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Ohne viel Aufsehen hat die internationale Organisation der christlichen Demokratie vor einiger Zeit ihren Namen geändert. Als sich in einem hoffnungsvollen Frühling des Nachkriegsjahres 1947 die führenden Persönlichkeiten der zum Großteil erst neu gegründeten oder aus der Nacht der nationalsozialistischen Besatzungszeit soeben wiedererstandenen christlich-demokratischen Gruppen zu Luzern versammelten, nannten sie ihren losen

Zusammenschluß Nouvelles Equipes Internationales (NEI). Sie verzichteten zunächst darauf, das aus den verschiedensten Traditionen kommende Fußvolk ihrer Parteien auf ein großes, übernationales Programm zu verpflichten und einen Kollektivbeitritt zu erzwingen. Sj’e fühlten sich als Equipen, als kleine Elitegruppen und Pioniere einer Entwicklung, die sie damals schon in den ersten Konturen zu erkennen glaubten. Die Männer von damals hatten als Vollblutpolitiker natürlich den Willen zur Effektivität, der in der modernen Demokratie eben einmal mit dem zur stabilen Wählermehrheit verbunden ist. Aber sie waren noch keine Fetischisten der großen Zahlen, weder was die Wählermassen noch was die Propagandamillionen betrifft. Sie hatten den totalen Zusammenbruch eines in Superlativen schwelgenden Regimes noch zu deutlich in Erinnerung;

Und sie wußten auch etwas anderes aus der hautnahen Erfahrung: Gerade im Widerstand gegen den totalen Staatspopanz hatte sich die dynamische und am Ende siegreiche Kraft der oft gering geschätzten kleinen Zelle erwiesen. Sie alle hatten es iii dieser oder in jener Form persönlich erlebt: den flüsternd-unauffälligen „Spaziergang“ zwischen den Lagerbaracken, die als Heurigenausflug getarnte Programmkonferenz. De Gasperi, einer der „Väter“ von damals, hatte die abgeschlossenen Kabinette der vatikanischen Bibliothek zur Aufbauzelle der christlich-demokratischen Bewegung seines Landes gemacht, Felix Hurdes wechselte seihe Amtsräume in periodischer Wiederkehr zwischen Kerkerzelle und gestapobeobachteter Vorstadtwohnung, Robert Schuman hatte die Mauslöcher und Hinterhöfe der französischen Resistance kennengelernt. Aber auch die Vertreter der durch die Hitler-Herrschaft nicht vollends zertrümmerten, sondern nur verbotenen christlichen Parteien der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs hatten einen neuen Arbeitsstil lernen müssen. Die behaglichen Parteibüros in der schützenden Nähe des bürgerlichen Pfarrhauses waren ebensowenig benützbar gewesen wie die Honoratiorenzimmer renovierter Provinzgasthäuser.

Aus all dem, der fast simplen, biblischen Erkenntnis von der Hinfälligkeit des Großen tind der Macht des Kleinen schöpften die Männer von damals nun keinesfalls einen pietistisch-säuer- lichen Kleinglauben an das Glück in der politischen Winkelidylle. Ihre Konsequenz war die eines großen, inspirierten Optimismus, dessen Grenzenlosigkeit den, der die Manifeste von damals liest, mit Melancholie und — Beschämung erfüllen muß.

Europa im Ganzen

Das große, fast zum Greifen erreichbare Nahziel hieß Europa. Man traf sich in einem westlichen Land, gewiß. Die anerkannte Konferenzsprache war Französisch. Die Männer der soeben erst auf Zonenebene gegründeten CDU. die sich verzweifelt bemühten, eine gesamtdeutsche Repräsentation zu bilden, waren vorerst nur als Be-

obachter anwesend. Ihre nach allem, was unmittelbar zuvor geschehen war, nicht eben ganz ohne innere Hemmung erfolgte Einladung ging auf eine stille, diplomatische Hintergrundinitiative des später als „Deutschenfeind" verleumdeten Österreichers Fturdes zurück. Aber man sah selbst über das außer Österreich noch nicht vertretene Mitteleuropa hinaus nach Osten. Christliche Parteien verschiedener Eigenart und Tradition hatten sich ja auch unter den immerhin noch als halbwegs demokratisch anzusehenden Verhält-

nissen in Prag und Budapest, zu schweigen von Warschau, gebildet. Man bedauerte es aufrichtig, daß ihre Vertreter damals bereits der Luzerner Einladung nicht Folge leisten konnten. Aus „technischen Gründen“, wie es vielsagend hieß. Über die Grenzen Europas dachte man noch kaum hinaus.

Der Hausherr und umsichtige Organisator des diesjährigen Luzerner Kongresses, der Generalsekretär der konservativ-christlichen Partei der Schweiz, Dr. Martin Rosenberg, erinnerte bewußt und fast demonstrativ an jenen ersten Luzerner Kongreß, als er die Delegierten des 15. Jahreskongresses der Internationalen Union Christlicher Demokraten — so heißt die Gemeinschaft der Equipen von damals jetzt — an den Ufern des sich gleichgebliebenen Vierwaldstätter Sees begrüßte. Es wäre oberflächlich, die Gegensätze zwischen einst und heute nun in der Art einer demagogischen Photomontage gegeneinander auszuspielen, nach dem beliebten Illustriertenschema: Hie Wunderlimousine — dort Fahrrad, hie Schmerbauch, dort hohle Wange Die Delegierten von heute W’aren in der Mehrzahl keine jugend- bewegten Romantiker, die einer entschwundenen Burschenherrlichkeit des knurrenden Magens nachtrauerten oder sie gar bei reich gedecktem Festtisch als angenehmen Magenbitterersatz heraufbeschworen. Daß Europa inzwischen in seinem freien Teil zu einem prosperierenden Kontinent geworden ist, konnte die, die eine solche Entwicklung mit ihrer zähen Vorarbeit initiierten, nicht betrüben. Eine gewisse geographische Schwerpunktverlagerung gab zum Nachdenken schon mehr Anlaß. Die damals ausgebliebenen Delegierten der gleichgesinnten Gruppen aus Ostmitteleuropa saßen diesmal wohl nahezu vollzählig am Beratungstisch. Aber sie sind Exilpolitiker geworden, deren Büros in Paris und New York stehen. Was „drüben“ vorgeht, weiß man nur mehr sehr indirekt. Neue Männer sitzen heute ünter den Delegierten, zeitweise sogar am Präsidiumstisch: die Führer der in Bildung begriffenen christlich-demokratischen Parteien Lateinamerikas, der eine oder andere Vertreter des schwarzen Kontinents.

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