Agitation,Gesellschaftskritik, Pop-Ikone

Werbung
Werbung
Werbung

Die RAF im Film - 40 Jahre dokumentierte Veränderung einer gesellschaftlichen Perspektive.

Aus der Studentenbewegung der späten 60er Jahre entwickelte sich 1970 die RAF. Auf die "Gewalt gegen Sachen" folgte bald die "Gewalt gegen Personen", die 1977 im "Deutschen Herbst" ihren blutigen Höhepunkt erreichte. - Filmemacher haben diese Ereignisse nicht nur von ihren Anfängen begleitet, sondern sie auch rückblickend aufgearbeitet. Geändert hat sich im Laufe der 40 Jahre aber die Perspektive.

Gesellschaftliche und filmische Entwicklung der 1960er Jahre sind nicht voneinander zu trennen, spiegelt sich doch im filmischen Aufbruch des Neuen Deutschen Films der gesellschaftliche - und umgekehrt. Schon 1964 erhob in Jean Marie Straubs "Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" eine Frau die Waffe gegen den Mann, der im Dritten Reich ihren Sohn denunziert hatte und nun in der BRD Karriere machte.

Agitprop via Film

Nach dem Tod Benno Ohnesorgs bei einer Demonstration gegen den Schah-Besuch am 2. Juni 1967 eskalierte die Situation. Während die einen unter dem Schlagwort "Gewalt gegen Sachen" ab 1968 mit Anschlägen auf Kaufhäuser und ab 1972 gegen US-Militäreinrichtungen, gegen Kapitalismus und Vietnamkrieg protestierten und sich 1970 in der Stadtguerilla RAF formierten, griffen Harun Farocki und Holger Meins mit Filmen die gesellschaftspolitschen Verhältnisse an. In "Die Worte des Vorsitzenden" (1967) treibt beispielsweise ein aus einer Seite der sogenannten "Mao-Bibel" gefalteter Papierflieger dem Schah und seiner Gattin das Mittagessen ins Gesicht. Und in "Ihre Zeitungen" (1968) verfolgt Farocki als Guerillakämpfer einen (Springer?)zeitunglesenden Mann durch Hinterhöfe. Mit filmischen Mitteln politische Aktionen zu initiieren versuchte zunächst auch Holger Meins. So soll er mit dem Agitprop-Film "Anleitung zur Herstellung eines Molotow-Cocktails" zum Anschlag auf das Springer-Hochhaus in Berlin/West aufgerufen haben. Später schloss er sich der RAF an, wurde 1972 verhaftet und starb 1974 während eines Hungerstreiks in der Justizvollzugsanstalt Wittlich.

Pessimistischer Blick

Während der Kampf auf der Straße sich radikalisierte, war der Schwung der filmischen Protestbewegung Anfang der 70er Jahre aber dahin. Pessimistisch wurde das gesellschaftliche Klima kritisiert. In der Heinrich Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) greift Volker Schlöndorff scharf Boulevardpresse und Terroristen-Hysterie an und in "Das zweite Erwachen der Christa Klages" (1977) zeichnet Margarethe von Trotta eine junge Bankräuberin als Idealistin auf einem Irrweg. Nicht nur mit diesen Filmen, sondern auch mit Reinhard Hauffs "Messer im Kopf" (1978), in dem ein als Terrorist verdächtigter Wissenschafter eskalierende Polizeimaßnahmen und gesellschaftliche Hysterie erfahren musste, wollten die Regisseure laut Schlöndorff "irgendwie eine Gegenöffentlichkeit angesichts der in unseren Augen gleichgeschalteten Medien schaffen; wo wir das Gefühl hatten, alle sind jetzt auf dem Level der Springer-Presse angekommen, und man muss eine andere Stimme erheben."

Eine konkrete Auseinandersetzung mit den aktuellen Ereignissen erfolgte aber noch nicht. Und auch der von einem Kollektiv von zehn Regisseuren gedrehte Episodenfilm "Deutschland im Herbst" (1977/78) thematisiert in erster Linie nicht die Ereignisse des Herbstes 1977 (Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, Entführung der Lufthansa-Maschine nach Mogadischu und Selbstmord von Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin), sondern zeichnet mit höchst unterschiedlichen Zugängen in kurzen Szenen ein Stimmungsbild der krisengeschüttelten BRD.

Während Alexander Kluge eine Lehrerin zeigt, die sich auf der Suche nach der deutschen Geschichte mit den Folgen des Radikalenerlasses konfrontiert sieht, interviewt Rainer Werner Fassbinder, von dem auch der Satz "Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme!" stammt, seine Mutter. Und Volker Schlöndorff setzt sich in einer Spielszene, in der es um die Zensurierung einer Fernsehaufführung von "Antigone" geht, mit der Macht der öffentlichen Medien auseinander.

Parteinahme für die Opfer

Wie sehr sich die Position der deutschen Filmemacher zu den Ereignissen mit der zeitlichen Distanz verändert hat und wie sehr der Terrorismus nicht nur den Staat erschütterte, sondern in seiner Besiegung gerade zur Festigung der BRD beitrug, zeigt ein Vergleich von "Deutschland im Herbst" mit dem 1997 gedrehten TV-Dokudrama "Todesspiel". Im Mittelpunkt von Heinrich Breloers Film steht nicht mehr das einfache Volk, nicht mehr die Sorge um Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten, sondern das Entführungsopfer und die Politiker, allen voran Bundeskanzler Helmut Schmidt, durch deren entschlossenes Handeln - die Akteure ziehen mehrmals Vergleiche zu ihren Weltkriegserfahrungen - die alte Ordnung wiederhergestellt wird. Indem die Kreon-Figuren Schmidt und Staatsekretär Hans-Jürgen Wischnewski zu den Trägern der Handlung werden, wird Schlöndorffs Antigone-Szene praktisch auf den Kopf gestellt.

Thema nicht abgeschlossen

Die Selbstauflösung der RAF im Jahre 1998, mit der ein Schlussstrich unter dieses Kapitel deutscher Geschichte gezogen wurde, scheint nochmals eine Neuorientierung ausgelöst zu haben. An die Stelle einer Parteinahme tritt in Andres Veiels Dokumentarfilm "Black Box BRD" (2002) die parallel geführte, sachliche Nachzeichnung der Biografie des Terroristen Wolfgang Grams und des Vorstandschefs der Deutschen Bank Alfred Herrhausen, der 1993 einem Anschlag der RAF zum Opfer fiel.

Und in Spielfilmen wie "Die Stille nach dem Schuss" (2000) oder "Die innere Sicherheit" (2001) setzen sich die Regisseure Volker Schlöndorff und Christian Petzold nicht mehr mit den terroristischen Aktionen, sondern vielmehr mit der Befindlichkeit ehemaliger Terrorist/inn/en, ihrem Versuch eines Neustarts in der DDR oder ihrem Leben im Untergrund auseinander, während Christopher Roth nicht unpassend zur gegenwärtigen Fun-Gesellschaft in "Baader" (2001) den RAF-Boss zur Pop-Ikone stilisiert.

Abgeschlossen scheint das Thema freilich auch mit "Der Baader Meinhof Komplex" noch lange nicht. Denn Andres Veiel arbeitet gegenwärtig an einer Verfilmung von Gerd Koenens Roman "Vesper, Ensslin, Baader", mit der Veiel die scheinbar bekannte Geschichte komplett neu erzählen und zu den Wurzeln und Anfängen der RAF vordringen will.

Der Autor ist freier Filmkritiker und lebt in Vorarlberg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung