Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Zwischen allen Stühlen
Der letzte österreichische Bundeskanzler vor dem Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland, Dr. Kurt Schuschnigg, der am erzwungenen Ende seiner nicht ganz vierjährigen Begierungszeit das Schicksal des Landes nur noch in Gottes Hände legen konnte, war vom 12. März 1938 bis zum 8. Mai 1945 ein Gefangener 1 litlers. Er wurde zuerst in seiner Wohnung und dann in der Gestapo-Zentrale im Hotel Metropol isoliert und im Oktober 1939 ins Münchner Wittelsbacher Palais (ein Pendant des Wiener Gestapohauses) gebracht, wo ihn seine Frau endlich ohne Kontrolle besuchen konnte.
Im Dezember 1941 werden die Schuschniggs und die neugeborene Tochter Sissy in ein Holzhaus in einem Sondergeviert des Konzentrationslagers Sachsenhausen verlegt. Aus Schuschnigg ist „Dr. Auster” geworden, ein prominenter Häftling mit geheimer Identität, der sich seines Sonderstatus bewußt ist und nicht ohne Ironie vermerkt, daß er im Garten vor dem Haus zum „Schneckendetektiv” geworden ist, um die mühsam gezogenen Pflänzchen zu beschützen. Er wird zum Hausmann, freut sich über die Entwicklung seines Kindes, ärgert sich über die einfältige russische Haushaltshilfe und bittet um die Übersendung von Gartengeräten, Wäscheklammern und dergleichen.
Während in Wien Gerüchte kursierten, Schuschnigg werde gezwungen, in seiner Zelle rund um die Uhr die Nazi-Bundfunksendungen zu hören, wurde in Sachsenhausen die Isolation stark gelockert. Vera Schuschnigg durfte sich frei bewegen und fungierte als Briefträgerin. So kam es zu einem umfangreichen Briefwechsel, der nun unter dem Titel „Sofort vernichten” im Amalthea-Verlag erstmals als Buch erschien.
Zeitgeschichtliche Einblicke darf der Leser nicht erwarten. Dafür bietet das Buches Aufschlüsse über den Menschen Schuschnigg und die psychische Situation der Isolation, die nicht dadurch gemildert wurde, daß wenige hundert Meter entfernt zehn-tausende Häftlinge ermordet wurden und der Kampf auf den Schlachtfeldern tobte. Immerhin hat der privilegierte Häftling die Verlegung ins Konzentrationslager fast als Befreiung empfunden.
Das Panorama der Geschichte zu erkennen und zu bewerten, bedurfte es keines privilegierten Aussichtspunktes. Selbst in der Isolation konnte die Analyse vorgenommen werden. Die stillen Begleiter eines solchen Überlebensprozesses können Tagebücher ebenso sein wie Briefe. In beiden Fällen wird ein Dialog geführt, mit sich selbst oder mit Vertrauten, Verwandten, Freunden. In beiden Fällen öffnet sich der Mensch, zeigt sich ohne Rücksicht auf Blößen, denn die Wahrscheinlichkeit, daß Dritte den Dialog zu Gesicht bekommen, spielt bei der Abfassung keine Bolle, es sei denn, der Betroffene muß mit unwillkommenen Mitlesern rechnen.
An eine Zeit danach war für Schuschnigg lange nicht zu denken, und wenn, wußte er, daß sein Überle-
„Für die Gleichung Vierer gehrochen durch Stalin - X ist kein Gelehrter geboren” ben der Mythenbildung um seine Person nur hinderlich sein konnte. Ob er die „fernliegenden Zeiten trotz Vierer (sprich: Führer) gebrochen durch Stalin = X noch erleben” werde, sah er als ungewiß an: „Für die Lc sung dieser sehr problematischen Gleichung ist wohl noch kaum ein Professor geboren.”
Sein Leben wird zum Kampf gegen Resignation und Depression, er führt ihn mit Büchern, liest sich durch die Bibliotheken seiner Freunde, greift zu Goethe, Piaton, Grillparzer, der „Divina Comedia”, lernt Englisch und Spanisch und hört Musik: „So bin ich zu einer Bildung gekommen, die mir sonst vermutlich verschlossen geblieben wäre.” Immer wieder vergewissert er sich der Erinnerung, der Erinnerung an seine Eltern, des Zusammenhaltes mit den Verwandten, mit seinem Bruder Artur, der vor dem Krieg in der Bavag an maßgeblicher Stelle tätig gewesen war und seiner Freunde wie des Volkskundlers Hermann Wopfner (die Briefe an ihn wurden erst 1995 von den Herausgebern wiederentdeckt).
Trotz der Gefahr, die die Briefe für die Adressaten darstellen konnten, läßt Schuschnigg keinen Zweifel an seiner Einschätzung der Machthaber. Doch der Spott und die Ironie kommen von einem, der weiß, daß es nicht zu ertragen wäre, „jahrelang nur von brennendem Haß und angesammelter Wut zu leben”. Daß er die Niederungen der Depression hinter sich lassen konnte, benützt er aber nicht dazu, das Geschehen zu analysieren - dazu ist die Resignation zu beherrschend. Die Briefe sind vielmehr eine Art Lebenshilfe, „Flaschenpostnachrichten von einem Schiffbrüchigen der Weltgeschichte”, der sich eingestehen muß, daß ihm das Augenmaß abhanden gekommen sei, und der daher nach seiner Befreiung auch nicht verstehen kann, warum er isoliert bleibt.
In einer Rede im Radio A7atikan im September 1945 bietet Schuschnigg eine persönliche und poetische Interpretation der „Big Four”, meint damit aber nicht die Alliierten, sondern Herz, Verstand, Gewissen und Gedächtnis, die der Schlüssel für eine Zukunft sein könnten.
„Aber das praktische Christentum ist sehr viel schwieriger, und es stellt sehr viel größere Anforderungen, als dies auf den ersten Blick scheinen mag”: Wie wahr! Kurt von Schuschnigg hatte nicht nur als Justizminister die Todesurteile gegen die Gegner vom Februar 1934 zu verantworten -er war auch in entscheidenden Jahren die letzte Chance des politischen Christentums in Österreich. Es wurde ihm eine bittere Rechnung dafür präsentiert, daß er diese Chance nicht besser hatte nutzen können. „Deutlicher zwischen allen Stühlen ... sitzen, als er es getan hat, konnte niemand”, heißt es im Vorwort. Als er 1947 in den USA ankam, hoffte er nur noch „auf ein stilles Leben”.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!