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Zwei alte Silbergulden

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So ein österreichischer Silbergulden, muß man wissen, galt damals, als ich noch in Bubenhosen stak, den ,Wienern als ein ausgesprochen „schönes Geld“. Dazu machte ihn keineswegs bloß seine gelungene Prägung mit dem Kopf des beinahe noch jugendlichen Kaisers Franz Joseph, dem ich es lange nicht verzeihen konnte, daß er meiner lieben Mutter die herbe Enttäuschung bereitete, uns nicht zu besuchen, denn in all den Jahren meiner Kindheit und frühen Jugend behütete sie in einer Kassette getreulich ein Stück edler und besonders wohlduftender Seife, unentwegt hoffend, der Kaiser werde sich eines Tages von irgendeinem rätselhaften Zufall in unsere Wohnung führen lassen, um bei uns die Hände zu waschen. Vielmehr dürfte solch ein Gulden den meisten Wienern vornehmlich darum als schönes Geld gegolten haben, weil selbst ein anspruchsvoller Genießer, einen Silbergulden in der Tasdie, seinem Gaumen einen wahren Festtag bereiten konnte mit Backhuhn und Braten, Wein und Zigarre und allem übrigen, was sonst noch dazugehören mochte, dann erst war der Gulden aufgezehrt. Als mir, rasch hintereinander, zwei solche hochgeschätzte Silberlinge in den Schoß gefallen waren, begann mich fast ernsthaft die Frage zu beschäftigen, was denn etwa die Welt kosten könne.

Wie es das erstemal zuging, das erscheint mir heute noch auf eine seltsame Art geheimnisvoll und dunkel. Nahe meinem Elternhause hielt mich in einer Wiener Straße auf meinem Schulwege eine schöne junge Frau in völlig schwarzer Kleidung, die Schatten der Trauer auch im Antlitz, mit der bescheiden, beinahe demütig vorgebrachten Frage an, ob ich ihr den Gefallen erweisen wolle, in der Blumenhandlung gleich um die Ecke für sie einen Kranz abzuholen. Sie werde hier auf mich warten. Ich fand mich ohne Zögern dazu bereit, worauf sie mir eine Bestätigung des Blumengeschäftes einhändigte, daß der Kranz schon bezahlt sei. Nadi wenigen Minuten kam ich mit dem Kranz zurück, der weder übermäßig groß war noch ungewöhnlich schön. Die Frau dankte mir und versetzte mich, indem sie mir einen blanken Silberguldcn reichte, in höchstes Erstaunen, ja geradezu in Bestürzung, da dieses Geschenk bei weitem den Kaufpreis des Kranzes überstieg, mit dem sie nun langsam die'Straße dahinging, indessen ich noch fassungslos stand. Diese Frau müßte, wenn sie noch lebte, heute freilich schon sehr alt sein. Sollte es sich aber gleichwohl fügen, daß ihr diese Geschichte vor die Augen geriete, so sei sie gebeten, mir endlich zu verraten, welche Bewandtnis es damals mit dem Kranz hatte, warum sie sich ihn nicht selbst holte, und was sie bewog, mir meinen geringen Dienst so fürstlich zu lohnen; ich habe an diesen Fragen wahrlich lange genug herumgerätselt, und bin derweilen selber schon ein wenig grau geworden.

Wie ich zu meinem zweiten Silbergulden kam, das war für mich gar nicht geheimnisvoll, hingegen für meinen Großvater, aus dessen Geldbörse er stammte. Da geriet ich im darauffolgenden Sommer einmal bei meinen Spielen mit ein paar Deinzendorfer Buben tiefer in die Weinhügel, dorthin, wo sich die Rebenhänge aus dem Tale der Pulkau gegen das bescheidene Wässerlein des Schrattenbaches hinübersenken. Wir spielten Verstecken und eben war an dem Lerch-Karli die Reihe des „Einschauens“, das wir derart übten, daß man sich mit geschlossenen Augen und überdies noch vor das Gesicht gedeckten Händen auf den Bauch legte und laut bis hundert zählte, damit die anderen Zeit fänden, sich ein Versteck zu wählen, aus dem sie sodann hervorgeholt werden mußten. Nun stand dort am Schrattenbach eine Reihe zweimannsdicker, uralter Felber-bäume, wie in der Gegend um den Manharts-berg und vielleicht auch anderswo die Weiden heißen. An einem von ihnen klaffte oben, ehe sich sein Stamm in das Gewirr der Äste verlor, ein schwarzes Loch, groß genug, um einem schmalen Buben als Versteck zu dienen. Rasch war idi oben und kroch in die Öffnung. Da wurde ich gewahr, daß der

Stamm bis weit hinunter hohl war. Immer tiefer rutschte ich, bis ich endlich Boden gewann. Dieser Boden aber erwies sich als weich wie Daunenfedern und meine bloßen Füße versanken fast: bis an die Knie in den feinen, köstlichen Flaum, der sich im Laufe vieler Jahrzehnte aus dem vermoderten Holz des Stammes hier drinnen angehäuft hatte. Wohlige Kühle umfing midi und ich verspürte in meinem geräumigen Versteck ein richtiges Behagen, indessen ich draußen den Lerch-Karli suchend auf und nieder traben hörte. Bald hatte er die beiden anderen ent-

deckt und nun setzten sie zu dritt die Suche nach mir fort. Moditen sie immerhin hinter alle Stauden spähen, in alle Wipfel emporäugen, das schilfige Büschelgras an den Bachrändern durchstöbern, ich konnte nur lachen über den Eifer, der sich in der steigenden Erregtheit ihrer Stimmen kundtat. Als sie endlich erschöpft ihre Ohnmacht eingestanden und mich durch Zurufe aufforderten, midi zu zeigen, kroch ich aus meinem Versteck hervor, als dieses Tages unbestrittener Sieger.

Nun geschah es zur Zeit des beginnenden Blätterfalles, daß idi meinem Großvater im Vorgarten seines Landhauses zusah, wie er sich eben anschickte, seinen geliebten Oleanderbaum in einen neuen, größeren Holzkübel umzupflanzen, den er mit grüner Ölfarbe außen schmuck angestrichen hatte. Während er den ersten Spatenstich tat, um den Kübel mit guter Gartenerde zu füllen, sagte er:

„Eine Baumerde wenn wir halt hätten! Die war freilich das allerbeste.“

Fiel mir jählings mein alter Felberbaum im Schrattenbach ein.

„Baumerde?“ sagte ich. „Die kann ich dir bringen, Großvater.“

„Ja. Ein paar Hand' voll vielleicht. Aber ich tat' doch den ganzen Kübel voll brauchen.“

„Den ganzen Kübel voll kann ich dir bringen, Großvater.“

„Geh, plausch nicht! Woher tätest denn du soviel Baumerde nehmen?“

Wenn mein Großvater in seinem Obstgarten einen alten, halbvermoderten Apf-alterer umsdinjtt, erbeutete er bisweilen ein paar Hände voll der vielbegehrten Baumerde, eben genug, um damit ein Gartengeschirr zu füllen, darin sich dann die Großmutter ein Rosmarinstöckel oder ein lieblich duftendes Reseda oder ein würziges Saturei fürs Fensterbrett zog. So kam es, daß er es für ganz unmöglich hielt, genug Baumerde für den neuen, geräumigen Kübel aufzutreiben, und über meine vermeintliche Prahlerei schier ein wenig bös werden wollte.

„Ich bring' dir den ganzen Kübel voll, Großvater!“ beharrte ich hartnäckig.

„Dalkerter Bub du! Einen Silbergulden ließ' ich mich's kosten, wenn du das imstand wärst.“

Mein Großvater gehörte beileibe nidit zu den Leuten, denen das liebe Geld lose in der Tasche klimpert. Nahm er schon von jedem dünnen Sediserl nur mit gutem Bedacht Abschied, so besah er sich vollends einen Silbergulden vorher gründlich auf beiden Seiten. Mit ständiger Sparsamkeit hatte er es in einem arbeitsreichen Leben vom armen Deinzendorfer Weinhauerssohn zum angesehenen Wiener Gastwirt gebracht, und solche Leute wissen den Wert des Geldes wohl zu schätzen. Ein Silbergulden! Was alles mußte in seinem Wirtshaus dem Gast aufgetischt wenden, ehe es so weit war, daß der angefeuchtete Bleistift des Zahlkellners als Summe einer langen Zahlenreihe einen Gulden unter den Strich schreiben durfte! Nie und nimmer hätte wohl mein Großvater für einen Kübel voll Baumerde, so lieb sie ihm auch war, einen Gulden zu opfern versprochen, wäre er nicht überzeugt gewesen, niemals beim Wort genommen werden zu können.

Erbat ich mir kurzerhand einen Schubkarren, hob den Kübel darauf, tat eine kurzstielige Schaufel und einen alten Kupfertopf hinein und machte midi auf den Weg. Mein Großvater sah mir kopfschüttelnd nadi, wie ich midi durch die Kellergasse hinauf in die Weinberge schlug.

Er wollte seinen Augen nicht trauen, als ich wiederkam, den Kübel, randvoll mit Baumerde gefüllt. Immer aufs neue griff er tief hinein und ließ sie prüfend durch die Finger rinnen. Kein Zweifel, das war richtige Baumerde, modrig duftende, kohlschwarze, saftige, köstliche Baumerde.

„Woher hast denn die?“ fragte er kleinladt. Ich aber lächelte schweigend und verriet das Geheimnis meiner Schatzkammer nicht, die keineswegs schon entleert war, denn auf

dem Grunde des alten Felberstammes ruhte noch dick und viel des kostbaren Gutes. Mein Großvater setzte mir mit Fragen nicht weiter zu, sondern schob sein blaues Fürtuch beiseite, langte in den Hosensack und holte bedächtig seine Geldbörse hervor. Entnahm ihr einen Silbergulden, besah ihn zum Abschied von beiden Seiten und reichte ihn mir hin: „Da hast!“

„Aber...! War' ja nicht nötig, Großvater“ zierte ich mich schwach.

„Da hast!“ beharrte er eindringlich, fast heftig.

Nun nahm ich den Gulden in Empfang und sagte meinen gebührenden Dank.

Es ist noch zu melden, daß der Oleander in seiner neuen Wurzelwohnung überaus prächtig gedieh und im nächsten Sommer einem gewaltigen Strauß violetter Blüten glich, ein herzerfreuender Anblick, der meinem Großvater dazu verholfen haben durfte, die Einbuße seines Silberguldens vollends zu verwinden. Ferner, daß es mir als ausgemachte Sache galt, sobald der Oleander abermals einen neuen, noch größeren Kübel benötigen würde, ihm auch den wieder mit der herrlichen Erde zu füllen. Aber als ich in diesem Sommer zum ersten Male in den Schrattenbach kam, traf ich dort keinen der alten Felberbäume mehr an. Sie waren samt und sonders umgehauen und ausgegraben worden, und wo sie gestanden hatten, wuchsen schon sehr hohe Gräser.

Und meine beiden Silbergulden?

Um die erstand ich eines Tages wirklich die ganze irdische Welt und die himmlischen Welten obendrein. Denn in dem schönen Atlas, nach dem sich mein Bubenherz schon lange in Sehnsucht verzehrt hatte, gab es auch die Wunder der Sonne und des Mondes und der Sternbilder zu bestaunen, die in so tröstlicher Ruhe auf unser vielbewegtes kleines Erdenleben niederschauen.

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