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Zwielicht vom Osten…

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Auf der Wiener Universität war kürzlich eine Reihe von Vorträgen über „Alte und neue Wege zur Volksgesundheit“ zu hören. Aber es ging bei diesen Vorträgen nicht in erster Linie um Volksgesundheit, sondern um Propaganda für die »Neugnosis“. Anthroposophische Schriften wurden in großen Mengen verteilt, Präsenzlisten gingen täglich herum. Daher sprach dort zum Thema nicht ein Arzt, sondern der als Sprecher der Anthroposophie bekannte Grazer Privatdozent Dr. Otto Hartmann.

Schon vor Jahren brachte die „Furche“ eine Artikelserie über „Theo- und Anthroposophie“, um ihre Leser über diese moderne Geistesströmung zu informieren. Wie Zuschriften bewiesen, fand diese Information nicht das gebotene Verständnis der Leser, man bezweifelte die Aktualität der Sache: Ist es denkbar, daß eine so sonderliche, alogische Mischung von alter Gnosis, jüdischer Geheimlehre und buddhistischer Mystik in Europa je weitere Verbreitung gewinnen kann?

Aber dieser Einwand, so berechtigt er erscheint, vergißt, daß heute sozusagen alles möglich ist. Wir leben in einem kranken Zeitalter (Papini hat in seinem „Schwarzen Buch“ unser Europa in satirisch-geistreicher Weise sogar mit einem Narrenhaus verglichen), das in vielen Punkten eine starke Aehnlichkeit mit der absterbenden Antike hat und wie diese von zahllosen synkretistischen Religionsformen überflutet wird.

Diese Ueberflutung ist eine Tatsache. Sie ist verschieden stark in den europäischen Großstädten. (So machte sich vor einiger Zeit sogar die „Neue Zürcher Zeitung“, ein evangelisch-freisinniges Blatt, über die lächerlichen Auswüchse dieser Strömung in vielen Züricher Familien lustig.) Was Oesterreich betrifft, so ist zwar das Treiben der amerikanischen Sekten (übrigens eine Form religiöser Besatzungssteuer) in der Oeffentlichkeit auffälliger, aber Tatsache ist, daß die Zahl der um Anhänger werbenden neugnostischen Gruppen doppelt so groß ist. Der von der Polizei wegen gesundheitsschädlicher spiritistischer Sitzungen aufgehobene „Christophorusbund“ hatte über 2500 Mitglieder. Wichtiger ist, daß diese Gruppen vor allem Akademiker zu ihren „Gläubigen“ zählen. Daher war es ihnen auch möglich, sogar im „Auditorium maximum“ der Wiener Universität ihre Tätigkeit zu entfalten.

Zwielicht der Lehre!

Was führt die Menschen eigentlich zur neuen Gnosis, zu diesem Zwielicht aus dem Fernen Osten? Ein Kenner der indischen Psyche, der Freiburger Professor B. C. R e g a m e y, schreibt von ihr, daß sie sich spielend leicht über das den Europäern hemmende Gesetz des Widerspruchs, des ersten logischen Prinzips, hinwegsetzt. Und dennoch findet sich nun auch der Europäer mit dieser alogischen „groben Kost“ ab, erklärt sogar, daß für dieses Dinge „die Logik eine viel zu stumpfe Waffe“ sei. Tut er es nur aus der Sucht nach dem Geheimnisvollen, AußerL gewöhnlichen? Auch, aber nicht ausschließlich.

Bekanntlich ist heute der Agnostizismus, die Ablehnung eines rationalen Weges zur Transzendenz, die herrschende Weltanschauung bis tief in katholische Kreise hinein. Nun kann ein bloßer Voluntarismus auf die Dauer die Kluft zwischen Wissen und Glauben nicht überbrücken. Das hat bereits Kant an sich erfahren, dem im Alter die Postulate der „praktischen Vernunft“ nur noch Fiktionen waren, Gott — eine Annahme „als ob“. Und trotzdem blieb dem Menschen ein metaphysisches Bedürfnis, blieb das praktische Bedürfnis nach Religion, nach Gott. Es wurde für den modernen Menschen um so drängender, je bedrückender seine Daseinsangst würd'". Also machten sich viele auf die Suche nach einem neuen Weg zur Transzendenz und glauben nun, ihn in einer

Pseudomystik, jenseits der rationalen Ebene, gefunden zu haben.

Zu diesen Suchern und Findern gehören bezeichnenderweise — in erster Linie jene Kreise, die keine formale, sondern rein positivistische Hochschulausbildung erfahren, in ihren Studien nur Fach- und Zweckwissen empfangen haben. So ist also die allgemeine geistesgeschichtliche Situation und die spezielle, durch den Bildungsgang bedingte persönliche Lage bestimmter Berufe einer der ersten Werber für die neue Gnosis.

Uebereinstimmend lehren die verschiedenen „Sophien“, daß alles Leid auf Erden durch das sogenannte „schwarze Karma“ verursacht wird, das jeder Mensch mit in diese Welt bringt. Erworben aber hat er es sich durch persönliche Schuld in einem früheren Leben. Darin liege also die Lösung des Leidensproblems, daß jeder nur ernte, was er in einem früheren Leben gesät habe. Aber und das ist die Frage, die uns bis heute die Esoteriker nicht beantwortet haben: Woher kam das „schwarze Karma“, das uns bei der ersten Geburt mitgegeben wurde? Das Märchen von den „Herren des Karmas“, die uns einst Maß an „weißem und schwarzem Karma“ zugeteilt hätten, ist doch keine Antwort für denkende Menschen!

Zwielicht, aber kein helles Licht! Daher vermag es auch seinen „Gläubigen“ die Daseinsangst und Lebensmüdigkeit letztlich nicht zu nehmen.

Zwielicht über dem Wege!

Der Weg zur neuen „Weisheit“ ist Mystik, genauer gesagt: feinerer oder gröberer Okkultismus. Wenn wir auch gerne zugeben, daß es echte okkulte Phänomene gibt, bleiben uns sehr begründete Zweifel an der Gangbarkeit dieses Weges zu einem tieferen Wissen über Gott.

Einen gefährlichen Vorteil hat dieser okkulte Weg: er gibt den gnostischen Sekten die Möglichkeit, auch in die breite Volksmasse einzudringen. Denn für Okkultismus in jeglicher Form haben ja unsere Zeitgenossen sehr viel übrig. Man denke an die Horoskope in der Presse. Ein Wiener Blatt schätzte, daß heute etwa jeder Dritte nach astrologischen Voraussagen seine Handlungen einrichte.

Selbstverständlich können jene, die von den unteren Schichten zu den gnostischen Zirkeln vorstoßen, ihre sublimen Lehren nicht verstehen. Zufällig wurden wir bei einer Versammlung der „Christlich-Solidari-

stischen Union“ (einer politischen Bewegung auf gnostischer Grundlage), Zeugen eines Zwiegespräches zweier älterer Weiblein, die beim besten Willen mit „dem“ Buddha nichts anzufangen wußten. Trotzdem: eine größere oder kleinere Dosis Spiritismus weckt Sensationsgier und damit die Möglichkeit, weitere Kreise für die Gnosis zu interessieren. Aber damit kommen wir bereits auf ihre eigenartige Propagandaformen zu sprechen…

Propaganda im Zwielicht!

Es ist wieder eine Tatsache, durch viele Erfahrungen bestätigt, daß auch gläubige Katholiken bei gnostischen Gesellschaften mittun, ohne zu ahnen, worum es letzthin geht. Die Werbevorträge sind in Themenstellung und Durchführung selten so, daß der eigentliche Zweck, die Gewinnung neuer Mitglieder, klar wird. Das gleiche gilt von den meisten esoterischen Schriften. Unlängst erhielten wir ein Heft einer esoterischen „Kirche“ zugestellt. Der Leitartikel hatte einen durchaus katholischen, dogmatisch völlig einwandfreien Inhalt. Lediglich ein einziger, noch dazu eingeklammerter Satz verriet — und dies nur dem „Wissenden“, wessen Geistes der ganze Aufsatz war. Wir werden leider oft den peinlichen Eindruck nicht los, daß in Wort und Schrift mit Absicht katholische Ausdrücke gewählt werden, um sie dann mit einem völlig anderen Inhalt zu füllen. Dies auch in der Weise, daß sich gnostische Gemeinschaften gern als „christliche“ oder „katholische“ bezeichnen. Eine weitere Form der Tarnung: es werden wissenschaftliche, künstlerische oder gemeinnützige Vereine gegründet, deren eigentlicher Zweck aber ist: „Fischwasser“ für esoterische Zirkel zu sein.

Und selbst dann, wo der weltanschauliche Charakter einer Gemeinschaft offen zugegeben wird, ist noch lange nicht alles durchsichtig. Denn man verlangt von den neuen (oder neugierigen) Mitgliedern zunächst keineswegs den Austritt aus ihrer bisherigen Konfession, man will ihnen durchaus nicht den mitgebrachten Glauben nehmen, sondern verspricht ihnen bloß ein „ver- tiefteres Wissen“ dieses Glaubens. Dieses „vertiefte Wissen“ besteht nun darin: statt des christlichen Gottesbegriffes — Pantheismus, statt der Fremderlösung durch Christus — Selbsterlösung mittels vieler Wiedergeburten. Und das ist keine „Vertiefung" mehr, sondern Gegensatz.

Wir Katholiken Oesterreichs haben vielleicht den Liberalismus zu wenig ernst genommen. Wir haben uns damit getröstet, daß die „Liberalen“ spätestens auf dem Sterbebett zu ihrer Kirche zurückfinden würden. Nun sind aber Zeiten über Europa gekommen, da man die Kraft der Religion nicht bloß zum Sterben, sondern auch zum Leben braucht. Und diese so notwendige Kraft finden viele nicht mehr in ihrem alten Glauben, von dem sie durch Vorurteil und oberflächliches Wissen, vielleicht durch eine längere Familientradition innerlich getrennt sind. Daher die Tatsache, daß viele sich heute mit dem Zwielicht aus dem Osten abfinden …

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