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Zufrieden—pardon

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Es gibt in unserer Zeit einige Vokabel, die wir zwar noch kennen, die aber im Begriff sind, auszusterben. Sie stehen gewissermaßen auf der Roten Liste der Sprache, und die drückt ja wiederum unsere Gesinnung aus. Drum wird man beinahe schon rot, sobald man Worte wie Bescheidenheit oder Zufriedenheit in den Mund nimmt. Daß sie mich aber unlängst geradezu ansprangen, verdanke icn einem zufälligen zeitlichen Zusammentreffen.

Im Radio hatte ich eben einen Bericht über unseren Lebensstandard gehört und über den ich weiß nicht wievielten oberen Weltrang, den wir diesbezüglich einnehmen. Vom Wirtschaftswachstum war die Rede gewesen, und daß wir im Jahr 2000 einen Rekord an Stromverbrauch haben würden, was die Elektrizitätsbosse ja bekanntlich nicht ungern hören und was sie begehrlich nach den letzten Naturreservaten schielen läßt, in denen noch ein paar Fischotter, Reiher und Frösche ihre Zuflucht gefunden haben. Und da fuhr ich auch schon in die Wohnung meiner Großmutter, die aufzulösen ein trauriger Anlaß geboten hatte. Ich bin dann, nachdem ich den Schlüssel im billigen Türschloß einmal umgedreht hatte, lange vor verschiedenen Gegenständen gestanden. Es waren wenige, aber jeder davon erzählte eine lange Geschichte, die Dinge waren mir vertraut, und die Geschichten tauchten aus dem Dunkel der Vergangenheit auf.

Drei Reindln waren da, mehr hatte Großmutter nicht gebraucht, das Email war hier und dort schon abgeschlagen, doch sie hatten ihren Dienst getan bis zuletzt, und eins davon trug außen noch Spuren von rotem Lack, denn in ihm hatte ich einstens die Farbe gerührt, mit der ich den Rand zu den Kamintürchen der alten Dame frisch überpinselt hatte. Und da war das 40er-Jahre-Radio mit dem grünen Schmetterlingsauge, das mich schon als Kind so fasziniert hatte. Drehte man es auf, roch es nach heiß werdender Elektrik, es brummte, und auf seiner Skala standen Namen wie Berlin, Nürnberg, Budapest, Helsinki, und wenn ich heute mitunter in diese

Städte komme, fällt mir ein, wo sie auf der von hinten beleuchteten Glasplatte standen, rechts oben oder links in der Mitte. Und da war die lasse, aus der Großmutter ihren Frühstückskaffee getrunken hatte und mitunter auch ejnen Tee zur Jause, der meistens auch gleich das Nachtmahl war, ein Butterbrot dazu, sie aß nicht viel. Eine kleine achteckige Goldbrosche aus dem Sudetenland lag da, Großmutters gesamter Schmuck, ein wohlgeordnetes Nähzeug mit zahlreichen Fäden, Wollresten und Zwirn, denn sie warf nichts weg.

Und in einem Schrank, ganz hinten, fand ich die Dinge, die sie nicht mehr so richtig erreicht hatten. Da war die Obstpresse, die ich ihr gekauft hatte, damit sie mehr Vitamine zu sich nehmen sollte, der Kassettenrecorder, den zu bedienen sie nicht mehr erlernt hatte, und der elektrische Toaster von Cousine Doris, fabriksneu. Denn Großmutter hatte sich nie davon abbringen lassen, die Brotscheiben in der Pfanne zur rösten, und sie waren zugegebenermaßen immer köstlich.

Ich habe das alles dann nicht wegwerfen können, es liegt jetzt bei mir auf dem Dachboden, und es ist ein Memento an mich und, ja, auch eins an alle meine Zeitgenossen. Es mahnt an unsere mittlerweile selbstverständlich gewordene Unbeschei-denheit. Es zeigt mir, daß Lebensqualität, und davon hatte Großmutter jede Menge, ganz bestimmt nichts damit zu tun hat, ein wie großes Auto vor der Tür protzt, wie viele Hi-fi-Apparate im Wohnzimmer und wie viele Mikrowellengeräte in der Küche stehen und daß der Erlebnisurlaub in einem von Animateuren wimmelnden Exklusivklub am anderen Ende der Welt verbracht wird.

Was kein Bekenntnis zu Lavoir und Kienspan sein soll. Aber der blau gestickte Spruch über Großmutters Herd, der holprig gereimt von Zufriedenheit erzählt, die im Leben so wichtig ist, hängt jetzt in meinem Vorzimmer. Von Zeit zu Zeit, wenn mir wieder einmal irgend etwas nicht schnell genug geht, nicht gut genug ist oder nicht bequem genug erscheint, lese ich ihn.

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