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Zwischen Fngeln und Dämonen

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ERZÄHLUNGEN. Band V der Gesammelte n Werke von Elisabeth Langgässer. Claassen-Verlag, Hamburg, 1964. 476 Selten. Preis 24.50 DM.

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ERZÄHLUNGEN. Band V der Gesammelte n Werke von Elisabeth Langgässer. Claassen-Verlag, Hamburg, 1964. 476 Selten. Preis 24.50 DM.

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Welche Freude für die Leser der Langgässer, nun auch ihre „Kleine Prosa“ , die bisher in teilweise nur noch schwer zugänglichen Einzelausgaben vorlag, in einem großen Sammelband nahezu vollständig vereinigt zu sehen. Dieser letzte Band der verdienstvollen Werkausgabe des Claasen-Verlages beginnt mit dem frühen kleinen Roman „Proserpina“ in der Urfassung. Eine dunkle Kindheitsmythe, in der das antike Erbe der rheinhessischen Heimat der Langgässer lebendig beschworen wird. „Wie eine ausgegrabene griechische Scherbe ... nackt, grausam, ungereinigt...“ , so charakterisiert sie diese frühe Arbeit 1949 in einem Brief an Oda Schäfer. Wir sehen heute aber doch auch noch etwas anderes in „Proserpina“ vor uns: Daß da „aus blutigem Opfer und der Beschwörung der Unterirdischen reine Süße entsteht, hinter Orpheus und Demeter die mythische Rose sichtbar war...“ (Clara Menck).

Es folgt der zwischen 1920 und 1930 spielende Zyklus „Triptychon des Teufels“ — mit den Novellen „Mars“ , „Merkur“ und „Venus“ , der früher den bezeichnenden Untertitel „Ein Buch vom Haß, vom Börsenspiel und der Unzucht“ trug. Die große, im Nachlaß aufgefundene Erzählung einer Männerliebe, „Mithras“ , die in den Jahren 1930 bis 1932 entstand und ursprünglich das Schlußstück der Trilogie bilden sollte, ist in dem Sammelband nicht enthalten. Das ist insofern ein Mangel, als gerade diese Novelle in dem Band „Geist in den Sinnen behaust“ , MatthiasvörMewMcP^er lag, 1951, abgedruckt) mit ihren starken naturdämonischen Elementen, in denen aber doch schon die Auflösung des antiken Lebensgefühls durch den christlichen Erlösungsgedanken leise anklingt, für das damalige Schaffen der Langgässer außerordentlich charakteristisch Ist.

Über den nun folgenden, wiederum dreiteiligen, Zyklus, „Rettung am Rhein“ , schrieb die Dichterin in ihren Briefen, daß sie in diesen „Anekdoten“ das Thema der Zeitenfolge und der in ihr wirkenden Barmherzigkeit Gottes Verdeutlichen wollte.

Wenn man für diese frühe Schaffensperiode der Langgässer, in die außer den ersten Gedichtbänden auch noch der Roman „Gang durch das Ried“ fällt, einen gemeinsamen Nenner zu finden versucht, so erweist sich ihre rheinhessische Heimat, in der sie als Kind die römischchristlichen Traditionen des alten Kulturlandes einsog und als Erwachsene die Realität der französischen Besatzungszeit erlebte, als Hauptschauplatz und geistiger Nährboden ihrer damaligen Werke.

Nach der für die Halbjüdin im Dritten Reich erzwungenen langen schöpferischen Pause erschien schließlich 1947 „Der Torso“ , ein Sammelband mit Kurzgeschichten, die zwischen den Romanen „Das unauslösliche Siegel“ und „Die märkische Argonautenfahrt“ geschrieben wurden. Auseinandersetzung sind sie alle, mit den speziellen Sünden und Häresien der Deutschen, Episoden vom Versagen und den Unzulänglichkeiten der Menschen in der Hitlerzeit, in der bloße Humanität den Mächten des Chaos nicht mehr standzuhalten vermochte. Hier und da durchbricht ein Unschuldiger den Teufelskreis der Verblendung, des Hasses, der Einsamkeit und rückt die verworrene Welt in Ordnung. Wie aktuell ist das alles auch heute noch!

In den wenigen späten Erzählungen, die gleichzeitig mit der „Mär-läscheh 'Argonautenfahrt“ geschrieben wurden, hat die Langgässer ihre barocke Leidenschaft für das Abstruse und Schwülstige überwunden. Sie sind einfach im Empfinden und Ausdruck. Als die Dichterin 1948 den Erzählband „Das Labyrinth“ zusammnestellte, in dem sie einige dieser letzten Arbeiten zusammenfaßte, schrieb sie darüber an Waldemar Gurian: „Ich habe unlustig, überdrüssig meiner alten Zauberkünste, daran gearbeitet, denn der Kreis der Magie ist ja nun wirklich abgeschlossen ..Der dunkle Untergrund ist auch hier gegenwärtig, aber die Wege führen ins Helle, an den Ausgang des Labyrinths.

Heute, vierzehn Jahre nach dem frühen Tod der Langgässer, liegt die Frage nahe, wie weit ihr dichterisches Werk, das einst seiner wahrhaft revolutionären Tendenzen wegen so bitter angefeindet und so spät anerkannt wurde, noch Bestand hat; wie weit es noch lebendig und zeitnah ist. Mögen die heute im Brennpunkt des Interesses stehenden deutschen Schriftsteller andere Wege gehen als sie, Elisabeth Langgässer wird innerhalb der modernen deutschen Literatur ihren Platz behalten durch ihre radikale Erneuerung der christlichen Dichtung, die sie herausführte aus der Perspektive süßlicher Hagiographien und der nicht minder ausreichenden humanistischen Bildungstradition. Sie wagte, wie Bernanos und Graham Greene, die christliche Entlarvung der Abgründe des menschlichen Herzens, sie sprengte alle schützenden Grenzen und zeigt ihre Helden im Kampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis. Wenn sie in ihren Frühwerken den Menschen noch als Spielball dumpfer Naturkräfte sieht, im Banne der Dämonen, gelingt es ihr schließlich, diese ihre antike Naturwelt in den christlichen Kosmos einzubauen, sie als Voraussetzung der christlichen Wirklichkeit zu erkennen. Welch eine gewaltige Entwicklung! Das was einst für sie antithetisch, jeder Verschmelzung oder auch nur Harmonisierung widerstrebend, quälend nebeneinanderstand, klingt schließlich in einer großartigen Synthese zusammen. Was die Langgässer einst über ihr Gedicht „Daphne an der Sonnenwende“ an den Kanonikus Kusche schrieb, daß sie glaube, darin die Natur durch den Blick des Christen verwandelt zu haben — diese Entwicklung zeichnet sich auch in ihrer Prosa ab. Und damit hat sie uns etwas Bleibendes hinterlassen.

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