Achtung, Snaparazzi!

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Bürger-Journalisten und Handy-Voyeure: Mit den Kamera-Handys verändert sich die Kommunikationslandschaft dramatisch.

Der Fall aus Göteborg mag ungewöhnlich sein, aber er ist auch wieder bezeichnend dafür, dass die Generation der Kamera-Handys eine neue Epoche einleitet. Mit diesen Geräten nämlich bekommt das Internet Augen und die Kommunikations-Landschaft wird dramatisch verändert. Eine Art "Bürger-Journalismus" kann entstehen, formuliert beispielsweise der amerikanische Technologie-Autor Howard Rheingold.

Göteborg: Dort stürmte eines Abends, kurz vor Geschäftsschluss, ein Jugendlicher - ein Messer drohend in der Hand - in das Juweliergeschäft von Sam Gedeon und verlangte die Herausgabe der Kasse. "Moment", sagte der Juwelier, "das Geld ist oben - ich hole es." Zurück kam er mit einem kleinen Bündel Geldscheinen und seinem Kamera-Handy. Mit diesem fotografierte er unbemerkt den Täter, der sich schnell auf und davon machte. Der Juwelier alarmierte die Polizei, doch bevor die eintraf, druckte er das Foto des Täters, mit seinem Nokia-Handy aufgenommen, aus. Mithilfe dieses Fotos konnte der Täter schon 30 Minuten nach dem Überfall in einem nahe gelegenen Café festgenommen werden.

Schnappschuss ins Web

Die Qualität derartiger Handy-Kameras mag derzeit noch zu wünschen übrig lassen - für Schnappschuss-Porträts jedoch, die man auch von Handy zu Handy schicken kann, ist sie ausreichend. Sie genügt auch für die Versendung solcher Fotos via E-Mail, also per Internet.

Außerdem wird diese Qualität, da darf man sicher sein, von Monat zu Monat verbessert.

Das Bostoner Prognose-Institut Strategy Analytics (Boston) veröffentlichte soeben eine Studie, derzufolge in diesem Jahr weltweit 42 Millionen Kamera-Handys gekauft werden. Diese Zahl dürfte bis zum Jahr 2008 auf 218 Millionen steigen. "Letztlich und irgendwann", urteilt dazu Peter Bodor von Sony Ericsson, "wird es nur noch Handys mit der Kapazität, Fotos oder Videos zu machen, geben."

Eine Kamera hat der durchschnittliche Bürger nur selten bei sich - ein Handy aber fast immer. Womit das Internet buchstäblich Augen erhält. Denn drahtlos lassen sich mit Kamera-Handys aufgenommene Fotos sofort in alle Welt schicken. Und das verändert zweifellos die Kommunikations-Landschaft.

Knochenbruchfoto ans Spital

Ein Verkehrsunfall etwa kann als Fotodokument sofort an die Versicherungsgesellschaft gesendet werden. Dazu auch Zeugenaussagen, mit deren Fotos. Göteborg hat gezeigt, wie Kamera-Handys auch in der Verbrechensbekämpfung nützlich sein können.

Feuerbekämpfung: Mit dem ersten Notruf können sofort Fotos an die Wache geschickt werden, so dass dort noch vor der ersten professionellen Inspektion des Brandherdes ein erster Überblick über die Situation zur Verfügung steht. Verwendungen auch in der Medizin sind vorstellbar. In Wales etwa senden Landärzte Handy-Fotos von Knochenbrüchen an Krankenhäuser, wo die Verletzungen analysiert werden können. "Vor allem junge Ärzte schätzen diese Unterstützung", sagt Jonathan Davies, Orthopäde am Royal Glasmorgan Hospital in Llantrisant, South Wales.

Quasi grenzenlos sind die journalistischen Kapazitäten. Das wurde etwa kürzlich anlässlich einer der Modenschauen von Paris demonstriert: Das Web-Modemagazin www.showstudio.com konnte weltweit als ein "First" verbuchen, dass es die Modefotos - von Kamera-Handys direkt ins Internet gestellt - nahezu live übertrug. "Wir waren sogar von der Qualität angetan", urteilte nach diesem ,,scoop" Showstudio-Chefredakteurin Penny Martin.

Internet-Paparazzi

Das Online-Service von BBC News akzeptiert seit kurzem HandyFotos von Hörern, die eine fotografische Nachricht zu übermitteln haben - und das kommt schon einer Sensation, wenn nicht einer journalistischen Revolution gleich. "Wir denken, diese neue Nachrichtengebung ist einfach einen Versuch wert", sagt dazu BBC-Reporter Daniel Mermelstein. Und er ergänzt: "Je mehr die Qualität der Handy-Fotos verbessert werden kann, um so größer dürfte ihr Anteil an unseren Nachrichten werden."

Der "Journalismus, wie wir ihn kennen, wird dadurch nicht ersetzt, aber sehr wohl ergänzt", kommentiert Howard Rheingold. Er ist Autor des Buches ,Smart Mobs: The Next Social Revolution" (Verlag Perseus, 2002). "Was sich da entwickelt, kann man Bürger-Journalismus nennen."

Und er führt dafür einige Beispiele an: Ausschreitungen bei Demonstrationen, Beobachtungen von Prominenten in der Öffentlichkeit - "all das", so Rheingold, "kann sofort fotografisch übermittelt und weltweit publiziert werden". Er hat bereits ein neues Wort für jene kreiert, die mit ihren Kamera-Handys Prominenten auflauern: Snaparazzi. Für die Weiterverbreitung solcher Fotos gibt es mit www.celebsnapper.com auch bereits eine Internet-Agentur.

Natürlich kann die neue Technologie auch zu juristischen Folgen führen, wenn etwa Persönlichkeitsverletzungen nachzuweisen sind. Hier wird die Zukunft zeigen, inwieweit die Handy-Fotografie Einschränkungen erfahren wird.

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