1476 - Es lebe die Mittelwelle

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Seit März 1997 versorgt "Radio 1476" über Mittelwelle halb Europa mit Information und Unterhaltung aus Österreich. Jetzt wird ein grenzüberschreitendes EU-Projekt gestartet.

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Seit März 1997 versorgt "Radio 1476" über Mittelwelle halb Europa mit Information und Unterhaltung aus Österreich. Jetzt wird ein grenzüberschreitendes EU-Projekt gestartet.

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Die Idee ist einfach: Jungen Journalisten aus Österreich sowie Minderheiten sollte es ermöglicht werden, selbst Radio zu machen. Mit dieser Idee ging vor eineinhalb Jahren "Radio 1476", eine Kooperation des ORF mit dem Wiener Volkshochschule "Polycollege Stöbergasse", via Mittelwelle auf Sendung. Nachdem der ORF 1995 seine Mittelwellenprogramme eingestellt hatte, regnete es Proteste. Im benachbarten Ausland waren Neuigkeiten aus Österreich nämlich immer beliebt.

"Zur Zeit des Kalten Krieges waren die Mittelwellensender des ORF eine verläßliche Informationsquelle für die Menschen im östlichen Europa. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs schien diese Funktion nicht mehr so notwendig." Rainer Rosenberg, Leiter der Abteilung Spezialprogramme im ORF, war einer der Initiatoren für die Wiederaufnahme des Sendebetriebes. Gemeinsam mit Herbert Depner vom Polycollege Stöbergasse entwickelte er ein neues Konzept. Das Ergebnis ist nun täglich von 18 Uhr bis 0.08 Uhr auf der Frequenz von 1476 kHz zu hören. Neben den Journalen von Ö1 und Radio Österreich International bringt "Radio 1476" täglich Programm von 15 selb-ständigen Gruppen. So nutzen etwa das Wiener Publizistikinstitut, die Akademie der Wissenschaften oder die Europäische Journalismusakademie Krems die Möglichkeit, bei diesem "education radio" mitzuarbeiten.

Andere Gruppen gestalten Sendeformate wie "Radio Roma" oder "Freak Radio" und bedienen damit in Österreich lebende Minderheiten. "Radio Schöpfwerk" bringt Interessantes aus dem Kommunikationszentrum "Bassena" am Schöpfwerk, und auf der "Tribüne Afrikas" gibt es Informationen für die afrikanische Bevölkerung Österreichs. "Auch das Uni-Radio ,U-Ton' ist zu einem fixen Bestandteil geworden." Publizistikprofessor Thomas Bauer, Vater des Uni-Radios: "Dieses Radio ist bewußt nahe an der Einfachheit der empirischen Wahrheit und wenig interessiert an den polierten Effekten des technisch gestylten Radios. Das Ziel ist, Relationen zu schaffen, für Themen Aufmerksamkeit herzustellen, die in quotenorientierten Medien untergehen. Zugleich ist ,U-Ton' auch eine Praxisfläche für junge Journalisten."

Als sogenannten "Offenen Kanal", bei dem jeder Beiträge uneingeschränkt produzieren und senden kann, sieht sich "Radio 1476" allerdings nicht: "Unsere Sendegruppen sind zumindest halbprofessionell. Die einzelnen Gruppen organisieren sich selbst, die daraus entstehenden Sendungen unterliegen grundsätzlich keinen Regeln. Sie müssen aber den Programmrichtlinien des ORF entsprechen", sagt Depner. "Junge Journalisten, die am Ende ihrer Ausbildung stehen, haben natürlich die Möglichkeit, mitzuarbeiten." So will man die Journalisten-Ausbildung in Österreich fördern. Ausbildungswege zum Radiojournalisten werden seit Anfang der 90er Jahre am Polycollege angeboten. "Diese Kurse sind gut besucht", meint Herbert Depner. Neuester Trend dabei ist die Ausbildung zum "Online-Redakteur", die sich mit dem Internet beschäftigt.

So wird bei "1476" Altes mit Neuem verbunden. "Unsere Sendeanlage am Bisamberg stammt teilweise noch aus den 30er Jahren", erzählt Rainer Rosenberg. "Bei uns wird alles verwendet: vom ausgemusterten ORF-Regieplatz bis zum volldigitalen Studio. Die ganze Radiogeschichte ist bei ,1476' vereint". Deshalb ist der Sender nicht nur im Äther, sondern auch rund um die Uhr im Internet präsent (www.polycollege.ac.at/1476). Kosten müssen aber gering bleiben. Die über 300 Mitarbeiter arbeiten daher ehrenamtlich.

Für ein neues, grenzüberschreitendes Projekt ist die Finanzierung aus EU-Töpfen aber bereits gesichert. Gemeinsam mit Partnern in Triest und Sarajevo soll eine internationale Redaktionszusammenarbeit und Journalistenausbildung für Radio und Internet entstehen. "Beginnende Journalisten werden dabei in dreimonatigen Kursen am Polycollege in Wien ausgebildet", sagt Herbert Depner. Die Kurse werden aus EU-Förderungen bezahlt, die mit zwei Millionen Schilling den Projektbestand bis Ende 1999 sichern. "Gleichzeitig werden ,Radio 1476' in Wien, die RAI in Triest und ,Radio 202' in Sarajevo die Beiträge des Nachwuches senden." In Zukunft soll ständiger Austausch zwischen den drei Stationen und zwischen den Kursabsolventen stattfinden. "Das Ziel ist ein direkter Austausch zwischen europäischen Regionen", streicht Rosenberg heraus. "Es können dann z. B. Nachrichten aus Sarajevo in Wien, oder Nachrichten aus Wien in Triest gehört werden. Und das in den Sprachen Deutsch, Englisch, Bosnisch und Italienisch."

Dieses "Bürgerradio in Mitteleuropa", wie das Projekt genannt wird, soll den EU-Beitrittkandidaten Neugier auf Europa machen und helfen, alte Vorurteile abzubauen. Vorerst wird das Vorhaben im Städtedreieck Sarajevo-Triest-Wien laufen, später dann auch in anderen Ländern. "Wir bekommen enorm viel Hörerpost aus den skandinavischen Ländern, aber auch aus Italien oder Deutschland", sagt Rosenberg. "Früher oder später wird es sicher auch Kooperation mit Prag oder Belgrad geben."

Bereits im Dezember tritt ein weiterer Aspekt kommunikativer Vernetzung auf den Plan: Die kulturelle Integration des Städtedreiecks. Künstler in den drei Städten werden über Internet eine Woche lang an dieser Veranstaltung teilnehmen können. Höhepunkt: ein digitaler Runder Tisch mit Teilnehmern in den drei Städten.

Daß diese kulturelle Integration am Küniglberg höchste Priorität besitzt, bestätigt der neue ORF-Generalintendant (und frühere Hörfunkchef) Gerhard Weis: "Wir wollen das Projekt nach dieser gelungenen Pilotphase in der nächsten Zeit noch etwas stärker verankern. ,Radio 1476' ist ein wirklich bürgernahes Kleinmedium und hat der gesamten Radioszene neue Impulse durch neue Mitarbeiter gegeben." Das Risiko, daß auch bei der ORF-Konkurrenz gut ausgebildete junge Mitarbeiter landen, nimmt Weis in Kauf: "Der Journalismus, der in ,1476' betrieben wird, findet mit den Möglichkeiten, die rein kommerzielles Radio bietet, kaum sein Auslangen."

Bei "Radio 1476" denkt man ob des vielen positiven Echos an die Zukunft. Schließlich will der Sender weiterhin jungen Radiotalenten qualitativ hochwertigen Journalismus nahebringen. Gerhard Weis ist überzeugt, daß Radio heute mehr sein kann, als bloße Berieselung. "Viele junge und auch ältere Menschen sind daran interessiert, via Radio inhaltlich zu kommunizieren und Journalismus zu betreiben. Bei ,1476' arbeiten nur Menschen, die wirklich wollen", sagt der ORF-General. Und: "Begeisterung ist der Eintrittspreis, Erfahrung der Lohn."

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