Alles ist möglich - aber nur theoretisch

Werbung
Werbung
Werbung

Die Mediennutzer der Zukunft sind Konsument, Bürger und Inhaber der Rechte gleichzeitig. | Doch wo pendelt sich die Mediennutzung dann ein? Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender zittern vor dem Medienwandel, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Preise für Werbeeinschaltungen fallen in den Keller, immer mehr kleine Medienprodukte, auch im Internet, drängen auf den Markt. Die Krise klassischer Medien ist ein mittlerweile eingeführtes Narrativ.

Die fundamentalen Veränderungen der Medien, wie die Digitalisierung der Produktion, der Übertragung und des Empfangs der Inhalte, sind bekannt. Oft werden sie mit dem Begriff "Konvergenz“ überschrieben, also dem Verschwimmen der Grenzen zwischen bisher getrennten Übertragungswegen, Angeboten, Öffentlichkeiten und zwischen verschiedenen Sphären des Alltags, also zwischen Beruf und Freizeit.

Im Prinzip weiß die Kommunikationswissenschaft nicht viel über den Medienwandel - außer, dass er passiert und dass irgendwie alles "verschwimmt“ und zwar schneller als Sozialwissenschafter mit ihrer beschreibenden Forschung hinterher kommen. Genau diesem Wandel möchte der renommierte Hamburger Kommunikationswissenschafter Uwe Hasebrink darum nachgehen. Er will wissen, wie sich die "Mediennutzung in konvergierenden Medienumgebungen“ wandelt. Was tun die Zuseher oder Leser mit den Medien und wie beeinflussen sie deren zukünftige Gestalt.

In Wien stellte Hasenbrink diese Woche die Ergebnisse seines Forschungsprojektes vor. Sein Plädoyer: Die Mediennutzer machen den Medienwandel. Die ehemals bloßen Empfänger von Medienangeboten emanzipieren sich zu aktiven Mediennutzern und gestalten den Wandel mit. Die Konsequenz aus konvergierenden Medienumgebungen, also der Tatsache, dass mögliche Sichtweisen auf Medien verschwimmen, ist für Hasebrink: "Eine Kartierung des Medienwandels bedarf einer differenzierten Beschreibung der Nutzerperspektive.“

Konsument, Bürger, Rechtebesitzer

Die Mediennutzung ändert sich nicht nur aufgrund des Wandels der Medien, sondern auch durch jenen gesellschaftlicher Einflussfaktoren. Die Lebensstile, die Demografie und Tagesabläufe wandeln sich rasant. "Das Neue der Mediennutzung besteht nicht darin, dass ein mehr oder weniger großer Teil der Bevölkerung die jüngste technische Innovation benutzt, es besteht vielmehr darin, wie Nutzer technische Möglichkeiten für sich nutzbar machen“, so Hasebrink.

Uwe Hasebrink möchte dem Nutzer daher verschiedene Nutzerrollen zuschreiben. Als Konsument, Bürger und als Rechteinhaber sind Nutzer auf der Suche nach verschiedenen Inhalten. In Medienangeboten suchen die Menschen Informationen, denn nach wie vor gilt: "Gesellschaftliche Anforderungen, die an uns gestellt werden, lösen wird zum Teil mit Hilfe von Medienangeboten“, wie Hasebrink konstatiert.

So suchen Nutzer als Konsumenten nach Belohnung und Unterhaltung, als Bürger fragen sie nach dem kulturellen und öffentlichen Wert in Medieninhalten. Als Rechteinhaber fragen sie, "welche Medien und Medieninhalte verletzen meine Rechte?“

Die Art und Weise, wie sich Menschen diese Informationen zusammenstellen, möchte Hasebrink systematisch beschreiben. Er nennt sein Modell "Medienrepertoires“, möchte also wissen, "welche Arten von Informationen stellen sich Nutzer und Nutzergruppen zusammen“ und wie verändern sich Informationsrepertoires über die Zeit?

Menschen suchen laut Hasebrink zunächst "ungerichtete Informationen“. Da es als Lebewesen notwendig ist, Fressfeinden, Gefahren und Schäden auszuweichen, aber auch Chancen zu erkennen und zu nutzen, wird die allgemeine Umwelt beobachtet. Klassische Tageszeitungen und Nachrichtensendungen wie die Zeit im Bild decken ein solches Informationsbedürfnis traditionell ab. Darauf bauen speziellere "thematische Interessen“ auf, also die Entscheidung, "darüber möchte ich mehr wissen“.

Noch spezieller sind "gruppenbezogene Bedürfnisse“, also die Suche nach jenen Informationen, die Menschen, welche einem wichtig sind, für "In“ oder "Out“ halten. Dafür eignen sich Social Networks perfekt, denn die Algorithmen von Facebook schlagen den Nutzer jene Links vor, die bereits im Freundeskreis Gefallen gefunden haben.

Der am meisten eingegrenzte Fall der Informationssuche sind "konkrete Problemlösungsbedürfnisse“. Wenn also die Steuererklärung ansteht oder das Auto kaputt ist, dann sind Informationen desto wertvoller, je konkreter sie ein Problem lösen.

Medium korrespondiert mit Biografie

Mit diesen vier Kategorien wandeln sich die Zielgruppen entsprechend vom Massenpublikum zu gezielten Einzelpersonen. Die Gewichtung verschiebt sich dabei, bereits seit den 80er Jahren, von allgemeinen zu individuellen Interessen, so Hasebrink.

Dabei finden auch biografische Verschiebungen statt. So sind in der Jugend gruppenbezogene Bedürfnisse wichtig. Wollen junge Menschen darüber im Bilde sein, was in ihrer sozialen Umwelt Relevantes passiert, dann tun sie das in Social Networks. In Social Networks werden schließlich besonders jene Links hoch eingeordnet, die bereits unter Freunden eine hohe Zahl an Klicks erreicht haben. Zur Zeit der Ausbildung und des Studiums verschieben sich die Interessen eher hin zu thematischen Inhalten. Es stellt sich die Frage: "Wie komme ich genau an jene Fach-Informationen, die mir in diesem Moment weiterhelfen?“

In der klassischen Familiensituation sieht Hasebrink hingegen die klassischen Medien noch am stärksten verwurzelt. Die Unterhaltungen über das Weltgeschehen auf einer allgemeinen Ebene haben hier immer noch die größte Bedeutung.

Sein Fazit ist dementsprechend: Nutzer sind mehr als nur Konsumenten von Medienangeboten. Sie stellen Ansprüche an die Angebote, als Bürgerinnen und Bürger sowie als Inhaber von Rechten. Die Gegenüberstellung von "alten“ und "neuen“ Medien ist dabei wenig aufschlussreich, denn die Nutzer kombinieren Angebote aus dem gesamten Spektrum ihren Bedürfnissen entsprechend.

Die künftige Mediennutzung ist davon geprägt, dass im Prinzip alles zu jeder Zeit möglich ist. Die Nutzer werden vor diesem Hintergrund aber selbst gewählte Bindungen an bestimmte Medienangebote eingehen. Im Dschungel des Informationsüberflusses wird die "selbst gewählte Überraschung“ wieder wichtiger. "Ich weiß, meine Tageszeitung bringt eine Mischung aus bekannten Angeboten, die mir gefallen, und neuen Informationen“, so Hasebrink. Das Vermeintliche "anything goes“ wird ersetzt durch souveräne Bindungen der Nutzer an gewohnte Medienangebote. Anders ist der Alltag nicht mehr zu strukturieren.

An diesem Prozess der neuen Strukturierung nehmen nun aber marktmächtige Akteure wie Google oder Facebook teil. Sie definieren zukünftige Bindungen mit ihren Algorithmen und Suchfunktionen.

Gruppen finden sich im Social Web

So werden klassische Angebote wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht genutzt, nur weil er verfassungsmäßig gefordert wird. Vielmehr vermischt sich der öffentliche Diskurs, der zum Beispiel in der Zeit im Bild stattfindet, mit dem privaten Diskurs, wie man ihn im Social Web findet. Wer in Zukunft größere Nutzergruppen erreichen möchte, der muss viele Einzelpersonen über ihre gruppenbezogenen Bedürfnisse im Social Web abholen. Dann ist es letztendlich auch egal, ob die Nachrichtensendung um 20:00 im TV oder als Podcast auf dem Handy gesehen wird.

"Unser demokratischer Anspruch an die Bürger kann nicht darin liegen, ob sie eine gewisse Zeit am Tag lang diese oder jene Nachrichtensendung sehen.“ Wir müssen dennoch sicherstellen, dass die bislang für die Demokratie konstituierende Funktionen der Massenmedien adäquat ersetzt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung