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Zum Fall Josef Weinheber

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Josef Weinheber: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Josef Nadlet und Hedwig Weinheber. II. Band, Gedichte, Zweitei Teil (602 Seiten), und IV, Band, Kleine Prosa (820 Seiten). Verlag Otto Müller, Salzburg. Preis je 109 S

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Josef Weinheber: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Josef Nadlet und Hedwig Weinheber. II. Band, Gedichte, Zweitei Teil (602 Seiten), und IV, Band, Kleine Prosa (820 Seiten). Verlag Otto Müller, Salzburg. Preis je 109 S

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Es ist nicht das geringste Verdienst von Josef Nadlers verdienstvoller Wcinheber-Edition: Band für Band wird hier, mit dem Fortschritt der Edition, die Tragödie Weinhebers immer mehr aufgerollt. Besonders lehrreich ist in diesem Sinne ein Vergleich der Bände II und IV. Band II enthält die Versbücher ,.AdeI und Untergang“, „Wien, wörtlich“, „Späte Krone“, „0 Mensch, gib acht“, „Zwischen Göttern und Dämonen“, I.Kammermusik“, ..Hier ist das Wort“ und die drei Auswahlbände „Vereinsamtes Herz“, „Selbstbildnis“, „Dokumente des Herzens“, mit Hinweis auf die bereits andernorts in der Gesamtausgabe abgedruckten Gedichte und vollem Abdruck der hier neu hinzugefügten Poeme. Band IV. thematisch äußerst bunt, enthält Skizzen und Reden über das eigene Leben und den Werdegang, Festreden aus den Jahren 1936 bis 1944, die Wiener Vorlesungen vor den Gaustudenten über die deutsche Sprache, Essays zur Lyrik, Kritiken, Radiovorträge, Schilderungen (Wien, die PeripHerle und Vorstadt: ein Herzkern dieses Bandes), „Geschichten“, „Szenen“ und Gedichte. — Nadler vermerkt im Anhang: „Der Abdruck ist selbstverständlich wortgetreu. Der Herausgeber lehnt es ab, Weinhebers Wortlaut zu kastrieren, sei es, um dies und jenes zu vertuschen, sei es, irgend jemanden zu schonen. Aber er ist an das geltende österreichische Gesetz gebunden. Aus diesem Grunde allein wurden einige wenige Stellen, die im Apparat genau bezeichnet sind, unterdrückt. Aus dem gleichen Grunde wurden einige wenige Gedichte nur dem Titel nach angeführt “ — Wir glauben, daß in die Gesamtausgabe auch diese Stellen aufgenommen gehören, also etwa die „Ode an die Straßen Adolf Hitlers“, der „Hymnus auf den Frontarbeiter“ und der „Hochgesang auf den deutschen Rüstungsarbeiter“ und die anderen fehlenden Gedichte, und zwar aus mehrfachen Gründen. Josef Weinheber ist kein politisches Phänomen. Wenn er sich in unglücklichen Stunden selbst als politischer Dichter mißverstand, dann wird gerade an diesen Produktionen ein “Teil seiner Tragödie sichtbar. — Es ist, zum zweiten, nicht einzusehen, warum einige wenige prononcierte politische Quellenstellen hier fehlen sollen, nachdem gerade dieser vierte Band es an politischen Bekenntnissen derselben Färbung nicht fehlen läßt. Die Wucht dieses Selbstbekenntnisses — als das sich in diesen Bänden das Gesamtwerk Weinhebers enthüllt — wirkt oft erdrückend. — Wer den schönen Schein liebt, erlese sich, nach wie vor, einzelne Gedichte aus den großen Versbänden und verweile dann, zur Erbauung, bei „O Mensch, gib acht“, bei der „Kammermusik“ und vielleicht noch bei einzelnen Passagen aus „Wien, wörtlich“. Wer Interesse für die Wahrheit besitzt, für die Person des Autors und für eine österreichische Tragödie, der lese diese Bände von hinten nach vorne: also jeweils mit dem Düstern und Düstersten beginnend, bis sich die Zeilen und Verse erhellen: in die poetische Fiktion, in Dichtung, Musik, in den Traum. '

Diese Bände erlauben, einige wesentliche Züge Weinhebers zu orten: der Dichter und Reimschmied ist in vielem bei den Alt-Wiener Bänkelsängern zu Hause, in der Umwelt eines Ferdinand Sauter. Der Politikaster, Kritiker Oesterreichs steht in einer Tradition, die von Ferdinand Kürnberger und den Pamphletisten um Karl Pöstl und um 1830 bis 1848 in die Nähe Kaltneckcrs und Horvaths heraufführt. Anton Kuh hat um 1930, ohne Weinheber zu kennen, einige dieser charakteristischen Merkmale unseres Autors in seiner Schilderung des Wiener „Vorstadt-Hypochonders“ festgehalten. (Man vergleiche zum folgenden Weinhebers dramatisch-einfühlsame Schilderung der Wiener Vorstadt- und PeripHerlewelt in Band IV!, S. 409 bis 501: kaum anderswo, andernorts, ist Weinheber so echt, und so menschlich wie hier.'): „Es sind jene merkwürdigen Käuze, deren Hirn Dialekt redet, die-weil ihr Herz hochdeutsch funktioniert — die Randgänger zwischen der großen Welt und der Vorstadt, welche man Volksdichter nennt. Sie haben sich ahnungslos eines Tages die schöpferische Infektion geholt .. . ihre Seele ist zwischen Dialekt und Hochdeutsch entzweigebrochen ... Die Frucht dieses Zwitterdaseins ist: Hypochondrie.“ Kuh spricht als „genialsten Vorstadt-Hypochonder“ Raimund an: „Sein Werdegang ist ein Lesebuchbeispiel jener schöpferischen Selbstvergiftung, mit der Niedergeborene den Höhenflug bezahlen.“ — Das Hirn spricht Dialekt, das heißt bei Weinheber: es denkt „geschwollen“, primitivistisch. provinziell, „ungebildet“, überheblich, eng und arm: die Vorlesungen und Vorträge Weinhebers in Band IV bezeugen eine Ueberanstrengung, eine Ueberforderung. der sich der Vortragende selbst bewußt gewesen sein mag, immer wieder bricht er ab. bricht aus der loei-schen Abhandlung aus in die tönende Phrase. Läßt sich, allzu willig, verführen von seiner Technik, von der er selbst bekennt: „Ich konnte bei fast gelöschtem Bewußtsein, im Halbschlaf, Verse mit den schwierigsten Metren bilden .“ — ..Je unproblematischer die Formung wurde, desto problematischer wurden die Dinge selbst. Vor meinen Augen stand die furchtbare Gefahr des Leerlaufes“ (S. 8lV Der Weinheber, der von 1934 über 1996 sich, in Rausch und Ruhm, von beiden verwirrt, zu „höchsten“ Themen erhebt, flieht vor dem Bewußtsein seines Leerlaufes in immer noch „höhere“ Themen ... — Und scheitert als Dichter, weil er menschlich nicht fertig wird mit seiner „schöpferischen Infektion“, die ihn weit mehr als Gift, denn als Gabe überkommen hat. Stolzen Mundes (aber weh und wund im Herzen und Gewissen) wehrt er sich gegen den Vorwurf, ein „Experimentator“ und ein „in die Dichtkunst verschlagener Gehirnakrobat“ zu sein, beruft sich dagegen auf „die Jugend, die Soldaten, das Volk“ (was für eine unberatene Jugend, was für ein unbetreutes Volk, was für verratene Soldaten ... S. 89). Und erstattet beim Großdeutschen Dichtertreffen in Weimar am 29. Oktober 1938 die .Meldung: wir Dichter sind „das Sprachrohr unseres Volkes, aber durch unseren Mund hindurch reden die Götter!“ (S. 103). Armer Musikant aus Wien .. . wohin hat man dich verführt, weg von Wein, Weib und Gesang ... Da spricht er also nun von Volksverrat und „bekennt“: „Die Ausrichtung aller Deutschen, und insbesondere der in der Welt zerstreuten, auf seine Dichter hin wäre in einer früheren Geisteslage des Volkes nicht möglich gewesen. Jetzt, wo unter einer wahrhaft genialen Führung Volk sich als Volk sieht und empfindet, erscheint uns diese Ausrichtung als das Gemäße, Selbstverständliche!“ Man beachte hier nicht den politischen Vordersinn, der ist heute wahrhaft nebensächlich, wohl aber die Sprache. Ist das Weinhebers „deutsche Sprache“, die vergottete, die Mutter, die höchste Gottheit, der er zu leben und zu sterben und allweil zu dienen vorgibt? ... — Der Leerlauf des Gehirns bezeugt sich in der Flucht in „große Worte“ und Phrasen: es gilt, das „Abendland“ zu retten! Eine gewisse Abendlandideologie ab 1945/1955 findet sich zur Gänze hier vorgebildet, man vergleiche IV, S. 153 ff. — Wer aber ist berufen, das „Abendland“ zu retten?: „Wir Geistige.“ Weinheber liebt diese Selbsteinstufung: „W i r Geistig e“. — Wie er dieses Geistigsein aber versteht, bekennt er in einem Wort an die Jugend: „Wir Aelteren kommen aus einer Welt, in der es sozusagen wimmelt von Tradition. Wir tragen eine, vielleicht allzu schwere Last an Geistigem immerzu und unab werfbar mit uns mit. Es ist unsere tragische Schuld, daß die Jugend da nicht mehr mitwollte, daß also der Pendel nach der anderen Seite, zum Voraussetzungslosen hin, ausschwang. Wir fühlen heute, daß wir im Geistigen zuviel getan haben“ (IV, S. 222). Man beachte, wie hier der Logos, der Geist, und nicht zuletzt die Sprache malträtiert werden, von der er gleich wieder bekennt: „Es gibt nichts Eingeboreneres als die Sprache. Sie ist uns Mutter und Geliebte zugleich.“ Die Ehre der Sprache ist die Ehre der Nation. Diese zwiefache Ehre hat uns, im gegenwärtigen Moment, zum Krieg verpflichtet:. „Eine göttliche Aufgabe hat uns bewegt, mit planendem Kopf und fühlendem Herzen in das Geschick des weißen Menschen einzugreifen. Denn die Ehre unserer Nation ist die Ehre des weißen Menschen.“ (Das Wort über die Sprache und über die Kriegsauf gäbe stehen auf derselben Seite, S. 303.) Pathetisch erklärt gerade hier unser Dichter: „Ich stehe und falle mit dem Begriff des echt Deutschen, ich stehe und falle mit dem Begriff der Humanitas, ich stehe und falle mit dem Begriff des weißen Menschen.“ — Die Lektüre dieses Bandes bezeugt anderes: das Schicksal, der Lebensweg, die Tragödie des Menschen und Dichters Weinheber spielen in ganz anderen Dimensionen, in anderen Gefilden als hier, auf der Schaubühne einer verlogenen Rhetorik. Ab Seite 404 betreten wir das Erdreich des Wiener Volksdichters Josef Weinheber, den ein widriges Geschick und ein hilfloser Hoch-Mut (der vom „hohen Mut“ spätmittelalterlicher Don-Quijote-Ritter hinüberführt zu einem verzweifelten Hochmut, der nicht zufällig Satan-Luzifer als Vollender des göttlichen Werkes besingt: II, S 404 f.) verführten. Da stehen also die innigstarken Schilderungen der „armen Leut“, des „An-mäuerlns“ der Kinder, des Schrebergartens, des „Vorstadt-Stadtwieners“, des niederösterreichischen Weinlandes. Durch die Gärten der Vorstadt wandern wir dann, immer an Hand des Bandes IV, in Weinhebers Vorhöllen und Höllen. Grausam, nackt, ohne alle Maskeraden und Umschweife, führen die „Geschichten“, etwa „Das Verhältnis“, „Die Trauung“, „Der Selbstmörder“, in eine Halbwelt, in der arme Teufel in Wut, Trauer, mit verklemmter Sexualität untergehen. Es gehört zur österreichischen Tragödie Weinhebers, daß für immer, so scheint es, die Misere einer schäbigen, schmutzigen, notdurftbehafteten, verlogenen Subalternexistenz des Postbeamten Weinheber für diesen Mann mit seiner Erfahrung „Oesterreich“ verschmolz. „Ich gehe täglich ins Büro / und sitze dort auf dem Popo. / Das ist seit zwanzig Jahren so“ (IV, S. 790). „Dann sitz' ich endlich, qual-verknorrt, / an meiner Schreibtischgruft. / Gemeinschaftsküche und Abort / bestimmen hier die Luft. / Die Luft, die allerorten weht / bei uns in Oesterreich: / Wie die Verschlampung, zäh und stet, / und wie die Hirne weich“ (S. 782). Hier ist der einzige wirkliche Berührungspunkt Weinhebers mit Hitler: beide kommen über die Verdemütigung, als arme Schlucker im reichen, großen Wien, nicht hinweg. Hitler flieht in die Politik, Weinheber in den Rausch und in den Traum der Dichtung. Weinhebers „heroische“ Dichtung ist ein einzigartiger Fluchtversuch. Die reine deutsche Sprache soll i h n reinigen, säubern. Hier nähern wir uns dem existentiellen Ernst von Weinhebers an sich so fragwürdiger hochtönender Poeterei. Er meint es ernst mit „seiner“ Sprache: sie soll ihn reinwaschen, soll ihn, der sich tagtäglich die Hände und Sinne schmutzig gemacht hat im Umgang mit den Menschen, mit sich selbst, aus diesem Jammertal irdischer Vorholle und Hölle entheben in die reinen Gefilde der reinen Kunst. Die deutsche Spräche, Göttin. Allegorie, gute Fee (wieder ist an Raimund zu denken), wird ihm dann zu „Deutschland“. Weinheber hat zu „Deutschland“ ein durchaus irreales Verhältnis. Oesterreich war ihm ein reales Erlebnis: Schmach und Schande brüchiger unterständischer Existenz. Deutschland •ist der Traum. Ihm will er dienen, ihm sein Leben weihen.

Die innere und künstlerische Tragödie Weinhebers wurzelt in seinem Wahnglauben, daß er eben dieser seiner Zwischenexistenz zwischen der „Hölle.“ Oesterreich und dem „Himmel“ Deutschland, der Sünde, der Verfallenheit des eigenen Lebens „d a s Gedicht“, als die große Tat, ablisten, ja abpressen könne — so wie er 1937 an eine Frau schreibt: „Was ich angriff, selbst die Sünde, / wurde Form in meinen Händen, / und ich schonte dieses Herz nicht, / noch am Rande jedes Abgrunds / ein Gedicht ihm zu erpressen“ (II, S. 537). Die Erpressung mißlang. — Die hochtönende rhetorische Poeterei Weinhebers ist ein nahezu unentwirrbares Gemisch von Echtem und Falschem, von Lüge, Eitelkeit, Hochmut und einzelnen Perlen von Tränen und Wahrworten. — Bleibt der Wiener Volkssänger Josef Weinheber: ein Mann, der sein Volk kannte und liebte, der an seinem Mund und an seinem Herzen hing und der, in der Schar österreichischer Bänkelsänger, tief verstört, todtraurig seine Lieder in den verwehenden Tag singt.

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