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„Zornige junge Mönche”

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Wir sind heute eine Kirche im Aufbruch. Eine Kirche, die aus dem Zustand einer langen Erstarrung endlich erwacht. Seit Trient war man vor allem auf Abwehr, auf sorgsame Bewahrung des Bestehenden bedacht. Fortschritt, Änderung, Reform, wie auch jede Kritik am Bestehenden, das alles roch nach Häresie. Bis zum 19. Jahrhundert galt in der Kirche alles Neue als verdächtig. Der bestehende Zustand sollte ein für allemal festgenagelt werden, was einmal dekretiert war, sollte Geltung für ewige Zeiten haben. Jede Bewegung, jeder Schritt, jedes Wort, jede Kleinigkeit war für den Kleriker genau durch Canones und Paragraphen festgelegt. Sie verpflichteten zumindest unter läßlicher Sünde.

Nun schafft man sich endlich Luft. Das Konzil hat’s geschafft. Was man gestern kaum zu flüstern wagte aus Angst vor Zensuren, das diskutiert man heute offen.

Frische Luft in allen Mauern

Es ist klar, daß dieser neue Geist auch vor Klostermauern nicht haltmacht. Vor allem unter dem klösterlichen Nachwuchs melden sich Bestrebungen, die zur großen Besorgnis der älteren Generation auf einmal alles anders haben wollen. Man rüttelt an Dingen, die man gestern noch für unerschütterliche Fundamente hielt. Jede Tradition im Orden muß neu überprüft, jede Regel neu überdacht werden. Alles muß fallen, was seinen inneren Sinn verloren hat. Weg mit dem alten Zopf! So kann man in vielen Klosterrekreationen mehr oder weniger offen reden hören.

Unsere Tendenz, vor allem die der Jugend, geht dahin, alles auf das Wesentliche zu beschränken, alles nebensächliche Beiwerk zu beseitigen und eine ursprüngliche Einfachheit wiederherzustellen.

Wesentlich ist letzten Endes in einem Orden, außer den Gelübten; nur das durch brüderliche Liebe zu- santmengbhaltene gemeinsame Leben, mit dem Akzent — je nach Orden — auf dem aktiven oder dem kontemplativen Ideal. Hier finden wir schon die erste Spannung. Nicht etwa als ob das Kontemplative als unmodern empfunden würde. Diese Auffassung der Auf kl ärungszeit ist überholt. Wir stehen im Gegenteil, vor allem in einigen Ländern, vor der erstaunlichen Tatsache: je strenger und weitabgewandter, desto mehr Zulauf. Es geht hier um etwas anderes, um die Orientierung des Frömmigkeitsideals. Dieses ist beim aktiven wie beim kontemplativen Leben heute nur noch im liturgischen Geiste denkbar. In der subjektiven Andachtsfrömmigkeit der Gegenreformationszeit ist es hoffnungslos veraltet und für den heutigen jungen Menschen unannehmbar, mögen die Andachten seinerzeit noch so populär geworden und mit noch so viel Ablässen gesegnet worden sein. Die unbekümmerte Respektlosigkeit unserer Jugend in diesen Dingen wirkt oft richtig erfrischend. Kongregationen, die eigens zur Pflege einer bestimmten Andacht gegründet worden sind und die in deren Verbreitung ihre Hauptaufgabe sehen, befinden sich heute in einer großen geistigen Krise.

Überholte Formen

Dagegen sind die vortridentini- schen Orden von Mönchen und Chor- herm, die man lange Zeit achselzuckend als „hoffnungslos veraltet” und nicht mehr in die Zeit passend bezeichnet hat, in vieler Hinsicht wieder modern geworden. Ihre Verfassung ist zwar altmodisch und ungeeignet, aber sie sind „zweckentbunden”, ihre Zielsetzung ist nicht eingeengt, sondern weit, sie ist mit den Zielen des Reiches Gottes identisch. Ihre Geisteshaltung war von jeher liturgisch und dem Geist der Urkirche viel näher als die jener Genossenschaften, die aus dem Geist der Gegenreformationszeit geboren sind.

Aber auch in den „aufgewerteten” alten Orden gibt es heute Probleme genug. Ein Orden ist meist sehr konservativ. Das Erbe einer jahrhundertelangen Tradition hält man heilig. Aber manches an ihrer Lebensform beginnt eben heute fragwürdig zu werden. Da ist vor aftefn die Verfassung. Wenn jedes Kloster selbständig ist und „sich selbst durchschlagen muß”, so wird wohl dadurch das Zusammengehörigkeitsgefühl der kleinen Familie gestärkt, aber es tritt oft jahrelang niemand ein, die vorhandenen Kräfte werden überfordert, man ist oft außerstande, einen wichtigen Posten mit einem geeigneten Mann zu besetzen, es tritt Überalterung ein.

Die Jugend sagt: In dem Punkt müssen wir von den Mendikanten und von den Kongregationen lernen. Die sind wendiger. Auch wir brauchen, bei aller Wahrung des Familiencharakters, eine zentralere, elastischere Verfassung. Das gleiche gilt von den Oberen auf Lebenszeit. Hier werden jahrhundertealte Forderungen so akut wie noch nie. Man kann es sich in unserer schnellebigen Zeit nicht mehr leisten, sagt die Jugend, daß durch ein Stagnieren in der Leitung Stillstand und Rückschritt eintritt.

So vieles wird heute diskutiert: Soll das Chorgebet gekürzt, soll es deutsch werden? Sind bei einem Orden mit ausgeprägter Seelsorgstätigkeit lateinische Choralämter noch am Platz? Der Standpunkt der Jugend ist hier oft recht radikal. Sie vertritt aiuch die Ansicht, daß nicht der Buchstabe der Regeltreue, sondern die brüderliche Liebe das Aller- wichtigste in einer Gemeinschaft sei. Deshalb seien die gemeinsamen Unterhaltungen auf Kosten des Stillschweigens und der Tischlesung zu vermehren.

Hören wir weiter, was uns die Jugend sagt: Wozu ein eigener Ordensname? Das ist eine Herabwürdigung der Taufe! In der Taufe bin ich ein neuer Mensch geworden, und das allein ist ausschlaggebend! Dazu kommt, daß vor dem Staat doch nur der Taufname gilt! Man sollte nur demjenigen einen neuen Ordensnamen geben, dessen Name in der Kommunität schon vorhanden ist.

Das Schuldkapitel empfinden wir als etwas Überholtes. Desgleichen die Tonsur, mit der wir uns geradezu komisch Vorkommen. Wenn wir Sport treiben, was heute selbstverständlich ist, wenn wir uns aufs Motorrad setzen, und bei manch anderer Gelegenheit (nicht nur bei schwerer Arbeit) ist die Kutte denkbar ungeeignet. Warum sollen wir nicht Zivil oder einen geeigneten Sportdreß anziehen? Schon deshalb müßte dann natürlich auch die Tonsur verschwinden!

Verständnisvolle Obere

Nach unseren alten Ordensstatuten muß ein Ordensmann das Reisen auf das Allemotwendigste beschränken. Denn das ist doch angeblich gegen die heilige Armut! Und noch mehr gegen diie Eingezogenheit! Wir aber brauchen Kontakte, wir müssen sehen und hören, wie man anderswo die modernen Probleme meistert. Dazu sind Reisen, Teilnahme an Tagungen und Kongressen, persönliche Fühlungnahme mit Personen und Gemeinschaften unerläßlich.

Es gibt Obere, denen man jede kleine Reise abbetteln muß, die jede Fahrt zu einer Tagung, einem Archiv oder einer Bibliothek, die länger als zwei bis drei Tage dauert, gleich als unrechtmäßig erschlichenen Urlaub bezeichnen. Es gibt aber auch andere, die uns jungen Fratres ein Auto und Reisegeld geben mit den Worten: „Fahrt drei Wochen nach Tirol! In Innsbruck ist nächste Woche ein Katechetenkongreß. Besucht das Kloster X und die Abtei Y, und im übrigen wißt ihr ja, wo es etwas Interessantes zu sehen gibt, und wo ihr lernen könnt.”

Das ist vernünftig. Zu einem solchen Oberen haben wir Vertrauen, eben weil er uns Vertrauen schenkt.

Ja, sie sind radikal, unsere jungen Leute. Aber es kommt immer schlimmer. Die alte Generation in den Klöstern empfand Armbanduhren als ausgesprochen unklöster- lidi, desgleichen Saar- und Mundwasser, sie trpglange (Nachthemden, ‘beim Waschen morgens schob man die Ärmel ein wenig zurück und wusch Gesicht und Hände. Die junge Generation hat nicht nur Armbanduhren und allerhand wohlriechende Wässer, sondern auch Tonbandgeräte, des Nachts trägt sie bunte Pyjamas und womöglich noch ein Haarnetz, beim Waschen entblößt sie den ganzen Oberkörper und dann rasiert sie sich noch elektrisch! Und sie ist dann noch ganz toll auf rhythmische Musik”, alias Jazz, und möchte sie in der Kirche einführen! Die alten Herren seufzen resigniert: „O tempora, o mores!”

(wird fortgesetzt)

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