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Zwiefaches Maß des Menschlichen

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In das kleine kühle Haus in der Dingelstedtgasse hat „Der Pfarrer vom blühenden Weinberg“ seinen Einzug gehalten. Felix Timmermans bei den Stephansspielern. Der warmherzige Flame darf sich über die herzliche Zuneigung freuen, die ihm hier von seiten der Schauspieler wie des Publikums entgegenkommt. Dies vorzubemerken, ist wichtig: denn „Der Pfarrer vom blühenden Weinberg" gedeiht als Stück nur in einem Klima, das aufnahmsbereit offensteht den linden Wechselwinden, welche die Atmosphäre dieses Stückes in sanftem Wehen formen.

Da ist zuerst eine bittersüße Liebes- geschichce: vom Mädchen Angela, welches zwischen Tag und Dämmerung den Abendsternen entgegenträumt; und vom jungen Herrn Johannes, der so recht beheimatet ist im Land der Beghinen und Begarden, der stillsinnenden Frauen und Männer der De- votio moderną, der spätmittelalterlichen Mystik, der naturforschenden Geist- und Kosmosseher des großen niederländischen Barocks ... Nein — er ist nicht, wie man imme wieder hört (und auch in Kritiken liest) ein „Verstandesmensch“ — sosehr er sich auch auf seinen „Verstand" beruft: es ist sein Herz, sein dunkel-schweres Herz, das sich zuinnerst gegen die demütige Beugung in den Kinderglauben Angelas und der Kirche wehrt. Deshalb auch die Tragödie. Johannes kann sich vom Pfarrherrn und seinen, aus kerngesättigter christlicher Lebenserfahrung angereicherten platonischen Argumenten (der Kosmos ab Gleichnis Gottes) nicht überzeugen lassen — er widersagt seiner Rede, weil das Herz sich dent Zuspruch der sehr vernünftigen, sehr klugen Einsprache, die ihn zu dem Gott der allumfassenden, det katholischen Gemeinschaft führen will, versagt.’ Schmerzbekümmert erkennt der Pfarrer, dieser große Liebhaber des Weines, der Feldfrüchte und der Menschen: hier ist alles Reden umsonst, in den Wind gesprochen. Trotz zartester persönlicher Berührung mit dem jungen Stürmer und Dränger, dessen Eigenwelt er durchaus achtet, erscheint es unmöglich, Johannes zu „bekehren“. Trennung also. Und nun geschehen zwei Opfer. Der Wert des zweiten kann erst ganz erkannt werden, wenn jener des er: tn Opfers eingesehen wird. Johannes opfert seine Liebe — er verläßt Angela, die nur um den Preis einer Taufe, einer Konversion, seine Frau werden will und kann; er wird also einsam bleiben, bei seinem Gott, der ihm nur im Fernsein, tm Fernweh der Sehnsucht offenbar wird. Der Pfarrer achtet dieses Opfer und bezeugt ihm seinen Respekt — dies ist alles, was er als Mann und Mensch tun kann — herzlich wenig, wie sooft vieles, was Männer im Raum der Seele, der Ordnung der Tiefe, Weite und Höhe des Innenseins tun können. Anders Angela, die Frau: entschlossen wirft sie dem Opfer des Mannes ihr Opfer entgegen — und überwindet es. Sie weiß es ganz genau — sie muß ihr Leben geben, wenn es ihr gelingen soll, die letzten und geheimsten Klammern egozentrischer Selbstversicherung, seelisch-geistigen Hochmuts, eines unbedingten Willens zur Selbstbehauptung (gegen Gott, Menschheit, Umwelt) in Johannes zu lösen und aufzusprengen. Sie stirbt, der Arzt sagt: an Schwindsucht. Der Pfarrer, ihr Oheim, sagt gar nichts. Daß nun Johannes am Totenbett dieses Mädchens zusammenbricht und in seinem Zusammenbruch offen wird für den Einstieg der Gnade — all das ist nur Nachspiel. Daß große Spul, der Kampf zweier Menschen — des Pfarrherrn und Angelas — um seine Seele, ist bere.ts aus. Sein Glaubensbekenntnis ist nur ein letzter Geigenton, der die heiter-schwerblütige Symphonie beschließt, in welcher der Dichter sein Heimatland, das für ihn wahrhaftig „Reich Gottes auf Erden“ ist, zusammenklingen läßt mit seinen Düften und Genüssen, seinen Menschen und Tiere , seinen Freuden und Beschwernissen. Das Gleichniswort von der Symphonie will in einem durchaus zustehenden Sinne begriffen werden: Timmermans, der große Erzähler,

ist Symphoniker wie Anton Bruckner. In breiten epischen Strömen fließen seine Motive, verweben sich zu einem Teppich, schwingen aus, besinnen sich und kehren zum Ausging heim — zur Schwelle des alten Hauses. „Der Pfarrer vom blühenden Weinberg“ behält auch als Bühnenstück die bedächtig fließende Breite des Romans bei; wenn er dramatisch wirksam werden, das heißt seine inneren Potenzen auf der Bühne richtig ausfalten soll, dann bedarf es eines sehr starken, g.e- fühlsstarken Einsatzes der Schauspieler, die den schönen Fluß der Worte durch die Klippen der Länge zu steuern haben. Die j'ungen Darsteller, allen voran Ina Peters als Angela, waren mit Feuereifer bei der Sache, man spürte es deutlich, das Spiel wurde ihnen zur Herzensangelegenheit und wurde als solches auch vom Publikum aufgenommen: der zündende Funke sprang über — auf alle jene, welche eben eines Glaubens sind ...

Zur Problematik eines zeitgenössischen religiösen Theaters sei hier jedoch kurz vermerkt: Stücke wie dieser Timmermans vermögen nur in einer „geschlossenen Welt“ zu wirken — und da gewiß stark. Darob dürfen und können wir uns freuen. Eine andere Frage ist es, ob ihnen missionarische Kraft, Wirkmöglichkeit auf Andersdenkende, Andersgläubige zukommt. Hier aber setzt erst das Problem, der Fragenkreis der ganzen modernen religiösen Kunst an: wie kann ich Inhalte des Glaubens neu, in neuen Formen bekennen, ohne „Firmenschilder“, ohne „Abzeichen“ — ohne expressiv-deklamatorische „Bekenntnisse“, so einfadi, so schlicht wie Er selbst, der sein Antlitz so tief in die Verborgenheit zurück nahm, daß ihn die Seinen erst am Brotbrechen wiedererkannten.

Hier hat das Ringen der Zukunft, u m die Zukunft, um eine neue religiöse Kunst — auch der Bühne — einzusetzen.

Seltsame Macht des Vergangenseins. Erinnerung, wie wohltuend, wie versöhnend wirkt sie, wenn der böse Stachei leibhaftiger Gegenwärtigkeit, wenn die brutale Häßlichkeit des Ja. oder Neinsagens hier und heute hinweggenommen ist. Tragödien großer teurer Vergangenheit leben im kleinen Scherz billiger Zeitgenossenschaft nach — zum leichten Spiel wird, was einst Drama, wörtlich genommen: Tathandlung war...

Um es also vorwegzunehmen: alle lachten — und lachten recht sehr und geziemend herzlich bei der Reprise der Schnurre „Der Feldherrnhügel“ von Roda-Roda und A. Rösler, welche gegenwärtig in der Renaissahcebühne auf vollen Tou- ren läuft. Gewisse Jahrgänge gedachten schmunzelnd-schmerzlich längst verflossener Jugendzeit, in der sie die Torheit und Freude jener sorglos-sorgenvollen Jahre eines Garnisonsbetriebes in irgendeiner Provinz des großen Reiches mitmachen mußten, durften. Nicht allzu viele. Größer, viel größer die Zahl jener, welche hier sozusagen den „unsterblichen Kommiß“ — erlebt, erlitten in der Tuch- und Bodenfühlung eines vier- bis sechsjährigen Obergefreiten- oder gar Unter- offizierdaseins — auferstehen sahen: in schönen, blau-fernen Uniformen, welche das harte Grau und Grün unmittelbarer Vergangenheit verdämmern ließen zu schmerzlosen Gebilden launischer. Phantasie. Der Rest der Besucher? Wir wissen nicht, aus was für Teilnehmern etwaiger Manöver, Kriege, Pensions, und Alltagsschlachten er sich zusammensetzt. Tatsache ist, auch er lacht herzlich: über ein Kuddelmuddel von blitzblanken Uniformen mit teils blitzdummen Uniformträgem, über die Roda-Roda- Anekdoten vom feschen Erzherzog, von einem verschuldeten, verkrachten, aber listenreichen jungen Rittmeister, einem pensionslüsternen Oberst und etlichem Weibsvolk, welches gebeten-ungebeten mit ins Manöver zieht...

Ist das alles? Kann sein, aber muß es nicht sein. Nicht unbefangen treten wir aus der Welt dieser Komödie „ins Freie", aus der

Vergangenheit, aus der politischen „Unfreiheit“ von 1905 in die Welt der Freiheit von 1948. Seltsam, soviel hohe und allerhöchste Herrschaften — und wieviel menschlich- allzumenschliche Humanitäten. So viele nied- riege und allerniedrigste Herrscherlichkeiten — und wieviel unmenschliche Trivialitäten.

Wandel der Zeit? Wechsel der Uniform? Fortschritt — des Menschen? Der {Comödie? Des Dramas — der Tragödie der Menschheit?

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