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Zwei Meisterwerke westlicher Romankunst

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DIE ALLERTRAURIGSTE GESCHICHTE. Roman von Ford Madox Ford. Aut dem Englischen übertragen von Fritz Lorch und Helene Henze. Die Originalausgabe erschien bei John Lane, London, mit dem Titel „The Cood soldier“; der ursprüngliche Titel lautete: „The laddeit story“. Walter-Verlag, Ölten und Freiburg im Breisgau, 1962. 310 Seiten. Preis 17.80 DM. — DIE GESCHICHTE MEINER FRAU. Roman von Milan F ü s t. Aus dem Ungarischen übertragen von Mirza v. Schüching. Die Originalausgabe erschien bei Magvetö Könyvkiadö, Budapest, mit dem Titel „A elesegem törtenete“. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1962. 448 Seiten. Preis 19.80 DM.

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DIE ALLERTRAURIGSTE GESCHICHTE. Roman von Ford Madox Ford. Aut dem Englischen übertragen von Fritz Lorch und Helene Henze. Die Originalausgabe erschien bei John Lane, London, mit dem Titel „The Cood soldier“; der ursprüngliche Titel lautete: „The laddeit story“. Walter-Verlag, Ölten und Freiburg im Breisgau, 1962. 310 Seiten. Preis 17.80 DM. — DIE GESCHICHTE MEINER FRAU. Roman von Milan F ü s t. Aus dem Ungarischen übertragen von Mirza v. Schüching. Die Originalausgabe erschien bei Magvetö Könyvkiadö, Budapest, mit dem Titel „A elesegem törtenete“. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1962. 448 Seiten. Preis 19.80 DM.

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Beide Bücher gehören zu den großen Überraschungen des Jahres. Nur mit der angelsächsischen Literatur besonders vertraute Leser haben von dem englischen Autor Ford Madox Ford je gehört, der 1939 im Alter von 66 Jahren im Badeort Deauville gestorben ist; und der heute 74jährige, in Budapest lebende Dichter und Shakespeare-Forscher Milan Füst war auch in seiner Heimat bis vor kurzem als Romanautor nahezu unbekannt. Beide Romane verdanken ihr Erscheinen auf dem deutschen Büchermarkt dem wachsenden Interesse der deutschsprachigen Leser an den angelsächsischen und, besonders in letzter Zeit, den ostmitteleuropäischen Literaturen. Hier sind verlegerische Fehlgriffe nicht selten. Zu diesen beiden Büchern kann man ihre Verleger beglückwünschen; es handelt sich zweifellos um zwei seltene Exemplare, die man wohl mit Fug und Recht als Meisterwerke bezeichnen kann. •

Die Ähnlichkeit der beiden im Thematischen wie in der Schreibweise ist verblüffend. Ihr Standort innerhalb der europäischen Romanliteratur ist genau feststellbar. Beide, gehören in jene Sparte, deren vollendetste Vertreter die Klassiker des englischen Roman* des 18. und 19. Jahrhunderts waren-, und diese Reihe wurde einst im Zeichen des Reise- und Abenteuerromans eröffnet. Sowohl Ford Madox Ford als auch Milan Füst schrieb einen Reiseroman; nur geht die Reise bei beiden alsbald nach „innen“, mitten in eine arg zerklüftete Seelenlandschaft, wo Liebe und alle Qualen der Eifersucht das Geset2 der Handlung bestimmen. Mit äußerster Strenge verfolgen beide Autoren ihr Konzept von einem Roman der Leidenschaft, der sich sonst nur allzu leicht in den Niederungen der Sentimentalität oder der Spielerei mit der Form ausbreiten könnte. Und beide machen von dem klassischen Mittel der Ironie, des ironischen Kontrastes, reichlich Gebrauch, das sie, wie übrigens auch alle übrigen Kunstgriffe der Romantechnik, virtuos beherrschen. Von den beiden ist der an Stendhal, Flaubel und Maut>a;sant beschulte Engländer der bewußtere, kühl distanzierte Formkünstler, der Ungar kann weder seine Herkunft noch seine gute englische Schule verleugnen: bei aller Leichtigkeit der ..unterspielten“ Diktion, die ein sicheres Merkmal des überlegenen Meisters ist, sind seine Menschen naiver' und leidenschaftlicher, eruptiver und treuherziger als die Romangestalten des Engländers. Aber darin liegt vielleicht der einziee Unterschied. Es ist kaum zu fassen, daß diese beiden Romane in einer Entfernung voneinander entstanden sind, die nicht nur mit Jahrzehnten, sondern auch mit Tausenden von Kilometern zu messen ist.

„Dies ist die traurigste Geschichte, die ich je gehört habe“, beginnt Mr. Dowell, ein reicher und bis zur Verrücktheit leidenschaftsloser Amerikaner, seine Erzählung über die mißglückte Ehe und mißglückten Liebschaften des englischen Offiziers und Landedelmannes Edward Ashburnham. Aber der Leser erlebt noch manche Überraschungen. .Ja. auf mein Wort, unser vertrauter Umjang glich einem Menuett. . . Nein, bei Gott, es ist falsch! Es war kein Menuett, das wir tanzten; es war ein Gefängnis — ein Gefängnis voll schreiender Hysterien . . . Und doch schwöre ich beim heiligen Namen meines Schöpfers, es war die Wahrheit. Es war wahrer Sonnenschein, wahre Musik und war auch das Plätschern der Fontänen aus dem Mund der steinernen Delphine.“ Realität und Schein, Tatsachen und Konventionen fließen in dieser „aller-traurigsten Geschichte“ ineinander über. Alles hat seine mehrfachen Schatten- und Spiegelbilder, die Erscheinungen führen ein doppeltes, dreifaches Leben, Ehre und Moral, Treue und Glaube erscheinen als doppelbödig. Man vermutet, an allem, an den schiefen Horizonten und dem tragikomischen Effekt, sei der Erzähler, jene Verkörperung der Ironie, schuld. Aber dieser fiktive Erzähler ist der einzige, der zum Leser spricht und auch über sich selbst aussagt. Gerade ihm jedoch kann man nicht ganz glauben ...

Der holländische Schiffskapitän namens StöT. der die Geschichte seiner Frau erzählt, ist weit mehr als nur ein Erzähler. Und ihm kann man auch glauben, denn er ist der naiv bramarbasierende, unsäglich leidende Held des Romans; die Geschichte seiner Frau ist seine Geschichte. ..Frauenangelegenheiten, was ist das schon“, denkt er sich anfangs. Von seiner Seele denkt er nur; „Eine schmerzliche Zugabe, weiter nicht “ Dann heiratet er seine Frau. Und es ist alles anders geworden.

Er leidet von Anfang an unter der Wahnvorstellung, daß ihn seine Frau betrügt. Am Ende will er sich bei anderen Frauen „trösten“, aber auch da benimmt er ich stümperhaft. Und er kann sich von seiner Frau nicht loslösen — auch nachdem sie, der vergeblichen Kämpfe überdrüssig, ihn langst wirklich verlassen hat

Beidemal war es vermutlich die höchste Ambition der Autoren, den Leser über den Ausgang des Geschehens im Ungewissen zu lassen. In beiden Fällen hält der Schwebezustand bis zuletzt an. obwohl sich die „Enthüllungen“ und „Wendungen“ nur so häufen. Dies und die Mehrschichtigkeit der beiden Erzählungen sind jedoch mehr als nur Kunstgriffe. Die Ironie, die beide Romane vordergründig beherrscht, bildet vielmehr den notwendigen starken Kontrast zu dem unausgesprochenen ethischen Kern hier wie dort.

Etwas noch über die Autoren selbst: Ford Madox Ford war Sohn eines Musikkritikers der „Times“, der aus Deutschland stammte, er hieß eigentlich Ford Herman Hueffer. Mit Joseph Conrad wollte er die Kriterien des „perfekten Romans“ ergründen: als Herausgeber einer literarischen Zeitschrift hatte er an der schriftstellerischen Karriere vieler seiner Zeitgenossen starken Anteil. Er selbst geriet dann fast in Vergessenheit. Es waren englische und amerikanische Schriftsteller, die vor kurzem die Neuausgabe seiner Werke anregten. Bei Milan Füst lag es hauptsächlich an den politischen Verhältnissen, daß eine so starke Begabung nicht zu der ihr gebührenden Geltung kam, obwohl oder weil eben dieser stille Mann „nur“ ei Dichter und kein Engagierter war und ist. Beide Romane wurden mit vollkommener Meisterschaft übersetzt.

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