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Zwischen Gesetz und Gottes Barmherzigkeit

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Singt nicht ,ad multos annos' für mich, singt ,Er ruhe in Frieden'. Kennen Sie nicht die Psalmen? Das lieben währt siebzig Jahre und wenn es hochkommt sind es achtzig. Nun bin ich schon 82. Ich bin schon bereit für die große Reise." Dies meinte Parintele Cleopa, wahrscheinlich der bekannteste und geschätzteste geistliche Vater in Rumänien bei einem Empfang zu seinen Ehren. Und ein anderes Mal vor unzähligen Pilgern, die gekommen waren, um ihn zu sehen: „Ich möchte euch alle im Paradies wieder treffen."

Tatsächlich hatte diese Aussage nicht das Ziel zu brüskieren, sondern entsprang der Überzeugung des Vater Cleopa, für den Sterbeh nichts Erschreckendes an sich hat, sondern, wie sich aus dem christlichen Glauben ergibt etwas Natürliches ist, das näher zu Gott führt.

Bis vor kurzem kamen oft Tausende Pilger an einem Tag zu ihm, um sich Bat zu holen, viele kamen auch zur Beichte. Vor kurzem erwähnte er, daß ein Bischof bei ihm von abends bis vier Uhr früh zur Beichte gewesen ist. „Ein guter Beichtvater muß den Mittelweg zwischen Gottes Barmherzigkeit und den Gesetzen finden. Er darf weder zu streng, noch zu nachsichtig sein." Er muß „die gebeichteten Sünden verdeutlichen und dem Pönitenten von Gottes Barmherzigkeit erzählen, ihm aber auch seine Strenge vor Augen führen", meinte er zu einer Grazer Exkursion.

Vater Cleopa gehört zu einer Bich-tung von Mönchen, die bei uns oft als Starez bezeichnet werden. Üblicherweise sieht der Lebensweg eines Mönches, der später als Starez verehrt wird, so aus: Als junger Mann tritt er in ein Kloster ein und lebt einige Jahre in der Mönchsgemeinschaft, danach zieht er sich für einige Jahre in die Einsamkeit, in den Wald oder ins Gebirge zurück und pflegt dort Gebet und Askese, beides unter Aufsicht seines geistlichen Begleiters. Jede besondere spirituelle Übung darf nur mit Zustimmung des geistlichen Begleiters begonnen werden. Wichtigstes Gebet ist zumeist das „Jesusgebet" oder „Herzensgebet", dessen zentralstes Element der Satz „Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner" ist. Dieses Gebet kann mehrere tausend Mal am Tag wiederholt werden. Das richtige Gebet beginnt, wenn wir auch Gott hören können, meint Vater Cleopa. Nach einigen Jahren kann es sein, daß er wieder ins Kloster zurückgerufen wird, manche bleiben auch bis zum Tod in der Einsiedelei. Wenn er zurückgerufen wird, kann es sein, daß allmählich immer mehr Leute kommen, um bei ihm um Bat zu fragen.

Der 1912 geborene Vater Cleopa begann sein geistliches Leben als Mönch im orthodoxen Kloster Sihe-stria, einem Kloster, in dem die Regel gilt, daß sieben Mal pro Tag gemeinsam gebetet werden soll, und den ganzen Tag die Psalmen rezitiert wer den. Er eignete sich als Autodidakt theologisches Wissen an, vor allem indem er die Bibel und die Bücher der Väter studierte, wurde Priester und während des Krieges zum Abt gewählt. In der härtesten kommunistischen Verfolgungszeit zog er sich in den Wald zurück, wo er für acht Jahre lebte. Um seinen Aufenthaltsort wußte damals nur der Förster, sein Beichtvater und noch ein Mönch. Dieses Leben in der Abgeschiedenheit sah er allerdings nicht als Leben für sich allein und sein Seelenheil, vielmehr als Leben für die Gläubigen und für die ganze Welt. Auf Weisung des Patriarchen kehrte er danach wieder nach Sihestria zurück, wo er bis vor einigen Jahren lebte. Heute hat er sich wieder zurückgezogen, weil die großen Menschenmassen, die zu ihm drängen, für ihn zu anstrengend sind.

Anziehend macht ihn wohl, daß er überzeugend wirkt und seine Strenge verbunden ist mit großer Herzlichkeit. „Er sagt den Leuten ganz deutlich ihre Fehler, aber mit so viel Liebe, daß man ihm nicht böse sein kann", meinte der rumänische Pfarrer in Wien, Nicolae Dura, über ihn. Außerdem ist er in der Lage, Menschen mit ihren Problemen zu helfen. „Vater Cleopa gibt nicht Antworten, er bringt Lösungen", ist eine gängige Aussage in Rumänien.

Diese besondere Mönchstradition gibt es in Rumänien seit dem 17. Jahrhundert, wo sie seither nie abgerissen ist. Cleopa ist der bekannteste, aber nicht der einzige heute lebende geistliche Vater, zu dem Gläubige pilgern, um sich Rat zu holen. Von Rumänien kam die Tradition nach Rußland, wo sie ihre Blüte im 18. und 19. Jahrhundert, besonders in Optina Pustyn, etwa 250 Kilometer südlich von Moskau, erlebte. Der wohl bekannteste Vertreter war Seraphim von Sarow, der nach wie vor zu den meistverehrten Heiligen der russischen Tradition zählt, in letzter Zeit aber auch in einigen Erneuerungsbewegungen im Westen geschätzt wird. Von ihm werden zahlreiche Heilungen und Visionen berichtet.

Über heute lebende große geistliche Väter in Rußland ist nichts bekannt, jedenfalls leben sie nicht in der Öffentlichkeit. Die kommunistische Revolution hat gründliche Arbeit geleistet. Das Klosterleben entwickelt sich aber ausgesprochen positiv, die Zahl der Klö ster steigt: Waren es 1980 nur noch siebzehn, so gab es 1994 schon über 200, inzwischen schon über 350. Vor der Revolution 1917 waren es allerdings 1.015. Wobei die Größe der Klöster stark variiert: Mindestens braucht es drei Mitglieder, das größte Nonnenkloster hat inzwischen schon 120 Schwestern. Meist treten junge Leute ein. Ähnliches gilt von Rumänien, wo gegenwärtig 6.200 Ordensleute leben, davon sind mehr als zwei Drittel Nonnen. Zwei große Klöster, Agapia und Waratec, haben über 500 Schwestern.

Der Autor ist

Mitarbeiter des Katholischen Bihelwcrks in Klosterneuburg.

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