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In Tirol ist alles anders, weil die Landschaft anders ist, weil die Natur Grenzen und Zwange auferlegt, weil das Kulturerbe, die Geschichte und die Tradition damit auch einzigartig be-stimmt worden waren, selbst die Aus-wirkungen des Verkehrs sind in engen Tallagen anders, als ,drau6en' im fla-chen Land. Nur wir selbst kbnnten uns verstehen, die anderen nicht, die Ein-zigartigkeit bestatigen uns die jahrlich rund 7,5 Millionen anreisenden Gaste mit 40 Millionen Nachtigungen ...", so tbnt es vielfach aus Tirol.

Das Inntal zwischen Telfs und Kuf-stein ist einer der am starksten wach-senden Ballungsraume Osterreichs, es ist ein Teil der „goldenen Banane", die sich von Holland, das Ruhrgebiet liber den Siiddeutschen Raum bis in die Lombardei herunter biegt.

Die Gipfel, die Wasserfalle, der Wald, die Kulturlandschaft, das Dorf schwingen bei alien offiziellen Anlas-sen oder Entscheidungen mit, sie sind ein Teil der Tiroler Identitat, klischee-und projektionstrachtig fur AuGenste-hende und in Tirol Lebende, sozusagen eine Mitrealitat unseres Tuns. Im Land, im Gebirge gab es, historisch ge-sehen, viele „Auseinandersetzungen" mit der Natur, verbunden mit Not und Elend. Das pragte den Einheimischen, das beeindruckte den Besucher, der „ro-mantische Blick" der erholungsuchen-den Alpenbetrachter wurde geboren und greift mittlerweile auch auf Ein-heimische, die zunehmend in stadti-schen Verhaltnissen leben, iiber.

Die Akteure theses Prozesses der Naturaneignung waren zunachst die

Neue Zielsetzungen

Naturschohnheit und Mas-sentourismus, Tradition und negative Wachstums-folgen: Tirol sucht einen neuen Weg in die Zukunft.

Bauern. Sie wurden zu einer Art ar-chaischer Helden, die den Naturge-walten trotzen, hochstilisiert. Der My-thos Alpen als ein spannungstrachti-ger Schauplatz zwischen Mensch und unberiihrter Natur, Herausforderung, Erfindungsreichtum, Kargheit, Ein-gebundenheit in Naturkreislaufe ent-stand. Kein Wunder, dafi ein sehr am-bivalentes Verhaltnis in diesem Land gegeniiber der Natur herrscht.

Spatestens in den fiinfziger Jahren begannen die groBtechnischen Errun-genschaften voll wirksam zu werden. StraBen, Kraftwerke, Leitungen, Schutzbauten, Gebaude so viele wie nie zuvor wurden gebaut, die Natur-gefahren jetzt einmal entscharft, das Hochwasser wurde auBer Landes ge-jagt, die Landwirtschaft rationalisiert.

Der Wohlstand wuchs bis ins letzte Tal, die Bevolkerung um 50 Prozent seit 1951. Die Verdienste sind unum-stritten, Not und Elend gebannt, die un-terschwelligen Angste vor einem Riick-schlag in den engen kargen Talern, bei Abkehr vom bisherigen Weg des Bau-ens und Rationalisierens geblieben.

Die Wildheit der Naturlandschaft ist geziigelt durch ein Netz von sicht-barer und unsichtbarer Infrastruktur. Dereinstige „Alpenheld" und Macher der Nachkriegszeit steht wie vor einem gezahmten und gesattelten Wild-

Redaktionelle Gestaltung: Christof Gaspari

pferd, er ist ratios auf die Frage: „ Wo-hin geht der Ritt"?

Das einstige „Naturereignis" Tirol wird plotzlich zu einem gestaltbaren Zukunftsprojekt mit vielen Reitern. Technik und Wirtschaftskraft ermog-lichen viel bis hin zur provokanten und fiir das Land verheerenden Frage, wenn sie bauernfeindlich beantwortet werden wiirde: „Wozu brauchen wir die Bauern in Tirol, die Lebensmittel konnen wir uns doch billiger kaufen?"

Immer dann, wenn gestaltet wird, tauchen sofort Grundsatzfragen in Verbindung mit Natur und Landschaft in Tirol auf, wie: Ist das „ Weid-manns-Heil" noch das gleiche, wenn durchgefiittertes Wild erlegt wird und der VerbiB im AuBerfern so grofl ist, daB keine Tanne mehr aufkommt? Ist der Erlebniswert des Wasserfalls noch

derselbe, wenn er auf Knopfdruck zuriickgeschaltet wird, um sein Was-ser durch die Turbinen zu jagen? Ist der „Griine Inn" noch derselbe, wenn sein Wasserspiegel in kurzer Zeit in Innsbruck um 80 Zentimeter steigt oder fallt, weil die Speicher des Ober-landes voll fahren? Aber auch: Ist die Natur noch dieselbe, wenn man kiinst-liche Biotope anlegt oder ein Schutz-gebiet Natur in einem bestimmten-Stadium fixieren will? Und schlieBlich die emotional stark bewegende Frage nach der zukiinftigen Rolle und Identitat der Tiroler Bauerlichkeit.

Hier tauchen Grundsatzthemen auf, die sofort nach neuen Zielsetzungen verlangen, wie zum Beispiel: Wie

soil das Inntal aus der Perspektive der Erhaltung von wohnungsnahen Erho-lungsraumen, Naturwerten gestaltet werden? Wie kann die Kulturlandschaft in ihrem kulturellen und bkolo-gischen Reichtum lebendig in die Zukunft hineingestaltet werden, ohne peinlich vordergriindiger Inszenie-rung als Tourismuskulisse? Wie ist der Rollenzuweisung, in die Tirol zunehmend von auBen her gedrangt wird, entgegenzutreten?

Es handelt sich um Rollenzuwei-sungen, wie: das WasserschloB Euro-pas (45 Millionen Menschen konnten mit Trinkwasser aus Tirol versorgt werden), ein Naturreservat, ein Frei-zeitpark, ein Transitraum zu sein und dies bei zunehmender Freizeit, stei-gendem Einkommen und immer schnelleren Verkehrsverbindungen in Europa. Die Notwendigkeit einer vor-sorgenden Alpenkonvention wird damit deutlich. Andererseits gilt fiir Tirol, wenn es diesen Anspriichen glaub-wiirdig und selbstbewuBt begegnen will, daB es die hausgemachten Um-weltbelastungen selbst reduziert.

Die Zahl der Fragestellungen zeigt aber auch, welch tiefgreifender Um-bruch in Tirol gerade im Gange ist, wie der Wertewandel sich vor uns in den Landschaftsbildern taglich sicht-bar aufbaut.

Die Naturverluste in Tirol waren in der Vergangenheit groB und beziffern sich in flunderte von Quadratkilome-tern an Flache, in zahlreichen roten Arten und so weiter. Der Wertewandel verlangt neue Zielsetzungen. Eine Analyse der Tiroler Tourismusleitbil-der ergab einen sehr hohen Stellen-wert des Natur- und Umweltschutzes. Auch die Ziele des neuen Raumord-

nungsgesetzes weisen in diese Rich-tung. Ratlosigkeit herrscht jedoch im „ Wie" der Umsetzung, die Forderung nach Kooperation und verbesserter Kommunikation werden erhoben. Eine bedeutende Lernaufgabe fiir das Land, die Taler, die Gemeinden wird sein: Ziele durch gemeinsames offenes Aushandeln zu entwickeln, die Fahig-keit iiber die Alltagserfordernisse hin-aus eine angstfreie Zieldebatte zu fiihren, ohne daB gleich die Identitat des Landes in Frage gestellt wird und schlieBlich die Selbstreflexion zuzu-lassen, ohne diese standig als Bedro-hung zu empfinden.

Neue Impulse werden sicher nicht von landesweiten neuen Gesetzen, Kon-zepten kommen. Der Burger drauBen in den Talern hat neue Bevormundungen und Regelungen satt, die Verwaltung nicht mehr ausreichende Mittel, um neue gesetzliche Regelungen zu voll-ziehen. Auf Gemeindeebene zeigen sich bereits neue Lbsungsansatze. Pfunds und Karrbsten (Seite 17), um nur einige herausragende Gemeinden zu nennen, gehen hoffnungsvolle We-ge einer vom Burger bestimmten Umweltpolitik, die sinnstiftend und gemeinschaftsbildend wirkt und sich auch noch rechnet, indem die lokale Wirtschaft miteingebunden ist.

Auch im Zillertal beginnen sich neue AVege der Naturschutzarbeit im Rahmen des Schutzgebietsmanage-ments des Osterreichischen Alpenver-eins abzuzeichnen. Die Erfahrungen aus all diesen Entwicklungen an der Basis machen Mut fiir die Zukunft und zeigen, den prinzipiellen Weg fiir eine nachhaltige Umweltpolitik in Tirol.

Der Autor ist

Tiroler Landeswmveltanwalt.

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