Ansichten eines Vaters

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Im Dokumentarfilm "My Architect - A Son's Journey" sucht Regisseur Nathaniel Kahn das Wesen seines übergroßen Vaters Louis Kahn zu fassen.

Louis I. Kahn is found dead": Zeitungsausschnitte bilden den kargen Ausgangspunkt der filmischen Spurensuche "My Architect - A Son's Journey". Regisseur Nathaniel Kahn war elf Jahre, als sein Vater 1974 auf der Pennsylvania Station an Herzinfarkt starb. Einsam, unerkannt, an einem anonymen Ort, die Adresse im Pass hatte er ausgestrichen. Schicksalhaft stimmiges Ende eines unbehausten Lebens, das in radikaler Hingabe der Architektur geweiht war.

Kahn strebte nach dem Absoluten, was ihn in den Olymp der weltbesten Architekten erhob. Ebenso grandios scheiterte er am Privatleben. Er hinterließ moderne Bauten zeitloser Schönheit und Spiritualität, enorme Schulden, Gattin und Tochter, zwei uneheliche Frauen mit je einem Kind. Der einzige Sohn folgt jeder Lebensspur. Architektur, Nutzer, Erinnerung, der Mann, der den Toten fand, Stars wie Philip Johnson, Frank Ghery, Mitarbeiter, Familie: alles wird befragt. "Der Geist Gottes ist in seinem Werk", sagt ein verwandter Rabbiner. Nach diesem Prinzip baute der Jude Kahn - sein Wesen ist in seiner Architektur. Mächtige, lichtdurchflutete, skulpturale Sichtbetonbauten, die Schalungsbretterspuren so offen zeigen wie Kahn die Narben im Gesicht, seit er als Dreijähriger ins Feuer gegriffen hat.

In einer der poetischsten Szenen eignet sich Nathaniel auf Rollschuhen ein Meisterwerk - das "Salk Institute for Biological Studies" - und damit ein Stück Kindheit wieder an. Kahns Charisma wird in Archivmitschnitten und Erinnerungen spürbar. Eine Italien-Griechenland-Ägypten-Reise gab ihm 1951 die Vision, moderne Bauten von archaischer Kraft zu schaffen. "Für ihn war Arbeit alles, er konnte sich nicht auf Beziehungen verlassen", sagt Anne Tyng. Sie war ihm geheime Liebe und Stütze beim Trenton Bathhouse, wo er sich erstmals verwirklichte. Tochter Alexandra gebar sie freilich im Ausland. Auch Nathaniels Mutter Harriet Pattison arbeitete im Büro, sie musste verschwinden, wenn die Ehefrau kam. Dennoch sprechen heute noch beide bewegt und fasziniert von Kahn. Im postum vollendeten Capital Complex in Dhaka und in der Verehrung, die er in Indien genießt, scheint Kahn am Ende gefunden.

Die tiefe Sehnsucht nach dem Vater ist Antrieb, Stärke und Schwäche dieser Dokumentation, die die Nähe zu einem Genie sucht, seine Übergröße aber nicht überwinden kann. Zwischen Distanz und Nähe von Archivmaterial, Erinnerung, teils sehr emotionalen Interviews und Architekturaufnahmen wird Louis Kahn nie ganz fassbar. Doch die Persönlichkeitszipfel, die der Sohn erwischt, sind allemal sehenswert.

My Architect - A Son's Journey

USA 2003. Regie und Drehbuch: Nathaniel Kahn. Verleih: Polyfilm. 116 Min.

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