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Peter Sloterdijks lesenswertes Buch "Zorn und Zeit".

Theorie", so Niklas Luhmann, "ist ein Instrumentenflug über einer geschlossenen Wolkendecke." Kombiniert man das mit einem scharfsichtigen Adler, dem, in luftiger Höhe seine Kreise ziehend, kein Detail auf der Erde verborgen bleibt, so hat man einen ersten Eindruck, von welcher Warte aus Peter Sloterdijk in seinem neuen Buch "Zorn und Zeit" auf die menschlichen Belange blickt.

Eros und Thymos

Sloterdijk geht von einer Verabschiedung der zwei "klugen Bigotteriesysteme" aus, die als Leitwissen der westlichen Zivilisation fungieren: Christentum und Psychoanalyse. Dagegen setzt er darauf, die conditio humana von einer anderen als der miserabilistischen Seite her zu fassen, sprich: Menschen nicht von vornherein als elende, triebgesteuerte Wesen zu bestimmen. Fündig wurde er dabei in der antiken bipolaren Anthropologie, die neben dem Eros auch den Thymos kannte. Eros ist das begehrende Verlangen, Thymos das Streben nach Anerkennung und Würde, die Behauptung von Stolz. Der Zorn signalisiert, dass diesem Streben etwas entgegengesetzt wird. Genauer gesagt entwickelt sich aus der vereitelten Anerkennungsleistung Zorn und aus dem aufgeschobenen Zorn das Ressentiment. Von der Struktur her trifft Sloterdijk sich da mit den Analysen von Nietzsche, nur dass dieser mit dem Christentum schon damals den falschen adressierte. Der richtige Adressat ist jeder Unterdrückte und Benachteiligte, der seinen Zorn nicht ausagieren kann und seine Wut-und Rachegefühle auf die lange Bank schiebt.

Und hier gelingt dem Autor mit der Metapher der "Bank" ein Geniestreich. Er entwickelt das Bild von "Zorn-Banken" und "Zorn-Sammelstellen", in denen sich Zorn, Rache und Wut als Kapital anhäuft, das damit vor einer unmittelbaren Entladung gefeit ist, jedoch auf spätere Abhebung wartet. Mit diesem Bild als metaphorischem Werkzeug analysiert Sloterdijk die Geschichte des Christentums und des Kommunismus. Zugleich ist dies aber auch eine kritische Sprachanalyse, wenn maßgebliche Begriffe aus ihrem Umfeld herausoperiert und auf ihre semantischen Ober-und Untertöne hin abgeklopft werden, sei das zum Beispiel im christlichen Kontext der Begriff des "Bösen" oder im kommunistischen der des "Klassenbewusstseins". Was hier an Wissen und Kombinationslust aufgeboten und voller Leidenschaft ausgebreitet wird, sucht seinesgleichen.

Wissen und Leidenschaft

Seine Gegenwartsanalyse ist charakterisiert von der Formel "Ende der Geschichte", das ist die Verabschiedung der guten Botschaft von jeglichem Sinn, den man "der Geschichte" unterstellen könnte. Unsere Gegenwart lasse sich nicht mehr mit epischen und tragischen Geschichten welcher Art auch immer begreifen, weil wir in ein Stadium kollektiver Gleichgültigkeit diesen Geschichten gegenüber eingetreten seien. Worum es jetzt geht, sind gezielte Anstrengungen für eine Zivilisierung der Welt. "Die wesentliche Zeit", so Sloterdijk, "ist als Lernzeit für Zivilisierungen zu bestimmen." Die Aufgabe, die sich stellt, ist, Antworten auf die Frage zu finden, wie sich in einer globalisierten Welt das Zusammenleben der Menschen organisieren lasse, ohne dass sich alle gegenseitig die Köpfe einschlagen. Was nicht mehr funktioniert und auch nicht mehr zu erwarten ist, sind weltweit agierende "Großbanken", wie sie das Christentum oder der Kommunismus gewesen sind, die in der Lage waren, große Potenziale von Unmut zu binden.

Sloterdijk bewegt sich mit Zorn und Zeit auf heiklem Terrain, und man muss die Eleganz, mit der er in gefährlichen Gewässern navigiert, einfach bewundern. Parteigängern jeglicher Couleur wird das eine oder andere unangenehm aufstoßen. Den Christen die unverblümte Darstellung der Geschichte des Zornes Gottes und das trostlose In-Aussicht-Stellen zukünftiger Arbeitslosigkeit, den Sympathisanten des kommunistischen Weltexperiments die Bilanz eines Jahrhunderts des Schreckens unter dem Banner des roten Sterns. Denn womit dieses schlicht lesenswerte Buch vor allem aufwartet, sind skandalöse Geschichten fehlgeleiteter thymotischer Energien, die Blutspuren sondergleichen hinter sich herziehen.

Zorn und Zeit

Politisch-psychologischer Versuch

Von Peter Sloterdijk

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006

356 Seiten, geb., Euro 23,50

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