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Zweimal Kriegseintritt Italiens

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30. Mai 1940. Um 17.30 Uhr trifft in der Italienischen Botschaft in Berlin die Chiffredepesche ein, daß Mussolini den Kriegseintritt Italiens gegen die Alliierten mit 5. Juni beschlossen habe, außer Hitler wünsche einen Aufschub um einige Tage -zwecks- besserer Zeitübereinstimmung mit den deutschen Plänen. Sechzig italienische Divisionen seien aufmarschiert, davon zwölf in Übersee, Marine und Flugwaffe' bereits auf Kriegsstand.

In welcher Stimmung damals italienische Diplomaten und auch deutsche diesen verhängnisvollen Akt empfingen, schildert zum ersten Male ein Mitglied der damaligen Italienischen Botschaft in Berlin unter dem Namen Lebnardi Simoni in dem eben erscheinenden Buche „Italienische Botschaft 1939 bis 1943“ (Migliaresi, Rom), aus welchem „Politica Estera“ das Kapitel über den Kriegseintritt Italiens vom Mai 1940 zitiert. Er erzählt unter anderem:

Die Übergabe der Botschaft Mussolinis fand in Godesberg statt, im selben Hotel, in dem im Herbst 1938 während der Sudetenkrise Chamberlain gewohnt hatte. Von einer Schar Höflingen umringt, „wie

ein großer Souverän“, kommt Hitler an, „in einem lächerlichen, grünlichen Lodenanzug, finster und fröstelnd“. Während Botschafter A 1 f i e r i empfangen wird, unterhält sich der Diplomat „Simoni“ mit General Bodenschatz,

der die glänzenden Siege der letzten Tage (im Feldzug gegen Belgien und Frankreich) preist... Die ganze Umgebung ist strahlend, aufgeregt, ganz verschieden von der Maulhängerei in Berlin. Man möchte sagen, der ganze Enthusiasmus Deutschlands ist bei diesen 30 oder 40 Personen konzentriert, die in engster Intimität mit dem Führer leben und nichts sehen als ihre eigenen Hoffnungen und Pläne.

Hitler hat sich vorbehalten, im Laufe des nächsten Tages auf die Message des Duce zu antworten.

Dies wäre der 31. Mai gewesen, aber Ribbentrop telephonierte, „aus technischen Gründen“ könne die Antwort erst am nächsten Vormittag in Rom einlangen. Inmitten der sich überstürzenden Nachrichten von den großen deutschen Erfolgen kommt

der italienische Diplomat nicht von dem Gedanken los, daß die Intervention Italiens

vielleicht die größte Tragödie ist, vor die sich je ein Volk ahnungslos gestellt sah. Es ist kein Zweifel, daß die- Grundidee unserer „Großmachts“-Außenpolitik die Vorherrschaft im Mittelmeer war, eine Idee, die durch eine seltsame Verkettung von Umständen in diesen letzten Jahren zum guten Teile verwirklicht werden konnte. Es wäre nun notwendig gewesen, mindestens ein Jahrhundert einzuhalten, bevor man weiterging. Aber eine fundamental irrige, von empfindlichen und aufgeregten Dilettanten geleitete Außenpolitik, der in widerstehen wir nicht die moralische Kraft aufbrachten, hat uns unvermutet im Augenblicke eines furchtbaren Konfliktes England entgegengestellt, der Macht, für die wir eine vielleicht größere Gefahr bedeuten, als wir selbst vermuten, und mit der wir statt dessen uns hätten verständigen müssen.

Es handelt sich um ein Duell Inf Lehen and Tod. Entweder wir siegen und werden wirklich die erste Mittelmeermacht, ein großes Imperium, das zu kontrollieren und auszunützen wir übrigens nicht genug Mittel und Vorbereitung haben. Oder wir verlieren: und in diesem verdammten Falle werden uns d i e Engländer nie mehr verzeihen, m welche Gefahr wir sie gebracht, werden uns von einer Großmacht zu einem zweitrangigen, mehr oder minder untertänigen Staate degradiere ... and wir werden auch für immer die Möglichkeit eines 'Wiederaufstieges einbüßen.

Andererseits mache ich mir keine Illusionen Uber die Absichten Deutschlands ans gegenüber.

Falls das Reich den Sieg erränge, wSrde sein Stolz keine Grenzen mehr kennen und ans das Zögern der letzten Monate teuer bezahlen lassen. Ein Nuntius schrieb 1630 von Madrid nach Rom: „Die einzige Gnade, die der Heilige Vater von König Philipp zu erwarten hat, ist die, die Polyphem Odysseus gewährt:, das Versprechen, ihn als letzte Infi*-fresse...“ Diese Bemerkung trifft leider sehr wohl auf unsere Lage zu. Vir spielen das höchste Spiel in unserer ganzen Geschichte. Vir könnten et nicht unter ungünstigeren Bedingungen tun, wie immer die Wahl ausfällt,

Hitler ließ Mussolini ersuchen, die Intervention um einige Tage zu v e r-•hieben, angeblich um früher die französische Luftwaffe außer Kampf zu setzen. Der Duoe bestand auf einer sofortigen Intervention, die Deutschen aber blieben fest und warnten neuerlich, den Balkan nicht anzurühren. Mussolini kündigte mm den Kriegseintritt für 10. Juni an. Es folgt die neue Tagebucheintragung:

Montag, de 3. Juni:

Am Morgen neuerlicher Abflug. Wir wissen nicht, wohin sie uns gebracht haben. Ich glaube, nach Belgien. Unweit des Flugfeldes ein totes Geleise, der Zug Ribbentrops. Der Minister ist unglaublich aufgeregt. Versichert, daß bis September der Friede geschlossen sein werde. Der Pöhrer habe von den Luftbombardements einen so starken Eindruck erhalten, daß er beschloß, Paris als freie Stadt zu behandeln, um es vor der Vernichtung zu retten ...

Abends bittet uns die Reichskanzlei, nach Rom zu melden: „Der Führer erklärt sich mit allem einverstanden.“

So lange hatte er es sich überlegt, Musso-Enis Krieg zu erlauben!

Am 4. Juni fällt Dünkirchen..Zu den Festfeiern in Berlin sagt der Italiener:

Wir sind bestürzt, erregt und wütend zugleich, weil wir die Unmöglichkeit fühlen, die Lawine aufzuhalten, die sich anschickt, auf uns einzustürzen. Und wir wissen, daß trotz allen Anscheines die Lawine zur Unzeit losgelassen wurde.

Am 5. Juni wieder offizielle Siegesfeiern k Berlin:

Niemand wird mehr die kühle, fast finstere Haltung der Menge vergessen, die trotz allem noch nicht (an den Sieg) glaubt. Warum sollen also w i r daran glauben?...

Sonntag, 9. Juni:

Teucci telegraphiert aus dem Hauptquartier Görings, daß die Deutschen sich absolut weigern, uns die berühmten 88er-Flak-batterien abzutreten, da nach Vernichtung der feindlichen Luftwaffe dafür kein Bedarf besteh,

... Geleitbriefe für die abzuberufenden Vertretungen. Die Deutschen wollen uns nicht verbürgen, daß alle ihre U-Boote die Weisungen erhalten haben werden.

Der ganze übrige Tag ist eine konfuse Erinnerung, die ich für immer auslöschen möchte.

Abends eine Kundgebung der „vom Fascio kommandierten“ Italiener Berlins zum Gemeinschaftsempfange der Duce-Rede, der teils technisch mißlingt, teils lächerliche Äußerlichkeit wird. Um 18.30 Uhr sprechen Ribbentrop und der Botschafter vom Balkon der Botschaft aus.

,.. Die kalten und abgedroschenen Worte der Reden scheinen ins Leere xu fallen. Unter den Linden Ruhe and Schweigen. Es erschien eine Extraausgabe mit der Ankündigung unseres Kriegseintrittes, aber niemand kümmerte

steh daran und der Zeitungshindler erscheint über unser Interesse so erstaunt, daß wir uns des Lachens nicht verhalten können.

Nur drei Jahre später, am 30. September 1943, kehrte der Kreuzer „Scipione“ nach Tarent zurück, an Bord Marschall B a d o % 1 i o, Admiral de Courten und die italienischen Admirale Da Z a r a und Barone, welche die italienische Kriegsflotte nach Malta geführt hatten, um sie den Alliierten zu übergeben. Statt des er-

hofften Abkommens über eine Mitwirkung Italiens am Kriege der Alliierten, war „ein „harter Waffenstillstand“ auferlegt worden. Agostino degli E s p i n o s a berichtet in seinem Buche „R e g n o d e 1 End“ (Miglia-resi, Rom) über die noch unbekannten inneren Kämpfe des Königs und Badoglios, bevor sich Italien zum zweiten Kriegs eintritt e, zur formellen Kriegserklärung an Deutschland, seinem bisherigen Verbündeten, entschließen konnte. Die Revue „Politica Estera“ gibt in einer ihrer letzten Ausgaben daraus das Kapitel wieder, das den erschütternden Zwiespalt in der italienischen Politik nach dem Sturze Mussolinis schildert.

In Malta hatte das anglo-amerikanische Kommando, General Eisenh'ower, von Badoglio die sofortige Kriegserklärung an Deutschland verlangt. Die Verlautbarung der Alliierten sprach von einer „Unterredung aber wirkungsvollere Verwendung der italienischen Streitkräfte gegen den gemeinsamen deutschen Feind“. Das beinhaltete einen italienischen Erfolg inso-ferne, als damit zum ersten Male wieder dem italienischen Staate eine internationale Existenz zuerkannt wurde. Andererseits forderten die Griechen, Jugoslawen und andere kleinere Verbündeten der Alliierten sofort eine Sicherung dagegen, daß bei Anerkennung Italiens ihre Ansprüche leiden könnten. Daraus entstand eine Debatte über den Begriff „Mitkriegführende“, ein Status, den England und die USA Italien zuerkennen wollten, wenn dieses alle Forderungen der Alliierten nach einer sub-stanziellen Mitwirkung erfülle.

Noch widersetzte sich die Brindisi-Regierung einer Kriegserklärung an Deutschland und wollte vorher über Waffenlieferungen, Truppentransporte aus Sardinien und G e-bietsabtretungen verhandeln. Der Autor urteilt hierüber:

Das war eine vollständig vernünftige Linie, weil diese Erklärung die einzige Waffe war, über die Italien noch verfügte... Die von Badoglio bei der Besprechung an Bord der „Nelson“ erhobenen Schwierigkeiten waren nicht nur eine polemische Geste, In Brindisi galt damals ab Urheber des Widersundes gegen eine sofortige Kriegserklärung der Duca A c q u a-r o n e ... Immerhin ist kein Zweifel daran, daß die H a a p t v e r a a t w o r t a n g de K dt n i g trifft, der bei der Wahl zwischen den Ratschlägen Acquarones and dem Standpunkte Badoglios sich für ersteren entschied. Aber Badoglio selbst konnte bei aller Neigung für eine sofortige Kriegserklärung an Deutschland die Gegengründe nicht ganz ablehnen... Der König widersetzte sich nicht dem Kriege gegen Deutschland, sondern wollte die Erklärung n a r im Aastausche gegen Konzessionen der Alliierten... Diese Haltung war weit politischer als die Vorschläge, die italienische Regierung hätte die Alliierten auf den Knien bitten sollen, ihre Zustimmung am Kriegseintritt gegen Deutschland za gebe.

Die italienische Regierung... sachte die einzige Karte, die sie noch besaß, nicht za verwerfen, sie ahm damit auch eine ernste and würdige Haltung ein, die ihr nach Ablauf der ersten Reaktion der Enttäuschung auch bei des Alliierten nützte.

Aber leider verfehlte das Manöver seine materiellen Ziele, gesteht der Autor. Die Kriegserklärung, sagte General Mac F a r 1 a n e, war die Voraussetzung jeder Konzession, nicht die Folge irgendeiner solchen. Der Waffenstillstand, achrieb'

cfie „Times*, war 3er erste Schritt, der zweite mußte eine entschiedene Stellungnahme gegen Deutschland sein. Englische Soldaten — so wurde berichtet — äußerten ihre Empörung darüber, die bisherigen italienischen Feinde ohne weiteres als Kameraden aufzunehmen. Frankreich hatte den Dolchstoß in den Rücken ebensowenig vergessen wie Rußland die Entsendung italienischer Korps an die Ostfront. Jedoch „höhere Rücksichten auf die militärische Niederwerfung des Feindes mit möglichst geringen Kosten“

empfahlen dem Alliierten Kommando, die Kreigsteilnahme Italiens zu verlangen.

So wurde enttäuschten Hoffnungen eine bittere Lektion erteilt. Die Anglo-Ameri-kaner, vermerkt der Autor, zeigten keine Genugtuung über Kundgebungen antifaschistischen Jubels oder über freudige Empfänge und Versuche von Kameradschaft der Italiener — sie waren von ihnen durch drei Jahre Krieg getrennt. Sie akzeptierten nur die direkte Aktion.

Die Alliierten befanden sich in einer starken Position: wenn Brindisi nicht den Krieg an Deutschland erklärte, macht; es

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wollte. Ganz anders wäre die Lage gewesen, wenn der Rat R o a 11 a s befolgt und wenigstens zwei motorisierte Divisionen in die Abruzzen geworfen worden wären.

Am 10, Oktober kam Minister Piccardi aus Neapel an und verlangte von Badoglio, vom König die Kriegserklärung zu fordern, allenfalls sogar die Demission anzubieten. Nach vierstündiger Beratung gab der König nach. Am 11. Oktober wurde der .Madrider Botschafter Paolucci de C a 1 b o 1 i beauftragt, dem Deutschen Botschafter dort mitzuteilen, daß sich Italien „angesichts der wiederholten und zunehmenden Kriegsaktionen deutscher Truppen gegen Italiener“ vom 13. Oktober, 15 Uhr (Greenwich-Zeit) an im Kriegszustand mit Deutschland betrachte. Der „ungezogene“ Deutsche Botschafter verweigerte die Annahme.

„Aber es handelte sich um eine Kriegserklärung, die einen bitteren Geschmack der Ohnmacht besaß“, schließt der Autor. Denn die italienische Regierung konnte nicht einmal ihre eigenen Vertretungen verständigen und Badoglio mußte General Mac Farlane ersuchen, dies von sich aus zu tun.

Zwei Kriegseintritte eines Landes gegen zwei entgegengesetzte Richtungen in wenig mehr als drei Jahren sind so in die Geschichte eingegangen. Die Befürchtungen der italienischen Diplomaten vom Mai 1940 haben sich erfüllt, die Hoffnungen vom Oktober 1943 bisher noch nicht. Bei der ersten Kriegserklärung brauchte es Tage, bis Hitler, der Verbündete, hiezu seine Zustimmung gab. Ebenso lange dauerte es, bis Italien selbst sich zum zweiten, Kriegseintritt gegen Hitler entschließen konnte. Es ist zeitgemäß, daran erinnert zu werden, wenn italienische Stimmen von Kriegsleistungen Italiens an Seite der Alliierten sprechen, um Ansprüche auf ein Gebiet zu behaupten, das es von den Alliierten unter ganz anderen Umständen und unter falschen Voraussetzungen erhalten hatte-

Die Stellung des demokratischen Staatsmannes ist niemals eine sehr beneidenswerte; man erwartet von ihm Mut, Vorsicht und Entschlossenheit und man setzt von ihm voraus, daß er nichts unternimmt, bevor nicht die ganze Wählerschaft die Notwendigkeit des Schrittes eingesehen hat und bereit ist, die Kosten dafür zu tragen. Man verlangt von ihm die Verantwortlichkeit eines Machthabers und gibt ihm nicht mehr Macht als einem Delegierten. Wenn er der allgemeinen dickköpfigen Unwissenheit zum Trotz eine Tat wagt, so wird er undemokratischer Diktatorengelüste beschuldigt, wartet er aber auf allgemeine Zustimmung der Öffentlichkeit, so wird er der Energielosigkeit oder Popu-laritätshäscherei geziehen. In kritischen Augenblicken sieht sich der demokratische Staatsmann gezwungen, „außerordentliche Vollmachten“ zu verlangen und manchmal erhält er sie.

Michael Roberts, „Die Erneuerung des Westen“

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