6716441-1964_44_15.jpg
Digital In Arbeit

Zwei Stunden mit Ravel

Werbung
Werbung
Werbung

Der erste Premierenabend der Volksoper vereinigte die beiden (einzigen) Opern Maurice Ravels zu einem interessanten und unterhaltsamen Programm. „L’Enfant et les sortileges“ (Das Kind und der Zauberspuk, oder einfach mit Das Zauberwort übersetzt), eine „Kinderoper für Erwachsene“, schrieb Ravel 1920 bis 1925 in seinem Landhaus in der Ile-de-France nach einer dramatischen Phantasie der Colette, die vor zehn Jahren gestorben ist. Das Werk gilt als szenisch schwer realisierbar und wird daher meist nur konzertant aufgeführt. Auch die Inszenierung und Choreographie von Janine Charrat mit Bühnenbildern und Kostümen von Bernard Dayde konnte nicht überzeugen. Die Welt des Kindes war viel zu artifiziell, viel zu mechanisch-raffiniert aufgebaut, und sie entbehrte — man sollte es nicht für möglich halten — jeder Schönheit, jedes Charmes. Statt der Möbel und Tiere, die, von dem unartigen Kind schlecht behandelt, in seinem Traum rebellisch werden, sah man Apparate und Masken. Die Musik freilich blieb köstlich: mit ihren Lyrismen, ihrem Witz, ihrem rhythmischen und melodischen Reichtum und ihrem gestischen Impetus. Sie ist in der Tat, wie ein Ravel-Biograph schrieb, zierlich, zart, heftig, grotesk, heiter und dann wieder ernst, farbig und trocken, spontan und überlegt. Peter Maag hat sie mit sicherer und sensibler Hand bestens betreut. Mehr als zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer müßten genannt werden, die in mitunter heiklen Partien eingesetzt waren. Als das schlimme Kind und als Hauptperson erspielte und ersang sich die junge lsabel Garcisänz einen wohlverdienten Erfolg.

Die Komödie mit Musik „L’Heure espagnole“ (Die spanische Stunde) ist textlich aus anderem, ein wenig gröberem Holz. Darin erzählt Franc Nohain in Boccaccio-Manier die Geschichte von der unternehmungslustigen Uhrmachersfrau, die ihre Verehrer in zwei großen Standuhren versteckt und diese, samt dem Inhalt, von dem stämmigen Maultiertreiber Ramiro in ihre Schlafkammer die Stiegen hinauf- und hinunterschleppen läßt. Ravel hat diesen „Dialog mit Musik“ bereits 1907 geschrieben, aber erst 1911 war die Uraufführung an der Pariser Opéra comique. Ravel zog hie alle Re-

gister seines Könnens, über die er — erstaunlicherweise — bereits als 32jähri- ger verfügte. Der nur an wenigen Stellen unterbrochene Rezitativstil, das quasi Parlando, ist überaus abwechslungsreich und geistvoll behandelt. Die beiden „Unterbrechungen“ aber, die Belcanto-Arien des Dichters Gonzalvo und die Schluß- Habanera, sind ebenso feine wie wirkungssichere Glanzstücke der Buffa. In der Realisierung dieses dankbaren Bühnenstückes erzielten Otto Schenk als Spielleiter und Günther Schneider-Siems- sen ein Optimum. Mit Recht erhielt das bezaubernde Bühnenbild mit seinen ungezählten tickenden, schlagenden, klingelnden und flötenden Chronometern gleich nach Aufgehen des Vorhangs Begrüßungsapplaus (was in Wien leider sehr selten geschieht, obwohl manche Ausstattung es verdient hätte). Maurice Besançon als alter Uhrmachermeister, Michel Senechal als Schöngeist, Marcel Cordes als beleibter Bankier und Oskar Czerwenka als liebenswürdiger Kraftprotz boten darstellerische und schauspielerische Glanzleistungen. Mimi Coertse in der auf den ersten Blick besonders dankbaren, im Grunde aber schwierigen Rolle der lebenslustigen Concepción wollte das Drastische dieser Gestalt durch Selbstpersiflage mildern, tat aber des Guten ein wenig zuviel, so daß die Rechnung irgendwie nicht ganz aufging. Otto Schenk ließ sich keine Pointe entgehen und führte die von Ronny Reiter hübsch gekleideten fünf Akteure mit ebenso leichter wie sicherer Hand. Walter Hoesslin sorgte für ein tadelloses Funktionieren des technischen Apparats und Peter Maag für eine präzise und elastische Wiedergabe der Ravelschen Meisterpartitur. 79b

„L’Enfant et les sortilèges“ wurde (von einem runden1’Dtftz’éàd Sänger, die sich meist in den Kulissen befanden) in französischer Sprache aufgel’ührt, während das Ballett (sechs Gruppen und mehrere Einzeltänzer) auf der Bühne agierten. „Die spanische Stunde“ war von Dr. Marcel Prawy geschickt ins Deutsche übertragen worden. Warum das eine so, das andere so, ist kaum erfindlich. Um es allen recht zu machen ? Das Premierenpublikum hielt sich jedenfalls mehr an das zweite Stück.

Den beiden Kurzopern und ihrem Schöpfer wird unsere nächste Musiksonderseite gewidmet sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung