6609971-1954_45_07.jpg
Digital In Arbeit

Zuviel Pfusch an Fremdenstraßen

Werbung
Werbung
Werbung

In Cortina d’Ampezzo wird die noch ziemlich neue evangelische Kirche verlegt, weil sie nicht zum Ortsbild paßt.

Man hat bald einige hundert Kilometer zurückgelegt, wenn man auch nur mit einer bescheidenen guten Puch 125 herumfährt. Als wir uns mit der Maschine über die italienische Grenze trauten, nahm uns sofort eine tadellose Straße auf, ohne Loch, ohne Rinne, mit markanten Randsteinen, kurzum, eine richtige Straße.

Solche Straßen blieben uns, bis auf wenige Baustellen, treu bis zum letzten Meter jenseits der Grenze. Aber da holt auch Oesterreich, durch zwei Weltkriege zurückgeworfen, mächtig auf. Es scheint dies das Verdienst einiger besonders straßenfreundlicher Landeshauptleute zu sein. Gute Straßen ziehen den Feind ins Land, hieß es einst; heute ziehen sie Millionen Freunde herbei. Dies wird von Jahr zu Jahr, von Woche zu Woche deutlicher; überall schreitet ja die Motorisierung gewaltig vorwärts. Stellen wir uns vor, es öffnete sich wieder einmal der Eiserne Vorhang: was da von Nord, von Ost noch dazubrausen wird zu dem Strom, der unser Land schon durchfließt!

Und diese Länder haben viele Freunde in West und Süd, die meist auch durch Oesterreich müssen, um Ungarn, die Tschechoslowakei zu erreichen.

Gute, zweckentsprechende Straßen und einladende Ortsbildor — das brauchen wir. Allein bei den Ortsbildern ist man leider daran, allerlei Folgenschweres zu begehen, das kostspielig ist und vermeidbar wäre.

Zuerst soll nicht die Rede sein von alten Kasematten und windschiefen Hütten, die — wenig malerisch — an manchen Fremdenstraßen sich häufen. Die größere Gefahr ist, was sich da an n e u e m Pfusch ansammelt und noch als Errungenschaft gepriesen wird. Bei einer eben entstehenden Siedlung schauen in einem Gebirgsort mühselige Zweikreuzerhütten als Gruß aus dem freundlichen Grün. Bitte; gesiedelt muß werden, auch kann sich nicht jeder eine stilschöne Villa bauen. Aber müssen diese kargen Häuslein gerade an der Hauptdurchzugsstraße prangen? Dies wäre unbedingt zu vermeiden. Der Fremde will nicht nur Wohlstand sehen, aber auch nicht eben Kümmerlichkeit.

Wüste Bergnester, groteske Ruinen, pittoreske Bautrümmer: all dies stellt dir Italien vor die Augen. Und es wirkt, macht ungeheuren Eindruck.

Wie gut zieht sich Traiskirchen aus der Klemme, wie treu hütet Kindberg sein anmutiges Angesicht! Doch bei Gloggnitz, das ohne Sorge wächst, gäbe es schon ernste Bedenken.

Es sollen an der Straße nichts Beiläufiges, irgendwie Hingeworfenes stehen, auch keine wuchtigen Blocks, an denen man nicht einmal Freude hat, so lange sie noch im Glanze der Neuheit prangen. Aber bestimmt schon gar nicht, wenn sie einmal der Straßenstaub anfrißt. Da glauben manche Orte, sie täten das Höchste, wenn sie die Wiener Gemeindebauten nachahmen. Nun, hier stehen aber etliche im ganz zu vermeidenden Gramatneusiedler Stil, der niemals zur Zierde gereichen kann.

In Cortina stört das zu wuchtige Bild der evangelischen Kirche. Also muß sie weg und passend ersetzt werden.

Ein Gewitter über der Tofana zwang uns, dem Gebirge auszuweichen, auf der Strada d’Allemagna nach Süden zu fahren. Nach schwieriger, herrlicher Fahrt, meist hunderte Meter über dem Tal des Boite, im Anblick der prächtigsten Dolomitengipfel, erreichten wir Pieve (Pfarrei) di Cadore, den Geburtsort Tizians, wo die Piave von Nordosten herbeiströmt. Ein wüstes, grandioses Tal. Schauerlich — pericolosissima — ist der Abstieg nach Perarolo. Die Straße vollbringt Wunder. Was aber gerade hier an gewaltigen Autobussen und Giganten von Lastwagen ins Gebirge klettert, ist erstaunlich.

Die meisten Dörfer sind wohlgepflegt, für das Auge des Fremden gerichtet. Der Italiener ist kein reicher Mann, doch, für den Fremden ist ihm nichts zu teuer. — Enger wird die Piaveschlucht. Termine, zwischen Ospitale und Longarone, ist ein malerisch wüstes Nest.

Im Val Sugana zeigt Levico, schon in der österreichischen Zeit ein besuchter Kurort, einladendes Aussehen. Was alt ist an Häusern, ist sorglich gehalten, was neu gebaut wurde, paßt sich dem Alten und dem Gebirgstal überraschend gut an.

Ein Meer von Weingärten, ganze Obstwälder geleiten uns gegen Bozen. Auf herrlicher Straße, vor Bozen oft mit den warmen roten Bozner Porphyrwiirf ein gepflastert, erreichen wir die Hauptstadt Südtirols. Hier ist alles unglaublich gepflegt, die Geschäftsauslagen, besonders in der Laubengasse, zeigen einen Reichtum und einen Glanz, wie man ihn nicht oft sieht. Was an Neuhäusern für die seit 1918 verfünffachte Bevölkerung gebaut wurde, paßt sich gut dem Alten an oder verliert sich in der Ferne vom alten Stadtkern, daß es dessen Eindruck nicht zu schmälern vermag.

Neue Brücken, neue Straßentunnels, neue Gaststätten zeichnen die prächtige Straße neben dem wild rauschenden Eisack, dem Kraftspender für weite Gebiete, aus. Neue Kraftwerke sollen den vielgeplagten Fluß noch mehr ausnützen. Leben, Arbeit, Wohlstand, liebevolles Einfühlen in die Landschaft werden dem Reisenden blendend und zugleich unaufdringlich vor Augen geführt.

Bei der Einfahrt nach Brixen, etwa einen Kilometer von der Stadt entfernt, stehen einige ganz prächtige Neubauten, die den Blick geradezu an sich reißen. Hotels, vermute ich, besonders ansprechende Gebäude, die Mitte haltend zwischen den Prunkhotels der Dolomiten und den bescheideneren des Vorlandes. Nein, es sind Wohnbauten! Betrüblich, nachdenklich stimmend der Vergleich mit denen Neu-Spittals an der Drau, die sich breit, wuchtig, freudlos hinlagern.

Die Einwohnerzahl Brixens hat sich seit 1918 verdoppelt. Da baut man solche Meisterwerke von Wohnhäusern her, voll Farbe, reicher Gliederung, Einschmiegen in die Landschaft. Keine wackeligen Hütten stören die Einfahrt. Da läßt sich der Fremde gern in Träume und Vergessenheit wiegen!

Die Straße durch das Pustertal ist wieder musterhaft, die Häuser an ihr sind - alle in gutem Zustand, herausgeputzt wie festliche Mädchen. Das ganze Land strahlt. Bruneck, Innichen sind Schmuckkästlein.

Wir überschreiten die Grenze. In den Dörfern sind nur einzelne Häuser — sie stechen heraus wie Goldzähne — für den Blick gerichtet, nicht alle wie drüben. Da verliert auch das Gepflegte ein gut Teil seiner Wirkung. Etwas ärmlich ist die Einfahrt nach Lienz, das sich erst im letzten Viertel herrlich entwickelt. Aber gerade auf die Einfahrten kommt es an!

Es bliebe hier also noch unendlich viel für die Arbeitsbeschaffung zu tun; aber es soll nicht im Gramatneusiedler Stil, sondern nach Vorbild Brixens gebaut werden. Jeder, der etwas zu sagen und vorzuschlagen hat, möge sich zuerst dort umsehen, ehe Entschlüsse gefaßt und Millionen und Milliarden verbaut werden.

Wir sind arm — Italien ja auch —, müssen aber dem Fremden das Bild des wohlhabenden, fürs Kleinste besorgten Mannes zeigen, auch wenn es beinahe über unsere Verhältnisse geht. Der Staat, die Länder, die Gemeinden, die Körperschaften des Fremdenverkehrs, die bauende Industrie mögen doch jedes Unternehmen, auch das kleinste private, so unterstützen, daß ein gefälliges Bild und nicht kümmerliche Aneinanderhäufung entsteht. Das mildere Klima können wir nicht heraufzaubern, aber was gebaut wird, muß unter denselben Aspekten erstehen wie dort im heiteren, alles wohl bedenkenden Süden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung