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Zwischen Engeln und Dämonen

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Wie in den vergangenen Jahren bildete auch heuer wieder die „Welturaufführung“ einer neuen Oper den musikalischen Höhepunkt der Salzburger Festspiele. Werner Egk, Autor mehrerer erfolgreicher Bühnenwerke, von denen wir in Wien zuletzt „Co-lumbus“ und „Abraxas“ gesehen und gehört haben, hat sich auch diesmal das Textbuch selbst geschrieben. Es wurde schon vor Monaten bekannt und auch an dieser Stelle („Die Furche“ Nummer 6 vom 5. Februar 1955) besprochen. Wir resümieren heute daher nur die Sag e, nach der der irische Dichter William Butler Y e a t s sein Theaterstück „The Countess Cathleen“ schrieb: Als einmal, vor langer Zeit, Hungersnot, Dürre und Teuerung auf der Insel Irland herrschte, zogen als Kaufleute verkleidete Sendboten der höllischen Mächte umher, um Seelen für den Teufel gegen Geld und Wohlleben einzuhandeln. Um ihre Untertanen zu retten, verkauft die edle Gräfin Cathleen O'Shea ihre Herden, Aecker und Wälder. Aber die Schiffe, auf denen das aus dem Erlös ihres gesamten Besitzes eingekaufte Getreide herangebracht werden soll, scheitern im Sturm. Da immer mehr Menschen ihre Seelen den Dämonen überlassen, bietet Cathleen als höchsten Preis ihre eigene Seele dar, um die übrigen vor der ewigen Verdammnis zu bewahren. Die Dämonen gehen auf den Handel ein, Cathleen stirbt, und ihre Seele soll zur Hölle geschleppt werden. Da aber erscheinen Engel vom Himmel, entreißen Cathleen dem Teufel und führen sie in den Himmel, denn für Gott war dieser Handel, durch den so viele Menschen gerettet wurden, null und nichtig. — Inhaltlich steht Egks Text der Sage näher als dem Stück von Yeats, von dem er hauptsächlich die Idee der Dramatisierung und die Gestalt des Dichters Aleel als Gefährten und — in gewissem Sinn — Gegenspieler der Gräfin Cathleen übernommen hat. Er wird zur zweiten Hauptgestalt und auch an ihm zeigen die Dämonen ihre Macht. Aleel hat Cathleen geschworen, an ihrer Seite auszuharren, aber der durch Zauber beschworene Doktor Faust rät ihm, nur seinem Auftrag als Künstler zu leben und zu fliehen. Egk stellt hier, ganz allgemein und mit unübersehbarem Zeitbezug, die Frage nach der Entscheidung des Künstlers in böser Zeit und beantwortet sie, wenn man es deutlich sagen will, im Sinne der Nicht-Emigration. In einem langen Gespräch zwischen Cathleen und Aleel wird diese Entscheidung ausführlich begründet (Cathleen: „Du willst fliehen, Dichter, aus diesem Land? In welcher Zunge singst du dann, im fremden Land, vor Fremden, die dich anhören, vielleicht aus Neugier einmal, und einmal nicht. Was singst du dort? Heimweh ... Vielleicht rufst du dann übers Meer weg: Habt Mut! Haltet aus und widersteht dem Uebel, dem ich entkam! Denkst du, daß die loben raschen Entschluß und schlaue Flucht, die selbst nicht fliehen konnten? .. .“). Wichtiger freilich erscheinen andere aktuelle Bezüge, vor allem die durch die Dämonen symbolisierten wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Machtsysteme, welche die „freie Wahl“, die sittliche Entscheidung des Menschen aufheben, ferner die listigen Methoden der individuellen und der Massenbeeinflussung, der Suggestion (in der ..Traumbeschwörung“) und der Propaganda (etwa in der listigen Ausnützung der geistigen Autorität des verdammten Faust).

Mit seinem neuen Werk hatte Egk sich vorgenommen, „eine Oper in vollgültigem Sinn“ zu schreiben. Das bedeutet, zunächst rein äußerlich, den Verzicht auf Sprecher, Kommentator oder einen außerhalb der Handlung stehenden betrachtenden Chor. Wohl aber ist die „Irische Legende“ eine ausgesprochene Ensembleoper mit nur wenigen Solooder Duoszenen. Zu dem normalen Orchester tritt ein stark besetztes Schlagwerk mit Tomtom und Tamtam, Xylophon und Vibraphon, dessen Bedienung drei Spieler erfordert. — Wohl gibt es, wie in früheren Werken Egks, auch hier Anklänge an Richard Strauß (besonders an „Salome und „Elek-tra“ in den lyrisch-pathetischen Stellen) sowie an Strawinsky (in der Instrumentierung und bei einigen Ostinati); aber Egk hat seine Ausdrucksmittel bedeutend verfeinert und raffiniert — sehr zum Vorteil der Gesamtwirkung. Als besondere Charakteristika dieser Partitur fallen auf: zahlreiche bi- und poly-tonale Stellen, Verwendung von Komplementärakkorden, häufige Akzentverschiebungen innerhalb regelmäßiger Takte (von denen 'Vs, % und “/s bevorzugt werden), breitangelegte, schöngeschwungene Kantilenen über meist raschen, motorisch wirkenden Ostinatobegleitungen und eine gewisse orientalisie-rende Färbung des gesamten Klangbildes. Auch hat Egk in dieser Partitur — unseres Wissens zum erstenmal — konsequent einen siebentönigen Akkord bzw. seine Bestandteile angewendet und dadurch eine bedeutende Einheitlichkeit des Klangbildes erreicht. Selbsterfundene Skalen und arabische Rhythmen üben eine reizvolle magisch-exotische Wirkung. Egks bekannte Instrumentationskunst bedarf ebensowenig einer Bestätigung wie seine Kenntnis der Stimmen, denen er Bedeutendes, aber nie Unmögliches zumutet. So wird das Interesse des Opernbesuchers mehr durch den hochwertigen Text und die abwechslungsreiche und farbige Musik als durch das Bühnengeschehen gefesselt. Nach der Lektüre des Librettos, das meisterhaft geformt und sprachlich weitgehend als Egks geistiges Eigentum angesprochen werden kann (und das, wie schon früher bekannt wurde. Wilhelm Furtwänglers besonderes Interesse und ungeteilte Zustimmung gefunden hatte), konnte man stärkere dramatische Wirkungen erwarten. Jedenfalls sind andere — bessere und plastischere — Lösungen denkbar, als sie O. F. Schuh und Caspar Neher bei der Salzburger Premiere gefunden haben. Dieses mystisch-phantastische Stück mit seinem Zauber- und Dämonenwesen, seiner heidnischen Magie und seinem christlichen Spiritualismus, seinen anregenden Regieanweisungen (etwa der letzten: „Allmählich verschwinden aus dem Bild der Landschaft die Zeichen der Zerstörung und Vernichtung“) wurde zu realistisch inszeniert. Recht des-illusionierend wirkten einige bemalte Zwischenvorhänge (mit Motiven des Höllenbreughel, des Hieronymus Bosch und Grünewalds) sowie ein unübersichtliches Konglomerat von Engeln, das von der Decke herunterhing. Sowohl musikalisch als auch optisch waren die beiden Gegenwelten, die der Dämonen und die der Engel, zuwenig voneinander unterschieden. Auch gegen einige Kostüme, etwa die der beiden Eulen oder die des Dichters Aleel, besonders aber gegen die recht konventionelle Faust-Erscheinung sind Einwände zu machen.

Vorzüglich war dagegen die Besetzung der Haupt-paitien: Inge Borkh als Cathleen, Kurt Böhme als Dichter Aleel, Walter Berry als Tiger, Margarete Klose als Amme Oona und Maria Litto (eine stumme Partie) als Schlange. Das Orchester der Wiener Philharmoniker und der Chor der Wiener Staatsoper wurden von Georg Szell geleitet. — Wenn trotz aller Anstrengungen der Text nur zum Teil verständlich war, so geht das wohl weniger auf die Rechnung des Komponisten oder des Dirigenten, sondern ist der mangelhaften Akustik des Festspielhauses zuzuschreiben. Das Publikum sah und hörte über die angedeuteten Mängel der Aufführung hinweg und hat das neue Werk lebhaft akklamiert.

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