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Zwischen Ruinen

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Der Eine: Wie oft dachte ich an Sie im vergangenen halben Jahre. Gerade heute aber, da ich mich zu der Führung durch den Dom entschloß, die uns den Stand der Aufbauarbeiten zeigen soll, überrascht mich unser Wiedersehen.

Der Andere: So wie mich. Aber ist es nicht eigentümlich, daß wir wieder auf Trümmern zusammenkommen?

Der Eine: Gewiß. Ich habe es keineswegs vergessen, wie wir uns an jenem -Abend vor drei viertel Jahren auf der breiten Ausfallstraße begegnet sind. Es hatte fünfstöckige Häuser niedergerissen. Wir standen vor zusammenhanglosen Trümmern, toten Fassaden, sinnlos gewordenen Mauerresten. Aus dem Bombentrichter vor uns schössen buschhohe Flammen. Unaufhörlich züngelte weißliche Lohe aus dem unge-stalten Krater und übergoß das abendliche Dunkel der Gespensterstadt mit wildem Geflacker. Weithin blendete dieses scharfe Licht. Darüber wölbte sich trüber Dunst, der, Fratzen schneidend, in die Trümmer kroch.

Der Andere: Und als Sie eine Weile wortlos in die stechende Flamme geschaut hatten, wandten Sie sich zu mir und sagten, aus diesem groben Geflacker wachse ihnen eine Zeichnung entgegen, die einst ein großer Künstler und Deuter der Zeit geschaffen hat.

Der Eine: Ja, ich sah vor mir die drei grinsenden Fratzen der „Höllischen Trini-tät“ des Matthias Grünewald. Grauenvoll lebendig kam mir da entgegen der zerfressende Wahnsinn zügelloser Habgier, Anmaßung und Sinnlichkeit. In der kurzen Minute wurde mir das brennende Loch zum Sinnbild der Hölle. Ich dachte an die Visionen der heiligen Hildegard (Scivias), in denen sie das Ewige Feuer beschreibt. Die Flammen stiegen wild und zügellos aus der Tiefe. Es schrie etwas aus dieser brutal aufgerissenen Straße hinein in den nächtlichen Himmel, an dem ferne Sterne bunkerten und ein fein ziselierter Mond. Ja, ich weiß noch, es war mir im knatternden Rauschen dieses ungewöhnlichen Feuers im Erdloche, als stiegen Männer, wie Johannes Capistrano oder Abraham a Santa Clara aus ihrer Gruft und wiesen mit Knochenfingern vom Sinnbild des Höllenbrandes hinauf zum funkelnden Firmament.

Der Andere: Es ragten vor uns die Mauerreste eines hohen ausgebrannten Hauses. Zwei Balken hingen vor, gerad wie ein Balken. Und triumphierten als Instrument der Schmach über einen Hügel Schutt und eine unförmige Höhle, in der Abwässer gurgelten und Unrat stank. Als ein paar Wolkenfetzen vor grellem Mond vorbeitrieben, ragten die beiden Balken in den Himmel wie das Schandholz, an dem sie unseren Herrn und Heiland getötet haben. Über der grausigen Verwüstung sdiien Er ausgespannt zu sein, hackt und bloß, uqd in den Wolken glitt Sein Gewand dahin, daß sie Ihm vom Leibe gerissen hatten. Golgatha, o Golgatha! De r Eine: Ja, es war uns Mahnung und Zeichen. In seiner schauerlichen, elenden Trostlosigkeit ein aufrüttelndes Zerrbild des Kreuzes und der Passion des Gekreuzigten,

D e r Andere: Sie als Katholik und ich als Protestant waren eines Sinnes .und sind es noch, da auch mich das Schicksal Ihres armen, verwundeten Domes angeht.

D e r E i n e : Ja, gewiß, ist er doch das Haus des einen Herrn Jesus Christus, den wir beide anbeten ...

Der Andere: und den man durch die vielen beispiellosen Greuel der letzten Jahre verraten hat.

Der Eine: Vielleicht aber auch Sie und ich, da uns das Menetekel, das Gottes Vaterhand durch die vergangenen Geschehnisse riesengroß an unsere Wände schreiben ließ, auch uns, die wir glauben an Gottes Majestät, nicht die Augen öffnete und die gepanzerten Herzen sprengte, damit wir in die Knie sänken und Gott wegen unserer Lauheit und der Mißachtung, die Ihm so viele bereiten, inbrünstig um Verzeihung bäten, und weil wir nicht gemeinsam bisher den Weg des Friedens und der Versöhnung gegangen sind.

Der Andere: Sie glauben, daß unsere vereinten Gebete die Welt ändern würden oder sie wenigstens horchen ließe auf die Stimmen bedrängter Herzen, die Selbstsucht, Rachsucht und Machthunger im Einzelleben wie im Leben der Völker als sichere Führer zum Untergang ansehen?

Der E i n e : Ach nein, die Welt wird sich niemals ändern, und Stimmen des Herzens haben in der schrillen Symphonie unserer Tage keine Werbekraft. Aber es kommt kein Schicksal von ungefähr, und alles, was in der Welt geschieht, hat seinen Ursprung im Geist, im Innern. Die Not des Abendlandes begann aufzukeimen, als sich die Menschen im großen abwandten von Gott. Als sie anfingen, falsch zu visieren und nicht mehr Gott im Brennpunkt ihres Lebens stand, sondern die durch Entdeckungen neuer Weltteile erweiterte Erde und damit sie selbst, da bereitete sich schon der große Zerstörungs- und Zer-lösungsprozeß, in den wir heute schaudernd hineinsehen.

Der Andere: Mir scheint auch, daß Luther Ausmaß und Folgen seiner Reformation nicht gewollt hat. Die Erweichung des Christusglaubens zur Anhängerschaft an einen großen „ethisch wertvollen“ Menschen kann nie sein Wunsch gewesen sein.

D e r E i n e : Das ist wohl anzunehmen. Den Liberalismus auf geistigem und geistlichem Gebiete, wie er sich uns heute zeigt, kann er nicht erahnt haben.

Der Andere: Ebensowenig, daß vierhundert Jahre nach seinem Auftreten die Welt im ganzen dringender einer Reformation bedürftig werden würde als damals die Kirche.

Der Eine: Wir aber erkennen deutlich den Ernst der Stunde. Wir stehen unter dem Gericht. Noch ist es das des erbarmenden Gottes. Noch hängt es von unserer freien Entschließung ab, die rechte Ordnung der Werte in der Welt wieder herzustellen, uns selbst so einzustufen, daß gottgewollte Harmonie im Chor der Völker gepflegt wird. Einst aber wird das Schicksal des' Menschen unbestechliche Gerechtigkeit besiegeln und wohl denen, die dieses Urteil nicht tötet, sondern vollendet. Alles, was sich auf Erden begibt, begibt sich zwischen unserer Seele und Gott. Und es ist mit den Schicksalen der Völker nicht anders als mit uns selbst.

Der Andere: So müssen wir uns zu Ihm hin erneuern und wenn wir „die Welt“ auch nicht bekehren werden, immer wieder uns selbst zu dem Aufschwung von innen.

D e r E i n e': Und weil es immer eine „kleine Herde“ sein wird, die begreift, daß man Ihm folgen muß mit Selbstverleugnung, daß man die Rache Gott überlassen solle, und daß Neues nur reift aus dem Geiste hingebender Liebe, darum ist es notwendig, daß die wenigen von hüben und drüben zusammenfinden.

Der Andere: Das ist um so leichter, seit auch sie Christus als den Mittelpunkt ihres religiösen Lebens deutlicher werden lassen, als es noch vor Jahrzehnten geschah. Außerdem muß ich feststellen, daß auch die Katholiken jetzt „bibelfest“ werden und die Heilige Schrift besser kennen als früher.

Der Eine: Unsere Gelehrten, die Bibelforscher, gehen außerdem oft zusammen. Welcher katholische Bibeltextkritiker könnte das große Bibellexikon ihres Professors Kittel wohl entbehren?

Der Andere: Wir hingegen studieren jetzt mehr den Geist der Urkirche als den der Glaubensspaltung und im Zurückgehen auf die - Zeit der ersten Anfänge des Christentums in der Antike finden wir bei ihnen viel Widerhall. Mit großem Interesse habe ich das Paulusbuch des katholischen Professors Holzner gelesen.

Der Eine: Da haben Sie wohl auch festgestellt, wie er die protestantische Literatur über dieses Gebiet benutzt hat. Und sind Ihnen nicht durch das Hineinleben in den Geist der Urkirche die heiligen Texte nähergekommen, wie wir sie nach geregelter Satzung in der Liturgie verwenden?

.Der Andere: Ja, Tiefe, Schönheit und ihr Wahrheitsgehalt wird mir immer lebendiger, und der „Vollzug“ der Liturgie scheint mir eine unschätzbare Kraftquelle zur Bewältigung des Lebens unserer Tage zu sein.

Der Eine: Da kann ich Ihnen nur beipflichten. Geht es Ihnen nicht auch so, daß Sie die Lebendigkeit und Augenblicksnähe der Heiligen Schrift oft erschüttert? In den unheilvollen Jahren, da der Geist geknebelt war, die Herzen erstarrten und das Wort sich in den Imperativ brutaler Befehle zusammenzog, war es allein das Wort Gottes, das voll der Heiligkeit und Weisheit und erbarmenden Liebe unsere Tage erhellte. Wo anders gäbe es auch eine Inszenierung für das blutige Drama der Gegenwarts-Lu.Ytchte als vor dem Kreuz auf Golgatha?

Der Andere: Immer ist es das Zeichen der Schuld, das das Antlitz der Völker entstellt, der bitteren Schuld, Gott den Rücken gekehrt zu haben. Es erwachsen Unordnung und Leid in schauererregendem Ausmaße, wenn jahrhundertelang von allen Völkern an dieser Schuld gewebt wurde.

Der Eine : Immer erkennt man Zeiten der Gottesferne an beispielloser Mißachtung des fünften und auch des sechsten Gebotes, wie wir es ja eben erlebt haben. Darum ist es notwendig, daß das,, was im Naturgesetz schon gegeben ist, doch nochmals durch besondere Offenbarung den Menschen ans Herz gelegt wird. Das „Menschsein an sich“ verbürgt keine Pflege edler Menschlichkeit. Macht sich der Mensch hinter dem Rücken Gottes selbst zum Maß aller Dinge, dann krümmt er sich ausweglos unter dem Kreuz ohne den Gekreuzigten, unter der Schmach ohne Sinn, unter der Beschwörung ohne Inhalt.

Der Andere: Und es heult die Kreatur auf unter dem Wüten entfesselter Mächte, dem blinden Vernichtungstrieb der Dämonen, und zerfleischt sich schließlich ganz im Aberwitz raffiniert überfeinerter Technik.

Der Eine: Wofür die Zerstörung dieses Domes ein kleines Beispiel bietet. Woran Jahrhunderte in Demut und Ehrfurch: gläubig und betend gebaut haben, konnten

Minuten der Selbstvergottung und Frechheit zynisch und boshaft vernichten. Als ich mich an jenem unvergeßlichen 13. April j an eben dieser Stelle befand, wo es noch I schwelte und brandelte und dichte Wolken von Asche und Staub aus diesen Trümmern fuhren, da war es mir, als hätte unser Heiland Jesus Christus die Kulissen dieses Domes auseinandergeschoben, damit wir wieder Ihn ähen, wie Er immer noch durch die Jahrhunderte hindurch nackt und blutend am Kreuze hängt. Damit wir uns nicht verflachten durch Hülle und Schein, nicht hängen blieben in Zeremonie und Brauch, damit wir im Gott am Galgen das Ausmaß der hingebenden Erlöserliebe wieder erführen, damit wir, die wir auf Ihn getauft sind, in der Nachfolge Christi, die ist verschwendende Liebe, Liebe ohne Glanz, Liebe ohne Illusion, Liebe ohne Vorbehalt, sühnten die große Schuld der Menschen.

Der Andere: Ja, auch mir gab es den Stoß ins Herz, als ich das Wahrzeichen der Stadt, den ehrwürdigen Stephansdom, so, voller Wunden sah. Und dachte mir: Gott schweigt und schweigt und schweigt, beredt und anklagend, in dem Lärm der Welt, die Ihn nicht kennen will.

Der Eine: Wir aber wissen: unsichtbar waltet Seine Gftade, unspürbar ragt Sein Kreuz, unmerklich den Sinnen blüht Seine Glorie.

Der Andere: Unerschütterlich stehen Seine Treue und Sein Erbarmen über der verführten, gepeinigten Welt.

Der Eine: Unendlich strömt Seine Liebe über unsere Wunden und unsere Not; für jeden wahrnehmbar, der aus dem Glauben, aus echtem Christusglauben, lebt.

Der Andere: Ob wir Protestanten oder Katholiken sind, wenn nur unser Glaube Berge versetzt, die Berge von Haß und Fanatismus über den Menschenherzen, dann ist zu hoffen, daß wir einer lichteren Zukunft entgegengehen.

D e r E i n e : Beten wir miteinander, daß wir aushalten in der Bedrängnis, ohne bitter zu werden, daß wir in der harten Nüchternheit der Gegenwart nicht aufhören zu hoffen auf die Erfüllung des Lebens und daß wir die Kälte der Welt zu durchlieben imstande sind an dem winzigen Punkte, den wir behaupten.

Der Andere: Lassen wir nicht nach, vereint Christus zu bestürmen, Sein Geist möge noch einmal das Dunkel dieser Weltzeit erleuchten.

D e r E i n e : Ja, tun wir das und flehen wir: Herr, lösch die Leuchte nicht in unserem Land!

Und laß Dein Haus in unserm Volk nicht

wüste werden. Du hast uns ja erwählt zu Deinem Tag vor mehr denn tausend Jahren.

Das Gotteslicht sei Weiser uns zu Deiner gottverborgenen Herrlichkeit, Daß unserm Volk der Zeitenbruch zur Weltenwende werde hin zu Dir.

Nur Du allein kannst starre Herzen lösen und führen hin zu Dir, daß Deine Gnade in allen Seelen brenne als Dein ewig' Licht.

O Herr! Drum lösch die Leuchte nicht in unserm Land!

Und laß in unserm Volk Dein Haus nicht wüste werden!

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