6672458-1961_05_12.jpg
Digital In Arbeit

Zwei österreichische Essayisten

19451960198020002020

EUROPÄISCHES ERBE. Von Stefan Zweig. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1960. 279 Seiten. Preis 14.80 DM. - SCHRIFTEN IN AUSWAHL. Von Franz Blei. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von A. P. Gütersloh. Biederstein-Verlag, München 1960. 692 Seiten. Dünndruckausgabe. Preis 29 DM.

19451960198020002020

EUROPÄISCHES ERBE. Von Stefan Zweig. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1960. 279 Seiten. Preis 14.80 DM. - SCHRIFTEN IN AUSWAHL. Von Franz Blei. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von A. P. Gütersloh. Biederstein-Verlag, München 1960. 692 Seiten. Dünndruckausgabe. Preis 29 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Unter dem Titel „Europäisches Erbe“ erscheint ein Band, der essayistische Arbeiten Stefan Zweigs von sehr verschiedenem Umfang, aber auch von sehr verschiedenem literarischem Gewicht enthält. Richard Friedenthal ist der Herausgeber. Es handelt sich um Aufsätze aus Zeitungen und Zeitschriften sowie um Vorträge und Einführungen zu Werkausgaben, die insgesamt den weiten geistigen Horizont ihres Autors spiegeln. Der älteste Beitrag stammt von 1911, der umfangreichste ist der Essay über Montaigne, die letzte Arbeit Zweigs, entstanden 1941/42 in seinem Exil Petropolis in Brasilien. Er ist hier erstmalig in der endgültigen Form veröffentlicht.

Daß Zweig sich von Montaigne ange-

Humanität und der Toleranz ausgeprägt, zu der er sich selbst immer bekannte. Das „Erasmische“, der Geist der Versöhnlichkeit und des maßvollen Ausgleichs, den Zweig einst als die hervorragende Eigenschaft des Erasmus von Rotterdam so lebendig charakterisierte, beseelte ja auch den französischen Denker. Der Essay fügt dem von einer reichen Literatur geformten Bild Montaignes wohl keine neuen Züge hinzu, aber er ist eine eindrucksvolle Darstellung dieser interessanten Per-

seine Bedeutung gerade in Zeiten voll Fanatismus und Intoleranz richtig erkannt. Montaigne hat sich zeit seines Lebens um die Beantwortung der Frage „Wie bleibe ich innerlich frei?“ bemüht, und darin sieht Zweig sein größtes Verdienst. Er ist ihm der „Erzvater, Schutzpatron und Freund jedes ,homme libre“ auf Erden“, der Lehrer in der Wissenschaft, „sich selbst zu bewahren, gegen alle und alles“. Von diesem Gesichtspunkt aus wird Montaigne gedeutet, andere Probleme seiner Gedankenwelt erscheinen als diesem Hauptanliegen untergeordnet und werden nur gestreift.

Die anderen Essays beschäftigen sich zumeist mit Dichtern und Künstlern, deren Werke zum „Europäischen Erbe“ gehören.

sen, Mahler, Schnitzler, Rilke und Roth. Nicht alles hat natürlich gleiche Qualität, aber jeder Beitrag zeugt von Zweigs nobler Gesinnung und seiner echten Begeisterungsfähigkeit. „Bewundern, das war, sein Glück“, schrieb er von Rilke. Das gilt vor allem für ihn selbst.

Franz Blei war einst in literarischen Kreisen ein Begriff, heute ist er ziemlich vergessen. Der 1871 in Wien Geborene studierte in Zürich und Genf, lebte in Wien, München und Berlin, ging 1933 freiwillig ins Exil, hielt sich in verschiedenen Ländern auf und starb 1942 in Westbury bei New York.

Das Wirken des geistvollen und originellen Mannes war unglaublich vielseitig. Er schrieb vor allem Essays und kritische Abhandlungen, aber auch Theaterstücke, Erzählungen, Satiren, Monographien, kulturgeschichtliche und politische Arbeiten, er redigierte Zeitschriften, war Übersetzer, Einleiter und Herausgeber, ein universal gebildeter, in vielerlei Facetten funkelnder Geist, sehr wandlungsfähig und kaum irgendwie einzuordnen, der „Erzkritiker", wie man ihn nannte. Da er sich oft mit erotischen Themen befaßte, hat man ihn als „pikanten“ Schriftsteller abgestempelt. Der Kultur des Rokoko gehörte seine besondere Vorliebe. Das Ungewöhnliche, Erlesene zog ihn stark an. In seinem „Großen Bestiarium“ hat er sich selbst humorvoll als „Trüffelfisch“ bezeichnet, „wegen seiner Fähigkeit, Leckerbissen aufzuspüren“.

Der Auswahlband enthält Teile aus seiner Selbstbiographie, dann die „Historischen Bildnisse“ (heilige Teresa, Galiani, Rėtif de la Bretonne, Heinse und Baudelaire), „Zeitgenössische Bildnisse", erzählende Prosa, ein Romanfragment, kritische und satirische Schriften. Unter den „Zeitgenössischen Bildnissen" finden wir u. a. solche von Unamuno, Pirandello, George, Gide, Rilke, Kafka, Kraus, Roth, Musil. Viele Prominente des geistigen Lebens von einst hat Blei persönlich gekannt. Erstaunlich, wie er sich in die verschiedensten Persönlichkeiten, Epochen und Kulturformen einzufühlen vermag; er hat Esprit, liebt die paradoxe und preziöse Formulierung, provoziert oft den Widerspruch des lasers, ist aber immer anregend. Er hat es wohl verdient, daß diese Auswahl seiner Schriften, die heute nur schwer erreichbare Texte bietet, wieder auf ihn aufmerksam macht. Das Nachwort von Gütersloh ist zu maniriert ausgefallen. Der Anhang mit biographischen Daten, Bibliographie und Namensverzeichnis ergänzt zweckmäßig die Sammlung. Literarischen Feinschmeckern wird der vornehm ausgestattete Band willkommen sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung