Zweifel, mitten im "Krieg"

Werbung
Werbung
Werbung

Die Feiern zum 60. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie waren eine Selbstvergewisserung der "Guten" der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Der weltweite Terror sei "zu einer Art neuem Weltkrieg geworden". Es sei ein Krieg ohne festgelegte Fronten, der überall zuschlagen könne und nicht mehr zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheide. Wegen des möglichen Zugangs zu atomaren und biologischen Waffen sei die von diesem Krieg ausgehende Gefahr für die Menschheit "erschreckend groß". Nein, nicht George W. Bush hat dies gesagt, obwohl im Vorfeld des 60. Jahrestages der alliierten Landung in der Normandie auch der US-Präsident Ähnliches hören ließ, und auch, dass der Krieg gegen den Terror mit dem Kampf zwischen Freiheit und Tyrannei im Zweiten Weltkrieg zu vergleichen sei.

Obige Aussage stammt hingegen von Kardinal Joseph Ratzinger: Der katholische Glaubenshüter äußerte dies in Caen bei einer Veranstaltung zum D-Day-Gedenken. Ratzinger meinte bei dieser Gelegenheit auch: "Wenn irgendwo in der Geschichte, so ist hier offenkundig, dass es sich bei dem Einsatz der Alliierten um einen gerechten Krieg handelte." Dieser Krieg habe letztlich auch dem Wohl jener gedient, gegen deren Land er geführt wurde: Dieser Vorgang zeige zugleich die "Unhaltbarkeit eines absoluten Pazifismus".

Ratzingers Worte fügen sich nahtlos in die Inszenierung von der Befreiung ein: ein Bild, das nach 60 Jahren gezeichnet wurde, und das alles andere als frei ist von Zurechtbiegungen für eigene (politische) Zwecke. Das gedenkende Europa hat ein Wochenende hinter sich, in denen das Wort "Krieg" so präsent war wie selten - auch medial: von berührenden Dokumentationen bis zur fiktionalen Überhöhung à la Spielbergs "Soldat Ryan".

Eine riesige Selbstvergewisserung der "Guten" der Weltgeschichte war im Gang, und die historische Koinzidenz des Todes des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan tat ein Übriges: Dieser Präsident, so der Mainstream der Kommentare, hat durch seine Politik der Stärke, durch die Aufrüstung, durch seine Strategie des Kalten Krieges auch den Kommunismus, den zweiten Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, in die Knie gezwungen.

Solcher Selbstvergewisserung ist entgegenzutreten, auch wenn der Erinnerung an schreckliche Zeiten, aus denen Befreiung und Freiheit hervorgegangen sind, keineswegs am Zeug geflickt werden soll. Aber dass bei all diesen Reden vom Krieg kaum ein Anflug von Zweifel zu verspüren war, stimmt doch nachdenklich: Denn die "Guten" der Geschichte sind nicht immer die Guten, ein "gerechter" Krieg ist beileibe nicht immer gerecht - all das ist generationenlange Menschheitserfahrung. Es waren die "Guten" - um ein einziges Beispiel anzuführen -, die die erste Atombombe abwarfen. Und wer heute darüber klagt, welche horriblen Möglichkeiten dem internationalen Terrorismus zur Verfügung stehen, sollte auch darüber nachdenken, wer diese Möglichkeiten erfunden oder zumindest mitentwickelt hat.

Von solchem Zweifel war rund ums D-Day-Gedenken kaum die Rede. Doch bei der Frage, wofür auch die Toten der Schlacht um die Normandie letztlich ihr Leben gelassen haben, kann dieser schmerzliche Zweifel nicht ausgespart werden, auch wenn dies - nicht zuletzt angesichts eines unkritisch-"patriotischen" Zusammenscharens jenseits des Atlantiks - schwierig bleibt.

Selbstvergewisserung in Zeiten der Unsicherheit mag psychologisch legitim sein. Aber wäre nicht auch mehr als eine Portion Selbstbeschränkung - beispielsweise des ständigen Redens von "Krieg" - zu fordern?

Der deutsche Bundeskanzler - bekanntlich erstmals beim D-Day-Gedenken dabei - hat in Caen eine nüchterne, aber präzise und beeindruckende Rede gehalten. Sätze darin, wie "Wir Deutschen wissen, wer den Krieg verbrochen hat", waren dabei zu sagen (das gilt, so ist einmal mehr anzumerken, nicht minder für Österreicher!). Aber Schröder meinte auch: "Zum Sturz der Hitler-Diktatur brauchte es Patrioten und Soldaten. Weil wir Deutsche das wissen, sind wir keine Pazifisten."

Unbestritten, dass Patrioten notwendig waren und sind (wie schämt man sich da für die hiesige, so erbärmliche Patriotismusdebatte!). Und mag sein, dass die Welt nicht ohne Soldaten auskommt.

Aber - und das möchte man dem Politiker Schröder wie dem Kirchenmann Ratzinger energisch entgegenhalten: die Welt kann und muss auch vom Zweifel und der scheinbar ohnmächtigen Kraft des Pazifismus lernen und profitieren.

otto.friedrich@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung