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ZWEI KLEINE SCHWARZE UND EIN KAPUZINER...

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Ein Amerikaner kam nach Oesterreich. Das tun viele. Unser Amerikaner aber war nicht nur Tourist. Er wollte auch über Oesterreich schreiben. Das tun ebenfalls nicht wenige. Der Besucher aus dem fernen Westen war aber nicht nur Bürger der Vereinigten Staaten und Journalist. Er war auch Katholik. Er schrieb über den österreichischen Katholizismus. Das erhöht unsere Aufmerksamkeit. Leider kommt die Juli- August-Nummer 1956 von „J u b i 1 e e“ (A Magazin of the Church and her People) erst mit der Verspätung eines halben Jahres in unsere Hände — und das nur durch einen Zufall. Aber die Redaktion wird schon gewußt haben, warum sie uns bisher ihr Bild des österreichischen Katholizismus verheimlicht hat.

Doch zunächst müssen wir unseren Berichterstatter in irgendein Cafe begleiten, wo er anscheinend seinen Artikel zwischen zwei Schalen Mokka-Kurz konzipiert hat. Schon bei seinem Beginn umfängt uns Kaffeehausdunst.

„Es gibt nichts in den USA oder sonstwo, das man mit dem Wiener Kaffeehaus oder mit dem österreichischen Gasthaus vergleichen könnte. Hier zeigt sich der wahre Charakter des österreichischen Volkes und zu einem erheblichen Ausmaß alles das, was von seiner katholischen Tradition übriggeblieben ist. (!)

Hm. Katholizismus und Kaffeehaus — eine bisher noch nicht entdeckte Wechselbeziehung. Sie macht neugierig. Herr Ober, noch einen kleinen Schwarzen!

„Wenn das Kaffee- und das Gasthaus etwas vom österreichischen Charakter enthüllen, so ist deren Atmosphäre und Ausstattung auch ein Kommentar zum religiösen Leben des Volkes. Eine der ersten Tatsachen, die dem Ausländer ins Auge fällt, ist, daß viele dieser Plätze katholische Namen haben: „Cafe zu den zwölf Aposteln“, „Auge-Gottes-Gasthaus“, „Maria-Hilf-der-Chri- stenheit-Restaurant“, „Restaurant zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ (ein passend bezeichnetes Restaurant in den Alpen nennt sich selbst „Rastplatz des himmlischen Königreiches“).

Seltsam, seltsam diese Perspektive. Aber es kommt noch besser:

„ ... Ich habe sowohl Kaffee- als auch Gasthäuser gesehen, die Kunstausstellungen veranstalteten oder Wettbewerbe für Bühnentalente .ąį -. ,1 hielten, um Kandidaten für ein beabsichtigtes Schauspiel, eine Opernaufführung oder ein Konzert auszuwählen. Nur wenige Kaffee- oder Gasthäuser sind so arm, daß sie keine eigene Kapelle haben, zumindest am Samstagabend. Das Gasthaus oder der Weinkeller bieten am ehesten Wiener Walzer im alten Stil."

Wird hier ein Zerrbild des Wiener Kaffeehauses geboten, so ergeht es dem österreichischen Katholizismus nicht besser. Im Gegenteil! Weiter unten müssen wir lesen:

„... Mit ähnlicher Begeisterung folgen am Fronleichnamstag Musikkapellen, Fahnen und Mengen von singenden, festlich frohgekleideten Oesterreichern dem Allerheiligsten Sakrament durch die Straßen. Aber bei näherem Hinschauen sieht man, daß die Festkleider schäbig, die Fahnen modrig, die Musik quiekend und die Kunstwerke in den Kirchen (eine schwere Mischung von Barock und Rokoko) mit Staub und Schmutz bedeckt sind Dies ist symbolisch für das religiöse Leben in Oesterreich — dünn und geistlos, in der Messe sieht man selten jemanden außer alte Frauen mit schwarzen Kopftüchern und vereinzelt alte Männer, ln neun Fällen von zehn sind die jungen Leute, die man in der Messe sieht, amerikanische Touristen (!)“

Hier hört sich eigentlich der Spaß auf und fängt üble Brunnenvergiftung an. Doch wir wollen nicht im Zorn von unserem Besucher scheiden.

Pikkolo, rasch eine andere Leitung!

Herr Ober, zahlen! Zwei kleine Schwarze und ein Kapuziner, doch, bitte, wiederholen Sie nicht so laut. Vielleicht sitzt am Nebentisch ein amerikanischer Journalist, der einen Aufsatz über den österreichischen Katholizismus schreibt. Kleine Schwarze .. . Kapuziner ... geben wir acht, was der im Handumdrehen daraus für eine Story macht.

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