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Zwischen Skepsis und Gefühl

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Er liebt schwere süße Weine, eine bestimmte Sorte Filterzigaretten, die Ruhe und die Nachtarbeit. Wenig liebt er Korruption, die Wiener Festwochen, Hofräte h. c. und die „Freunderlwirtschaft“: Reinhard Federmann, Schriftsteller und Mitglied des PEN-Clubs, geboren 1923 in Wien, zu V* Österreicher und zu lU Jude, ansonsten Kosmopolit und seit zwei Jahren ansässig in München.

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Er liebt schwere süße Weine, eine bestimmte Sorte Filterzigaretten, die Ruhe und die Nachtarbeit. Wenig liebt er Korruption, die Wiener Festwochen, Hofräte h. c. und die „Freunderlwirtschaft“: Reinhard Federmann, Schriftsteller und Mitglied des PEN-Clubs, geboren 1923 in Wien, zu V* Österreicher und zu lU Jude, ansonsten Kosmopolit und seit zwei Jahren ansässig in München.

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Es ist eine wirre Zeit, die mit seiner Person in unser heutiges Sattsein herüberreicht: die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen, das Aufgehen Österreichs im Deutschen Reich, die Katastrophe des zweiten großen Weltbrandes, und schließlich der völlige Zusammenbruch. Und es sind die daraus resultierenden Erlebnisse, welche in seinen Erzählungen und Romanen immer wiederkehren. Verschlüsselt oft, hineingepflanzt in eine andere Umgebung, in andere Verhältnisse, aber doch unverkennbar. Der Bruch, welcher neue Grenzen aufriß, um Alt-Österreich zu Neu-Österreich zu machen, hier wird er deutlich. Und keineswegs vernarbt, vermag er sich mit ständig neuen Gestalten einer dichterischen Phantasie zu füllen. Trotzdem verharrt der Schriftsteller nicht in jener wehmütigen „Alles-ist-hin-Stimmung“, wie er sie selbst in seinem letzten Buch „Wiener G'schich-ten — Geschichte Wiens“ als charakteristisch für das Nachkriegsösterreich beschreibt: „Bei der älteren Generation zart, elegisch und in unerfüllten Sehnsüchten schwelgend, bei der jüngeren amüsiert, aber nicht uninteressiert.“ Federmann spricht im Gegenteil von Österreichs Gegenwart ohne jede Sentimentalität: „Der Österreicher hat von sich eine zu hohe Meinung, die auf einer ererbten Vergangenheit beruht. Dieses „mir san mir“ resultiert aus einer gewissen Trotzhaltunig, die veränderte Gegebenheiten nicht wahrhaben will.“

Reinhard Federmann bewohnt mit seiner Frau und dem sechzehnjährigen Sohn (die Tochter ist in Wien verheiratet) ein modernes Appartement in einem modernen Wohnblock in Schwabing, einst Münchens Künstlerviertel, heute Münchens Vergnügungsindustrie. Das Mobiliar ist unpersönliche Konfektion — nichts deutet auf ererbten, altösterreichiscben Familienbesitz. „Die Teppiche, Bücher und sonstige Gegenstände aus der Wohnung meiner Eltern habe ich im Jahre fünfundvierzig nach dem Tode meines Vaters verkauft beziehungsweise getauscht, denn um Bargeld war damals ja nachts zu bekommen. Das half mir über die ersten Jahre.“ Reinhard Federmann sitzt an seinem Schreibtisch, hinter ihm und um ihn zahlreiche Bücher gestapelt, hauptsächlich eigene Veröffentlichungen. Allein von der Zahl her zu schließen ist sein schriftstellerischer Eifer enorm: Erzählungen, Romane, Hörspiele, Theaterstücke, Sachbücher, Ubersetzungen! Die Stärke Reinhard Federmanns — welche vielleicht eine Schwäche zur Folge hat — liegt in seinen packenden Schilderungen, der sozusagen „hautnahen“ Beschreibung. Stärke deswegen, weil sie stets die Essenz, das Wesen der Dinge trifft. In einer flüssigen, schönen und teilweise sehr poetischen Sprache. Sie gibt dem Leser das Gefühl: So ist es gewesen. Schwäche darum, weil ihm vielleicht gerade diese Lust am Beschreiben einen derart umfangreichen Themenkreis diktiert. Weshalb man ihm auch des öfteren Verzettelung vorgeworfen hat. „Es gibt Leute, die es dem Schriftsteller übelnehmen, wenn er sich nicht wie Hieronymus im Gehäuse • ausschließlich hehren Gedanken widmet, sondern sich auch auf praktische Dinge einläßt. Wovon er leben soll, zum Beispiel. Ziel und Zweck meines Schreibens liegt natürlich nicht in Übersetzungen, Sachbüchern oder Spannungsromanen, sondern ton großen Zeitroman.“ Wie er ihm mit dem „Himmelreich der Lügner“ geglückt ist. In der Gestalt des Studenten Schindler, welcher im Februar 1943 Wien verlassen hat, um bei seiner Rückkehr nach 20 Jahren in der Erinnerung nochmals jene Ereignisse zu erleben, die nun bereits Vergangenheit sind, ist viel Autobiographisches enthalten. Das Grundthema dieses Romans ist das Grundthema des Schriftstellers' Reinhard Federmann schlechthin, welches ihn bereits in seinem ersten Roman: „Weltbürger im Niemandsland“, der nie gedruckt wurde („zugegeben, der Titel erscheint mir heute etwas übertrieben“) beschäftigt hat: das Schicksal des Heimatlosen, Getriebenen. „Ich war irrsinnig gewesen, nach Rußland zu fahren. Aber wohin hätte ich sonst fahren sollen? Nach Frankreich, damit mich jetzt die Deutschen als Hochverräter erschossen? Nach Amerika, um den Eingesessenen die Schuhe zu putzen? In die Schweiz, um als neudeutscher Bürger hinter Stacheldraht gesetzt zu werden? Uberall war Stacheldraht, und wo in der Welt war Platz für einen wie mich?“ sagt Schindler, welcher vor den Nazis nach Rußland geflüchtet war, um dort verhaftet zu werden. Und im Heft 10 von Otto Basils „Plan“ schreibt er über die seelisch-geistig Isolation: „Der Künstler steht allein im Raum. Immer. Ohne Hilfe, ohna Verbindung zu dem Du, mag ihm ein Du noch so nahestehen, die letzte Brücke findet er nie.“ Fügt jedoch hinzu: „Übrigens darf er sie gar nicht finden, sonst wäre sein Betriebskapital — die Unersättlichkeit — tot.“ Was wiederum einer Bejahung gleichkommt.

Neben diesem äußeren „Weltbürgertum“, weches zu einer inneren Isolation und Beziehungslosigkeit führt, ist es noch die Gesinnungslumperei, das „sein Fähnchen nach dem Wind stecken“ und „das Parteibüchel wechseln“, / welches * in Reinhard Federmanns Romarjan eine besondere Rolle spielt. Ausschlaggebend dafür sind die Jugenderlebnisse. Bereits als Kind im antinazistischen Sinn erzogen, „mußte ich später gegen jene schießen, denen ich im Grunde alles Gute wünschte“. Und in der russischen Kriegsgefangenschaft fühlte er sich trotz Hungers und Unterernährung wohler als in der deutschen Wehrmacht. Sympathien für die „Feinde“, die ihn allerdings nicht dazu bringen konnten, „einer der Ihren zu werden“.

Ende 1945 wird Reinhard Federmann als arbeitsunfähig aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrt in das Nachkriegs-Wien zurück. Seine Eltern sind tot, viele seiner Freunde verschollen. Die Lage ist trostlos. Aber die junge Generation will gehört werden. Federmann veröffentlicht im „Plan“ erste Beiträge. Polemiken und Prosa in Tageszeitungen folgen. 1947 heiratet er, 1948 macht er in Wien bereits von sich reden, 1949 wurde im damaligen „Theater für 48“ am Naschmarkt „Der Weg zum Frieden“ aufgeführt, und 1950 im Volksheim Margareten das Stück „Narr und Welt“.

Anfang der fünfziger Jahre beginnt Reinhard Federmann mit Milo Dor zusammenzuarbeiten. Vorerst sind es Polemiken, später ein erster Gemeinschaftsroman „Internationale Zone“ (ein gut geschriebener Reißer), welcher zugleich zum ersten internationalen Erfolg wird. Das Team Federmainn-Dor sammelt weitere Lorbeeren: der Roman „Romeo und Julia in Wien“ wurde unter dem Titel „Nina“ 1955 verfilmt, der Roman „Othello von Salerno“ wurde als „Der Weg nach Salerno“ 1956 im Theater am Kurfürstendamm in Berlin und später im Wiener Theater im Konzerthaus aufgeführt. Außerdem entstanden etliche Sachbücher und Hörspiele in Gemeinschaftsarbeit, darunter „Das Gesicht unseres Jahrhunderts“, ein Bildband, erschienen im Forum-Verlag in Wien und dem Econ-Verlag in Düsseldorf. Die Hörspiele „Die Verwechslung“ und „Das Haus auf dem Hügel“. Auch Ubersetzungen aus dem Serbokroatischen wurden zusammen durchgeführt, wie beispielsweise von Ivo Andric „Der verdammte Hof“, und serbische Zigeunerlieder unter dem Titel „Mond überm Zigeunerwagen“. Erst durch diese Zusammenarbeit sind beide Autoren wirklich bekanntgeworden. Was allerdings die jeweilige Individualität nicht zu schwächen scheint. Reinhard Federmann beendete einen zweiten großen Roman, welcher demnächst bei Langen-Mül-ler erscheint: „Herr Felix Austria und seine Wohltaten zwischen 1.950 und 1963.“ Und das Theaterstück „Die Türken kommen“ (Im Theater wird Theater gespielt: Die Proben des Bühnenstückes „Die Türken kommen“ spiegeln die politischen Veränderungen in Österreich seit 1938) wurde vergangenen November im Theater an der Wien aufgeführt. *

Vieles hat sich seit den ersten Nachkriegsjahren verändert. Wir leben in einem Wohlfahrtsstaat, und was es damals zuwenig gab, gibt es jetzt zuviel. Reinhard Federmanns agres-sive Polemiken sind einer etwas distanzierteren Skepsis gewichen. „Als junger Schriftsteller glaubt man, etwas sagen zu müssen, einen besonderen Auftrag zu erfüllen — jetzt erscheint mir diese Ansicht als plumpe Naivität.“ Trotz einer derartigen Erkenntnis hat es Reinhard Federmann natürlich nicht aufgegeben, etwas sagen zu wollen, aber „man ist wirksamer, wenn man indirekt ist“. Er läßt den politischen Aspekt, welcher in seinen frühen Romanen eine hervorragende (wenn auch nicht überragende) Rolle spielt, mehr und mehr in den Hintergrund treten. „Man hat die Politik zum Popanz des Volkes gemacht, statt sie zu vermenschlichen.“ Reinhard Federmann gehört wohl zu jenen Menschen, die sich über ein besonders empfindliches Gemüt durch besonders aggressives Revoltieren ebenso wie durch eine besonders reichliche Portion Skepsis hin-weghefen — oder es verneinen möchten.

Wie es ihm in München gefällt? Recht gut — vor allem ließe sich hier wesentlich besser arbeiten als in Wien, da jene „Fülle unproduktiver Beziehungen“ fehle, die ihm eine richtige Konzentration in Wien erschwere. Außerdem gäbe es in Deutschland mehr Verlage — und die Unterredungen verliefen sachlicher. Trotzdem fährt Herr Pedermann durchschnittlich einmal im Monat nach Wien, wo er sich eine kleine Wohnung hält...

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