Zwischen Himmel und Hölle

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Ramona S. galt als "hoffnungsloser Fall“: Als junge Frau erhielt sie die Diagnose "Borderline-Störung“. Inzwischen hat sie ein Buch über ihren Umgang mit der Krankheit geschrieben.

Herzlich Willkommen in meiner Welt. Ich lade Sie ein zu einem Exkurs in ein Leben voller Höhen und Tiefen. Was Sie dazu brauchen, ist eine Portion Gelassenheit oder starke Nerven. Ich hoffe, Sie werden mir am Ende keine Schwarz-Weiß-Malerei vorwerfen. Sie sollten auch nicht denken: "Die arme, kranke Frau.“ Denn krank, nein, krank würde ich das alles nicht nennen. Ich bezeichne es eher als Überlebensstrategie. Wer weiss, ob es mich sonst noch geben würde...

Mein Name ist Ramona, ich bin 34 Jahre alt und man sagt, ich habe eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Borderlinerin. Was bedeutet das? Was macht es aus mir? Eine Schutzbedürftige? Ein Monster? Jemanden, auf den man herabblickt oder gar jemanden, zu dem man aufschaut?

Wahrscheinlich sind die Meinungen darüber ebenso gespalten, wie die Borderliner selbst: Denn sie sind Grenzgänger. Alles oder nichts. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt - innerhalb weniger Sekunden. Einerseits ein übermäßiges Bedürfnis nach Nähe, aber verletzend und abweisend, sobald es zu intim wird. Gleichzeitig ein Häufchen Elend und ein Genie, in der Lage, alles zu schaffen und ebensoviel zu ruinieren. Der Fachmann würde uns als "undefinierbar, kompromisslos und Unruhe stiftend“ bezeichnen. Vielen Dank auch!

Ein undefinierbares Ich

Wer oder was bin ich also wirklich? Selbst heute, nach unzähligen Therapiesitzungen, weiss ich es noch immer nicht. Ich könnte jetzt Eigenschaften wie "sensibel“, "impulsiv“, "scharfsinnig“ oder "kreativ“ aufführen, aber das würde nicht wirklich etwas über mich aussagen. Es fällt mir schwer, mich als Ganzes zu definieren. Was ich heute über mich denke, kann morgen schon ganz anders aussehen. Meist ist es schlicht abhängig davon, wie andere Menschen zu mir stehen und was sie über mich denken.

Gute Leistungen haben in meinem Hirn nur eine kurzfristige Aufenthaltsgenehmigung. Ich bin eben das, was ich gerade über mich denke. Entweder gut oder schlecht. Habe ich gestern noch einem Freund einen Gefallen getan und fühlte mich dabei glücklich, so nehme ich mich heute als Nichtsnutz wahr, der noch nie etwas Anständiges geleis-tet hat und seine Mitmenschen enttäuscht. Banale Dinge können mein Selbstbild in eine Krise stürzen, aber zum Glück nicht mehr ganz so tief wie es einst geschah.

"Einst“ ist jetzt etwa zehn Jahre her. Ich war die klassische Borderlinerin - und mein sogenanntes "Vollbild“ brach aus, als ich aus dem elterlichen Haus auszog, um ein eigenständiges Leben zu führen. Obwohl es genau das war, was ich wollte, fühlte ich mich plötzlich allein. Übermäßig allein. Die Einsamkeit überschwemmte mich wie eine Flut. Trotz der guten Gründe, die es für meinen Auszug gab, wäre ich im Traum nicht darauf gekommen, dass sich dieses trostlose Gefühl der Isolierung wie eine unsichtbare Hand um meinen Hals legen würde.

Aber das war nicht alles: Aus den kleinen, schon seit meiner Kindheit dagewesenen, neurotischen Plagen wurden große Probleme. Das Repertoire an Zwängen, impulsiven Ausbrüchen, Essproblemen war vielfältig und allgegenwärtig, aber rein gar nichts gegen das wirkliche Monster: Die Angst. Angst war mein vorherrschendes Gefühl. Heute glaube ich, alles was ich tat, habe ich aus Angst getan. Bewusst und unbewusst. Zum einen waren da die Panikattacken: "Ich verliere die Kontrolle! Ich sterbe!“

Und dann war da noch die "entzückende“ frei flottierende Angst: Immer da, immer nah, zermürbend. Befürchtungen über Befürchtungen, die immer neuen Nährboden fanden. An einem Tag glaubte ich an Krebs erkrankt zu sein, am nächsten war ich homosexuell, am nächsten hatte ich Angst, andere Menschen tätlich anzugreifen. Alles Firlefanz - und doch gedanklich so beängs-tigend nah.

Kurz: Furcht und Beklemmung bestimmten mein Leben, bauten sich auf zu einem ekligen Mischmasch aus Anspannung und Verzweiflung, wofür ich schon bald ein wirksames Gegenmittel fand. Eine kleine, böse Ahnung forderte mich auf: "Verletz´ dich selbst!“ Und das tat ich dann. Was unmittelbar danach passierte, liest sich wie aus einem Zauberbuch: Die Angst mitsamt ihrem Gefolge war fort. Erstaunlich! Oder unheimlich? Egal, denn es funktionierte. Die nachfolgende Entspannung war wie Balsam für meine Seele. Die Blicke der Chirurgen hingegen, die meine Schnittwunden wieder zusammenflicken mussten, eine neue Demütigung.

Selbstverletzungen zur Beruhigung

Doch der körperliche Schmerz war nichts im Vergleich zu dem seelischen Leid. Bald benötigte ich immer wieder neue, beißende Reize, um zu spüren, dass der psychische Schmerz nicht die Oberhand über mich erhält - sondern ICH alles unter Kontrolle hatte. Banal gesagt: Der Schmerz beruhigte mich. Es ist naheliegend, dass mir bald niemand mehr helfen konnte, aber ich teilte mich auch nur subtil mit. Man kann von seinen Mitmenschen nicht verlangen, zu hören, was man nicht ausspricht. Lediglich einer Ärztin zeigte ich meine selbst zugefügten Male. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis ich in der Psychiatrie saß und den Borderline-Stempel auf der Stirn trug.

Die Diagnose ist ein Stigmata, denn Borderliner sind natürlich aufsässige Menschen. Aber ich war einfach nicht so verrückt, mich von Fachleuten in diese Psycho-Schublade zwängen zu lassen. Ein wohlwollender Psychotherapeut würde meinen Widerstand als "innerliche und äußerliche Klarheit“ bezeichnen. Weniger nette Therapeuten nennen das "Uneinsichtigkeit“.

Ein Therapieversuch folgte dem nächsten. Ambulant und stationär. Das Drama nahm seinen Lauf. Und dann kam auch noch jemand und nannte mich "schwer traumatisiert“. Das kleine, bislang unbemerkte, verletzte Kind in mir begann zu schreien. Ein stiller und doch ohrenbetörender Schrei, der nicht mehr verklingen wollte. Nach einem Suizidversuch mit aufgeschnittenen Pulsadern landete ich hinter einer psychiatrischen Glasscheibe. Und von da an ging es bergauf.

Die passende Therapeutin

Die Fügung schickte mir Wochen später eine fähige Therapeutin, die es mit meinen unerwarteten seelischen, körperlichen und sexuellen Traumatisierungen aufnahm, die an mich glaubte und zu der ich Vertrauen fassen konnte. Ich machte die Traumatherapie "EMDR“ und musste feststellen, dass mein Innenleben einer Black Box glich. Diese war gefüllt mit schwarzen Überraschungseiern, die gar nicht schmeckten. Bis heute habe ich Angst, noch einmal in diese dunkle Box hineinzuschauen. Denn obwohl es mir heute relativ gut geht, ahne ich, dass noch immer ein paar von diesen ungenießbaren Dingern dort drinnen lagern. Ich denke, es ist nicht wichtig, wieviele davon man auspackt und isst, sondern dass man die richtigen verdaut hat.

Seit acht Jahren führe ich nun eine stabile Beziehung zu einem bodenständigen Mann, der meine kleinen Macken aushält. Wir haben einen bezaubernden Sohn, dem ich täglich sage, wie sehr ich ihn liebe und der mich vor die tägliche Herausforderung stellt, es besser zu machen und keinesfalls aufzugeben. Denn wenn ich mir eines absolut nicht verzeihen könnte, so wäre es ein liebloser Umgang mit meinem Kind. Außerdem habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester mit sehr guten Noten abgeschlossen und arbeite in einer Klinik. So habe ich mich also für das Leben entschieden. Mit radikaler Akzeptanz versuche ich meine Wechselhaftigkeit anzunehmen und auch mal darüber zu lächeln. Denn wie sagte schon Buddha: "Es gibt den Tag nicht ohne die Nacht.“

Seelentaumel.Der Weg durch (m)eine Borderline-Störung,

Von Ramona S., Starks-Sture 2012.

126 S., bro., € 15,30

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