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Zwischenlandung

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Der Leser legt Stefan Andres' letzten Band der Sintfluttrilogie „Der graue Regenbogen“ — trotz aller zeitweiligen Faszination und der unbestreitbaren Qualitäten des Buches — schließlich einigermaßen unbefriedigt aus der Hand. Doch bedarf es, um diese Reaktion verständlich zu machen, eines kurzen Rückblicks auf die früheren Bände, an deren Geschehnisse und tragende Gestalten Andres im „Grauen Regenbogen“ anknüpft.

Wie der Autor in der Einleitung zum ersten Band „Das Tier aus der Tiefe“ selbst sagt, wollte er in seinem breitangelegten Werk „das Zeitgeschehen . .. mit dem Kunstmittel der Analogie auf die Ebene der klaren Anschauung und leidenschaftslosen Betrachtung“ erheben. Da wird nun zunächst das atem-beklemmende Bild eines genormten Massenstaates beschworen, wie wir ihn ähnlich aus der Vergangenheit kennen. Eines Staates, der den Menschen bewußt auf die Grundlagen des Tieres reduzieren, der ihn „erlösen“ will von der Freiheit und Qual des Gewissens, um ihn dafür zu beschenken mit Sicherheit, Ruhe und Ordnung, wie das System sie versteht. Der „Normer“, ein Extheologe, steigert sich bewußt in die Rolle des Heilsbringers, des Gottmenschen, der eine neue Theo-kratie aufrichtet, freilich eine ohne Gott, in der dieser nur noch als politisch-moralischer Handlanger zugelassen ist.

Im zweiten Teil der Trilogie „Die Arche“, tritt dann eine Gegenwelt der Norm in den Mittelpunkt der Geschehnisse, nachdem das inzwischen konsolidiene totalitäre System mit der rigorosen Vernichtung der „Abramiten“ und aller jener Elemente begonnen hat, die sich außerhalb seiner Ordnung zu ßtellen wagten. Aber hier nun deutet sich eine quälende Ratlosigkeit gegenüber den geschilderten Geschehnissen an. Jene Gegenwelt der „Arche“, die 6chon im ersten Teil der Trilogie auftauchte, hat sich in Berlin nach 1933 wieder zusammengefunden, jedoch, trotz der wachsenden Gefährdung, nichts von ihrem inselhaften, allzu privaten Charakter verloren. Selbst ihre Mitglieder haben die verschiedensten Vorstellungen von dem Sinnbild, unter dem sie sich sammeln, und alle verlieren immer mehr das Vertrauen in den Sinn und die Sicherheit einer Arche. „Was heißt das, gerettet werden, wenn es auf dem Wasser des Todes geschieht...“

In zunehmendem Maße scheint der Autor, von den Schrecknissen der historischen Wirklichkeit überwältigt, zu Deutungen und Antworten nicht mehr fähig. Doch schälen sich zwei Dinge als für ihn wesentlich heraus. Das eine ist die Kostbarkeit des Individuums, die in einer Zeit, in der der Einzelmensch immer weniger gilt, statt gepredigt gelebt werden muß. Das zweite ist die Tatsache des Kreuzes, zu der Andres nicht nur Lorenz Gutmann, eine seiner Hauptfiguren, sich bekennen läßt, sondern auch den „Dynamitbruder“ Assessor Kruse, einen destruktiven Geist, der Gewalt mit Gewalt beantworten will.

Wenn man in diesem Buch von einer Antwort auf die bedrängenden Fragen der Zeit sprechen kann, so ist es diese:

,./(! sagen zu dem, was uns geschieht. . Nein, nicht einmal ja zu sagen — es einfach ah selbstverständlich aus Seiner Hand hinnehmen! Und gar keinen Unterschied mehr machen zwischen Seinem und unserem Willen . . .“

Die Hilflosigkeit gegenüber den Zeitereignissen und gegenüber den in der menschlichen Natur angelegten Abgründen, die sich in diesem zweiten Band anzudeuten beginnt, nimmt in dem letzten uns hier vorliegenden noch schärfere Formen an. Die den mannigfachen Verhängnissen entkommenen Übriggebliebenen der „Arche“ erweisen sich bei der Rückkehr in die durch einen chemischen Krieg geistig gelähmte, vom „magischen Schema“ des Normers immer noch infizierte Heimat als „gestrandete Existenzen“. „Ich glaubte an den Ursprung, daß er sich wieder auftue — uns, weil wir so am Ende, so in jeder Hinsicht vernichtet waren,tsind! Aber nichts! Nur Ablauf, schicksalsmechanischef,-„Ablauf des Gleichen. Neue Kleider, neue Moden, neue Gesetze, neue Entdeckungen, neue Waffen, neue Schlager, neue Bücher, neue Gesichter. Nur eins wird nicht mehr neu: wir — wir!“

Nicht nur die Umwelt, in die diese Emigranten heimkehren, ist verdorben, von einem echten Neubeginn weit entfernt. Auch sie selbst verstricken sich in neue Schuld und Konflikte, verfallen der Angst von einer unabwendbar scheinenden, noch schlimmeren Katastrophe.

Aber nicht diese, teils in Gleichnisse und Sinnbilder gekleidete Analyse der dunklen deutschen Gegenwart mit ihren ungelösten Fragen und Problemen, und auch nicht die persönlichen Schicksale und Irrwege der früheren Arche-Bewohner, lösen das Unbehagen des Lesers aus, sondern der doch recht banale Ausweg, den Stefan Andres anbietet. Es gibt da eine doppelte Flucht: einmal die der „neuen Kyniker“, die der Assessor Kruse so begründet: „Wenn wir uns versagen, wenn wir uns. .. verdrücken wollen, so doch nur, weil wir wissen, daß wir abgemeldet sind.“ Und fragwürdiger noch der Weg „in den Wald“ einiger Arche-Bewohner, den Lorenz Gutmann mit dieser Schilderung seiner zukünftigen Frau schmackhaft zu machen versucht:

„Wald, Bach, warme Stuben, einfache Möbel, selbsterzeugtes licht, selbstgebackenes Brot, die Wände aus Büchern, die langen Abende, die in die richtige Entfernung gerückte Welt, welche man aber nicht aus dem Auge verliert, diese gefährliche und gefährdete Welt. Sie wird nicht verachtet, wie einst in den Klöstern, nicht geschmäht, wie in den Zirkeln der Moralisten; sie wird liebevoll betrachtet, ohne etwas von ihr' zu verlangen. Und man informiert sich: etwa aus dem Fernsehgerät, aus Büchern. Nein, man geht nicht aus der Welt fort, man tut nur einen Schritt zurück — tiefer in die geistige und wirtschaftliche Unabhängigkeit, in die Eigenständigkeiten .,.“

Es fehlt dieser Idylle auch nicht die Felsenhöhle, die mit den modernsten technischen Mitteln so ausgestattet werden soll, daß man in ihr schließlich auch „einen Teufelskrieg der neuesten Mode“ überstehen kann!

Das alles ist doch reichlich billig und verstimmt bei einem Autor wie Andres, den man ernst zu nehmen gewohnt und gewillt ist.

Im ersten Band der Sintflutromane war noch die Gewißheit da, daß die schlichte und feste Haltung des in Gott gegründeten Menschen ein Schutzwall sei gegen die Gefahren der Zeit. Im „Grauen Regenbogen“ ist zwar noch sehr viel von Gott die Rede. „Gott kommt bei mir viel zu oft vor“, sagt Lorenz Gutmann, der immer in Gefahr ist, sich eine „Theologie nach Maß“ zurechtzumachen. Ja, auch die Gott-Mensch-Beziehung verflüchtigt sich hier ins Private und manchmal ins Unverbindliche.

„Es ist schwer, aus einem Ende zu stammen und doch Anfang zu sein“, heißt es in einer ii&r “in die Handlung verwobenen Noah-Legenden — ein 'Wort, das als Leitsatz über dem ganzen Buch stehen könnte/ Auch in formaler Hinsicht hat der Roman Schwächen; er ist allzusehr von Reflektionen und allegorischen Meditationen beschwert. Andres verstand sich in früheren Büchern so gut auf das freie Spiel der Phantasie. Aber vielleicht braucht es1 mehr Abstand, um die eigene Zeit im Zauberspiegel der Poesie einfangen zu können.

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