Urphänomen der Polarität gleichwertiger Persönlichkeiten, wesenshaft, schicksalsträchtig, einmalig und einzigartig geboren, ist kein holder Wahn, der einer realistischen Betrachtung nicht standhalten kann. Sie- ist wirklicher als die fiktive Doktrin der modernen exakten Wissenschaft, der Philosophie des Als-ob.

Die Liebe zwischen Mann und Weib ist aber auch kein Versuchsfeld für die Züchtung staatsbürgerlicher Idealtypen, für die Experimente von Eugenikern und Eutelegeneten. Sie ist ein Teil von jener göttlichen Kraft, die das Getriebe dieser Welt geheimnisvoll in Gang erhält. Aus ihren Flammen lodern von den Gipfelpunkten, den Hoch-Zeiten des menschlichen Lebens, die höchsten kulturellen Intentionen, mögen sie auch erst viel später endgültige Gestalt gewinnen. Sie zu versachlichen und ihres „illusionistischen“ Zaubers zu entkleiden, ist ein Verbrechen gegen die Grundprinzipien alles Lebens. Denen, die alles daransetzen, dies zu tun, gelte als ewiger Fluch das herrliche Wort Dostojewskijs: „Die Hölle? Ich glaube, es ist die Welt, in der man nicht mehr lieben kann.“

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