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Zwischen Nomadenzelten und Hochöfen

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In Blagoweschensk, am sowjetisch-ostsibirischen Ufer des gewaltigen, durch unendliche Taigawälder rauschenden Amurstromes, sitzt seit 1945 ein Chinese in russischer Sonderhaft. Zuweilen blickt er wohl hinüber über den Strom nach der Mandschurei, wo bei Mukden die Gräber seiner Ahnen Hegen und wo er selbst 13 Jahre lang als Gefangener der Japaner den Titel eines Kaisers der Mongolen hatte führen müssen.

Der noch nicht Fünfzigjährige ist Henry P u y i, als Knabe einst der letzte Kaiser auf dem Drachenthron in Peking, der nach der Abdankung, von der Welt vergessen, in den zerfallenden, geplünderten Palästen weiterlebte.

Aber die Japaner hatten den jungen Mann nicht vergessen. Sein Name stand auf der Warteliste der japanischen Chinapolitik. Als die Japaner 1932 die Mandschurei besetzten und den alten russischen Einfluß im Land zurückdrängten, wurde Puyi geholt, um als Marionettenkaiser Kang-Teh über die 40 Millionen des neuen Satellitenstaates M a n-dschykuo im Namen und praktisch als Gefangener der Japaner zu herrschen. Sein Palast in Hsinking, der neuen Hauptstadt, wo er seine Tage verbrachte, sah wie eine backsteinerbaute Schule der achtziger Jahre aus, alles andere als kaiserlich. Audienzen durfte er nur in Anwesenheit der allmächtigen japanischen Vizeminister erteilen, die jedem mandschurischen Minister vor die Nase gesetzt waren. Aber sein Kaiserreich entwickelte sich in den 13 Jahren japanischer Herrschaft

Unter zielbewußter und heberhaft tätiger japanischer Leitung Wurde Mandschuküo zum Ruhrgebiet Ostasiens mit imposanten Industrieanlagen, mit dem Abbau der reichsten Kohlenlager Nordasiens, mit Stauwerken, mit dem dichtesten Bahnnetz Ostasiens.

Große Industrie — reiches Ackerland

Jährlich strömte eine Million neuer chinesischer Einwanderer in das chinesisch bewohnte Land ein, das außer einer halben Million Mongolen auch eine Million ausgewanderter Koreaner beherbergt. Nicht nur die gewaltigen neuen Industrien lockten mit Verdienstmöglichkeiten. Hier in der Mandschurei, dem im schnellen Aufstieg befindlichen Land, so groß wie Deutschland und Frankreich zusammengenommen, lockte noch unendliches jungfräuliches Ackerland. Der reiche mandschurische Boden erzeugt zum Beispiel die höchste Ertragsziffer der Sojabohne, der ergiebigsten Bodenfrucht der Welt — 80 Millionen Tonnen Sojabohnen, Hirse, Mais, Weizen und Reis bringt dieser noch unausgeschöpfte Boden jährlich hervor, trotzdem er während der Wintermonate metertief einfriert. Im Nordwesten des neuen Staates dehnten sich die unendlichen Weidegründe der Steppennomaden, der Barga- und Dsche-holdmongolen, die an die Sowjetunion, Außenmongolei und früher ebenfalls japanisch beherrsdite Innenmongolei angrenzten. Wer die Mandschurei beherrscht, hält wichtige Stellungen für die industrielle und wirtschaftliche Versorgung Asiens von Korea bis ins chinesische Jangtsetal in der Hand.

Heute hat in diesem reichen mandschurischen Land, das jeder Chinese, weil es von diinesischen Siedlern bebaut wird, als zu China gehörig betrachtet, Mao-Tse-tungs Regierung trotzdem wenig zu sagen. Denn sein Führer Gao-Gang, der die Verträge mit dem Kreml abschließt, ist moskaugeschult und zuverlässig linientreu. Nicht nur durch die die Mandschurei eisern umschließende Klammer des sowjetischen Amurbogens von Man-dschuli bis Wladiwostok beherrscht Rußland heute wieder die Mandschurei. Auch die mandschurischen Bahnen mit erst vor kurzem auf 56 Kilometer erweiterten Korridoren, D a 1 n Hauptausfuhrhafen des reichen Landes, und Port Arthur sind russisch. Im Westen der Mandschurei liegt der

älteste Satellitenstaat Moskaus, die modernisierte Außenmongolische Republik, und südlich davon die seit Chinas kommunistischer Eroberung ebenfalls rote Innenmongolei, die bisher das dünnbesiedelte Nomadengebiet der Steppenmongolen von den Grenzen Tibets bis zu den mandschurischen Hsingangsbergen entlang der längsten Staatsgrenze der Welt zwischen China und Rußland umfaßte.

In den letzten Jahren hat die Welt wehig über die kriegerischen Steppensöhne Dschingiskhans erfahren, als seien sie zwischen den Mühlsteinen China und Rußland zermalmt worden. Doch jetzt tritt plötzlich, wie durch den Lärm der Koreakrise übertönt und doch eng mit dieser zusammenhängend, von der Welt kaum beachtet, der von etwa zwei Millionen Mongolen und drei Millionen

ackerbauenden chinesischen Siedlern bewohnte rote Innenmongolische Staat, der treue Satellit Moskaus, mit einer überraschend durchgeführten Gebietserweiterung auf den Plan, die bedenklich nach Osten vorstößt. Dabei umfaßt das Gebiet, das den Besitzer wechselte, beinahe die Fläche Frankreichs. Bis vor die Tore des Industriezentrums von M u k d e n, bis 250 Kilometer an die Grenze des umkämpften Korea heran reicht heute der Innenmongolische Staat, dessen Gebiet auf früher mandschurischem Boden das von Mongolen bewohnte Weideland umfaßt.

Für die Chinesen war seit Jahrtausenden alles, was nördlich der Großen Mauer lag, Barbarenland. Für die Regierung Mao-Tse-tungs ist dieses Gebiet heute politisch verloren, sowohl die industrialisierte, direkt von Moskau beherrschte Mandschurei als auch der Satellitenstaat der Innenmongolei. Beide haben sich auf Moskaus Wunsch hin über die neue Grenzziehung geeinigt. Peking kann dazu nur seine nachträgliche Zustimmung geben, ob es will oder nicht. Es hat jetzt mit seiner Koreaaffäre zu tun, in die es geschickt hineinmanövriert wurde.

Kein anderes Volk der Erde besitzt seit jeher so reiche Erfahrungen in der Behandlung der Mongolen wie die Russen. Seit langem träumen die Mongolen davon, ihre unter verschiedenen Herrschaftsgebieten aufgesplitterten Volks-teile wieder zu einem einheitlichen Staate zu vereinigen. Das weiß man in Moskau und versteht damit zu locken.

Die auf Kosten mandschurischen Gebietes weit nach Nordosten und Osten vergrößerte Satelliten-Innenmongolei schneidet tief in das mandschurische Ackerbau- und Industriegebiet in Richtung auf Korea ein. Ja, sie scheint das geographisch im Nordosten von Sowjetgebiet umgebene mandschurische Land vom übrigen China abschnüren zu wollen. An einem neuralgischen Punkt der längsten Landgrenze der Welt wird das alte asiatische Satellitenspiel Rußlands gespielt, dessen Ziele, von der Welt unter dem Eindruck des Koreakrieges kaum beachtet, sich immer unverhüllter zeigen.

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