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Ziel: das „gute Leben”

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Ich habe die amerikanische Jugend von zwei verschiedenen Gesichtspunkten kennengelernt: einmal als Studentin und einmal als Lehrerin. Und jedesmal war mir ihre Stellungnahme zu Problemen des Alltags und zu Problemen des Weltgeschehens fremd. Wie lebt der junge Amerikaner? Was denkt er und wovon träumt er? Wofür setzt er sich aufs schärfste ein? Und schließlich, was erwartet er sich von der Zukunft?

In Amerika kann ein junger Mensch die Schule bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr besuchen, ungeachtet seiner geistigen Qualitäten. Wenn es sich die Eltern finanziell nur irgendwie leisten können und wenn der junge Mensch vielleicht auch noch eine Nebenbeschäftigung findet, dann bleibt er wahrscheinlich in der Schule. Denn der Glaube ist stark, daß eine gute Schulbildung Voraussetzung für das „gute Leben” sei. Die Schüler treffen ihre individuelle Wahl der Gegenstände, und nur gewisse Fächer sind Pflicht. Einem Studenten, der sich für die Universität vorbereitet, wird geraten, mehr Englischkurse und naturwissenschaftliche Gegenstände und, wenn möglich, eine Fremdsprache zu studieren. Und damit sich der Student eine Allgemeinbildung im amerikanischen Sinne aneigne, wird das Gesellschaftsleben sehr gepflegt. Da gibt es Tänze und Parties, Autoausflüge und Sport. Demokratie ist synonym mit persönlicher Freiheit: Redefreiheit, Pressefreiheit, Handlungsfreiheit. Freiheit bedeutet Wahl. Deshalb bleibt es den Gymnasiasten überlassen, ob er nun überall mittun will. Je mehr Stellen er aber in den Studentengruppen und Clubs bekleidet und je besser er Sport betreibt, desto mehr steigt er im Ansehen. Er ist dann nur allzuoft populärer als der Student, der versucht, sich Schulwissen anzueignen.

Vor der gleichen Wahl zwischen intensivem Studium und intensivem Gesellschaftsleben steht auch der Universitätsstudent. Nun finden wir aber ein Kuriosum. Während er als Gymnasiast den Eltern unterstellt war, die ihm, dank moderner Erziehungsmethoden für Eltern, sehr viel Freiheit erlaubten, ist er nun meist weit weg von ihnen, irgendwo auf dem „Campus” einer großen oder kleinen Universität, wo er lebt, Freundschaften schließt und lernt. Diese Schulen machen es nun dem Beginner zur Pflicht, täglich etliche Stunden an einem gewissen Tisch zu sitzen und zu studieren. Nicht nur das. Die Studentin muß abends zu einer gewissen Zeit zu Hause sein, woraus sich z. B. ergab, daß Studentinnen keine Gelegenheit hatten, den Film „Krieg und Frieden” zu sehen, da er zu lange dauerte. Falls sie einmal die nächste Stadt besuchen möchte, muß eine zweite Studentin mit ihr sein. Warum diese Strenge? Weil der amerikanische Student — ein Ueberbleibsel altmodischen Denkens der Schulautoritäten — als unreif betrachtet wird. Ist er es nun?

Einem ausländischen Studenten erscheint der amerikanische „undergraduate” hoffnungslos unreif. Was es da für dumme Scherze gibt! Und wie wenig ein Student vom Weltgeschehen weiß! Ein solcher Beobachter muß aber iri Betracht ziehen, daß die Studenten anderer Länder, könnten sie in „amerikanischen Verhältnissen” leben, sich wohl kaum anders benehmen würden. Tn Amerika ist es nicht unbedingt geboten, sich für eine bestimmte politische Partei zu entscheiden, zumal der Unterschied zwischen solchen Parteien nicht besonders groß ist. In Amerika scheint es auch nicht so wichtig, seine Ansichten zu äußern darüber, was z. B. in Indien vor sich geht. Indische Studenten finden wohl Zuhörer, wenn sie mit Eifer und Ueberzeugung ihre Ansichten kundtun, doch sind diese Zuhörer mehr willig, sich freundlich zu erweisen, als später auch lange über das Gehörte zu diskutieren. (Und dabei erscheinen mir Inder als politisch außerordentlich rege und voll Interesse am Aufbau ihres Landes und dem allgemeinen Zustand der Welt.) Es ist eine gewisse Sattheit, die den amerikanischen jungen Menschen so wenig interessiert zeigt. Die Jugend des heutigen Amerika lebt in einer wohl organisierten Gesellschaft voll ausgedehnter Konzerne. Sie hat wenig Ehrgeiz, selbst zu organisieren und neu zu gestalten. Alles scheint schon vorhanden zu sein. Die Jugend meint, daß es seit der Depression genug soziale Errungenschaften gibt, die einer Wiederholung solcher Krisen Vorbeugen. Die jungen Leute vertrauen der Regierung und wollen bloß eine sichere Stellung in diesem geordneten Gefüge. Sie sind keine Rebellen mehr wie ihre Vorväter, die Europa unzufrieden verließen, um einem Traum oder einer Ueberzeugung zu fol-

gen. Sie sind keine Pioniere, die auf neuem Land diesen Traum oder diese Ueberzeugung verwirklichen wollen. In ihren Aufsätzen schreiben sie brav und aufrichtig, daß sie einen guten Posten in einer großen Firma erstreben und, wenn möglich, am Rande der Stadt, weg vom Trubel, ihr idyllisches Heim bauen wollen. Sie sind wohl gewillt, zu arbeiten — meist um des Geldes willen —, doch sollen die Arbeitsstunden so beschränkt und die Arbeitsbedingungen so ideal als nur möglich sein. Sie entschließen sich (glückliches Land, wo man sich so „entschließen” kann) zu einer solchen Stellung, in der sie sich in einigen Jahren zurückziehen können, um den Rest ihrer Tage damit zu verbringen, das „gute Leben” zu führen, das heißt Golf oder Tennis zu spielen und eventuell Hawaii zu besuchen. Um dies zu erreichen, sind sie an der Universität. Nach gToßen Idealen strebt niemand. Den Kopf zerbrechen über Probleme will man sich nur, wenn man selbst oder wenn ein Mensch in nächster Nähe von ihnen betroffen wird. Das Streben des jungen Amerikaners wurde wohl gut zusammengefaßt von einem jungen Ingenieur: „Ich möchte etwa 600 Dollar pro Monat verdienen. Alles, was darüber ist, zieht mir die Einkommensteuer ab, und alles darunter würde mir und meiner Familie kaum die Annehmlichkeiten des Lebens bieten. Ja, 600 Dollar sind mein Ziel!”

Unreif ist diese Jugend nicht, eher alt! Wir finden hier eine Abgegorenheit des jungen Menschen, für die wir vielleicht den Grund wissen Verlust auch dieser Generationsideale durch Kriege —, aber deren Wirkung noch nicht abzusehen ist. Noch wissen wir nicht: Ist diese „Abgeklärtheit das Zeichen von Solidität oder bloß von Mittelmäßigkeit.

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