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Zwischen Rausch und Genuß

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Alljährlich vollzieht sich in der Feier des W eih nachts festes gewissermaßen vor unseren leiblichen Augen das große Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes. Die Weihnachtskrippe ist der sinnfällige Ausdruck dieses Geheimnisses. Sie drückt bildhaft da® viel tiefer liegende Geheimnis aus. Die äußerste Armut des Stalles, die armen Hirten, die als erste gerufen werden, das große Geheimnis anziulbeten, sind Wirklichkeit und Symbol zugleich. Bleiben wir beim Symbol. Das ewige Wort, der Sohn des Vaters, steigt aus .der Herrlichkeit Seines ewigen mächtigen Daseins herab auf die Erde und begibt sich hinein in das arme, von Sünd’ und Leid gedrückte Dasein des Menschen. Er, der ewige Sohn Gottes, entäußert sich Seiner göttlichen, dem Verstände aller Irdischen unausdenkbaren Herrlichkeit und geht hinein in die irdische Vergänglichkeit, nimmt — die Sünde ausgenommen — das volle Menschengeschick an, so daß Er das menschliche Dasein von der Geburt bis zum Tode restlos mit den Menschen teilt.

Groß ist dieses Geheimnis vor allem auch deshalb, weil damit schon ausgedrückt ist, daß Gott die ganze Menschheit aufnehmen will in die Teilnahme an Seinem dreifältigen Leben, in das erlöste Dasein.

Der menschgewordene Sohn Gottes teilt das Los der unter den Folgen der Sünde leidenden Menschheit, Er teilt das Los der Armen .im vollen und -umfassenden Sinn dieses Wortes, denn arm und rettungslos verloren ist der Mensch vor allem in seiner Sündenverstrickung, die unzählige andere Übel nach sich zieht. Er hat unser Leben angenommen, um uns aus dieser Verlorenheit zu befreien und uns am Leben Seiner ewigen Herrlichkeit teilnehmem zu lassen.

Das und .nichts Geringeres ist der Inhalt der Wetonaditsbotscbaft. Wir stehen hier vor einem dem menschlichen Geiste unausdenkbaren Geheimnis, das für uns gläubige Menschen zwar geheimnisvoll, aber doch volle Wirklichkeit ist.

Die Liturgie, umramfct von. vielen Volksbräudien, an.gefan.gen vom Adventkranz bis zum Christbaum, die relativ jung sind — der Brauch des Li-chterbaumes ist ungefähr 200 Jahre alt und das Alter des Adventkranzes reicht kaum ein halbes Jahrhundert zurück —, vor allem aber die Krippendaristellungen, das Herbergsuchen in der Adventzeit, die Barbarazweige, die Rorateämter und die feierliche Mitter-, nachtsmette zeigen Höhepunkte des Kirchenjahres und des christlichen Glaulbenäbewußtseins an.

Nun drängt sich uns aber eine harte Frage auf: Haben wir aus den Zeichen der gläubigen Festfreude nicht Idole gemacht? Ist der Advent- kran.z mit seinen, Woche für Woche aufleuchtenden Kerzen nicht mehr bloß ein Tischschmuck? Knien wir vor der Krippe unter dem Chrdst- baum im Geiste noch vor dem wunderbaren Geheimnis der Menschwerdung unseres Herrn, oder wird uns die ganze Festfeier nicht mehr und mehr zu einem lauten weltlichen Fest, bei dem die kostspieligen Geschenke und der reichgedeckte Tisch da Idol sind, vor dem wir sinnend wachen? Dieses Idol wird uns schon wochenlang vor dem Fest von der Reklame to einem Lichterrausch angepriesen. Die Symbole des christlichen Glaubensgeheimnisses sind zu Symbolen -gemacht worden, die nur noch die Kauflust anreizen sollen. Die besinnliche Adventizeiit ist zur Zeit eines betäubenden Geschäftsrummels gemacht worden. Muß man hier nicht von einem „konventionellen Christentum“ reden, das, seines Glaübensgehaltes entleert, Ausdruck rein irdischer Lebensfreude ist? Man zähle dazu auch die Weihnachtsreisen und Aufenthalte an teueren Sport- und Winfterkurorten, die ebenso in erster Linie nur noch dem Genuß und der Unterhaltung dienen und vielleicht gerade noch am Rande die religiöse Feier des Weihnachtsfestes dulden. Di-ese weihnachtliche Folklore haben bereits Länder übernommen, diie den Glauben an das menschgewordene ewige Wort nicht kennen und sich darin ebenso wohl fühlen wie die Christen, die damit noch glauben, den Sohn Gottes anzubeten, der unseretrwegen arm geworden ist.

So ist unsere Feier dės 'Weihnachtsfestes überlagert von Äußerlichkeiten, die nicht nur nicht Zeugnis geben von unserem Glauben und von unserer Glaubensfreude, sondern. diese Glaulbensfreude in uns fast vollkommen verdunkeln und noch weniger für Außenstehende Zeugnis seto können.

Gewiß, man gedenkt gerade noch am Rande auch der Armen, veranstaltet Weihnachtsfeiern in Kranken- und Gefangenenbäusem. Wichtiger aber sind die eigenen Weih- nachtsetofcäufe, die schon Monate vorher .geplant und getätigt werden und von Jahr zu Jalhr anwaehsen, die kostspieligen Weolhnachtsreisen und die überfüllten Weihnachts- tische. Mitunter artet diese Feier auch unter Christen in wüste Trinkgelage aus.

Sind wir Christen uns . angesichts dieser Veräußerlichung und Verfälschung christlicher Festfreude unserer Verantwortung bewußt? Sehen wir ein, daß wir als Christen in der Welt unglaubwürdig geworden sind, wenn wir die Freude über die Menschwerdung Gottes so ver fälschen und verdunkeln, daß wir sie nur noch in diesen Äußerlichkeiten auszudrücken vermögen? Sind wir uns des Schwundes an Glaubens- substainz und Glaubenskraft bewußt? Können wir weiterhin noch ruhigen Gewissens so Weihnachten feiern?

Das Zweite Vatikanische Konzil hat viel von der „Kirche der Armen“

gesprochen. Die christlichen Gemeinden und die gesamte Kirche waren zu allen Zeiten Anwälte und Helfer der Armen, dem Beispiel Christi getreu, der unserefwegen arm geworden ist. „Kirche der Armen“ zu sein, ist gleichbedeutend, wie „Kirche Christi“ zu sein. Wenn es heute auch nicht viele Arme unter uns gibt, so wissen wir von der Armut und dem Hunger in der Weit, die Hilfeschreie der Millionen Hungernder und Dürftiger dringen an unser Ohr. Und gibt es nicht unter uns eine Not der alten Menschen, der seelisch Zermürbten, für die der Weihnachtsluxus kein Trost, sondern eher Grund zur Verzweiflung ist? Erwarten .sie nicht von uns das Beispiel gläubiger, innerlicher Herzen, die reich genug sind, auch Ihnen aus der christlichen Botschaft Hilfe und Freude zu bieten? Sind wir angesichts dieser Not „Kirche der Armen“, wenn wir das

Weihnachtsfest zu einem derartigen Rummel des Haben- und Genießen- wollens machen? Selbstverständlich wollen wir damit nicht sagen, daß wir die Hebung des allgemeinen Lebensstandards nicht begrüßen und als Wohltat dankbar annehmen. Es geht riieh um den Kampf gegen den besseren Lebensstandard, sondern um die geistige Haltung, die beurteilend und lenkend dahtotersteht. Der Sog des Konsum- und Geoußstrebens hat die meisten Christen schon mehr als in einem noch erträglichen Maße angekränkelt. Die Jagd nach Geld und Genuß läßt sie nicht mehr zur Besinnung kommen. Sie reibt die meisten von uns in der Vorfeier auf, anstatt ihnen Minuten der Besinnung zu geben, und die Festfreude erschöpft sich dann im Essen und Trinken und Ausschlafen.

Wir haben dieses hohe Fest und die stille, schöne Zelt der Vorbereitung zum Geschäfts-, Kauf- und Genußrurmmel gemacht. Ist es ein Wunder, daß wir das Staunen und stille Sinnen vor der Krippe verloren haben, das Wort des Herrn nicht mehr verstehen: „Ich bin gekommen, den Armen die FrohbGeschäft zu künden“, daß unser Glaube mehr und mehr seine Lebensmächtigkeit verliert, daß der christliche Idealismus dahinsiecht, weil wir selbst die Mitte unseres Lebens verlieren, anstatt uns anzustrengen, diese Lebensmitte in stiller Besinnlichkeit und in der Erhebung des Geistes zu den großen christlichen Idealen zu suchen und zu stärken.

Es geht uns nicht darum, dieses verweltlichte Treiben, diese säkularisierte Uradeutung des christlichen Festes zu ändern. Das wird auch nicht möglich sein. Aber wohl müßten wir ernste Überlegungen anstellen, wie das Weihnachtsfest unter Christen gefeiert werden so®. Ob die Symbole, die weithin ihres christlichen Gehaltes entäußert sind, ob die Art und Weise, dieses Fest zu feiern, nicht wenigstens unter uns Christen geändert werden sollten. Ob wir nicht überhaupt neue Symbole weihnachtlicher Feier suchen sollten, die sich deutlich von den bereits vollkommen kommerzialisierten abheben. Ob die christliche Weihnachtsfeier nicht wieder deutlicher den christlichen Glauben aus- drücken und betonen sollte.

Das erste muß dabei ohne Zweifel die stärkere Betonung der inneren Gesinnung sein.

Wir Christen müßten den Kampf gegen die immer unerträglichere Hast des Lebens, soweit sie von uns seihst verursacht wind, führen'. Und wir sind auch seihst daran schuld. Das steigende Angebot an Genuß- und Luxusgiütem, an Vergnügungs- und Brholungsmögüehkeiten bildet eine Versuchung, der viele unterliegen. Zurück zur Besinnung! Ein bewußtes Maßhalten und Sich-distan- zienen von der maßlosen Jagd nach immer mehr Geld, mehr Sozialprestige, mehr Genuß ist notwendig. Hier muß das Beispiel des airmen Christus den Christen formen. Hier 'muß der Christ an seiner Umwelt beispielhaft wirken. Die christlichen Feste, vor allem dias Weihnachtsfest, müßten wir wieder zu Tagen der Besinnung im persönlichen Leben, in der Familie machen. Die christlichen Gemeinden müßten dieses Bestreben nach suchen wirksam machen. Maß- haliten in Kleider-, Reise-, Vergnügungsluxus um des Beispiels christlicher Armut willen, Einfachheit und Bescheidenheit in der Lebensführung sind heute der christliche Beitrag zur Reform der menschlichen Gesellschaft.

Nur aus diesem Maßhalten, aus dieser Konsumaskese kann die Kraft des christlichen Idealismus erwachsen, die Kraft des Zedthafoens für Gott und für den Mitmenschen, die innere Offenheit für das Gute.

Christliche Weihnachtsfeier ist mehr, ist etwas wesentlich Verschiedenes von dem völlig säkularisierten Weihnachtsgetriebe unserer Zeit.

Erfreulicherweise ist ein neuer Frühling des kirchlichen und religiösen Interesses in der Laienwelt erwacht. Wird dieser Frühling auch die religiöse Lebensgestaitung erfassen? Werden die Christen sich bewußt von jenen ungesunden Erscheinungen der Gesellschaft von heute distanzieren, die den christlichen Idealismus in unserer Lebens- gestaltung vollziehen? Hier liegt die Schicksalsfrage des Christentums heute, hier die Zukunft des Christentums.

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