Atmosphäre ist wichtig

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Die 23-jährige Marie Kreutzer wurde auf der diesjährigen Berlinale mit "Die Vaterlosen“ zum österreichischen Shootingstar. Ein Gespräch über junges Filmemachen in Österreich und die Aufregung, mit einem prominenten Ensemble zu drehen.

* Das Gespräch führte Jürgen Belko

Heimische Nachwuchsfilmerinnen gibt es viele, nur wenigen gelingt aber der Schritt zur anerkannten Regisseurin - geschafft hat es Marie Kreutzer. Die 1977 geborene Grazerin hat nicht nur die Wiener Filmakademie mit Auszeichnung absolviert und sich bereits als Kurzfilm-Regisseurin einen Namen gemacht, sondern gleich mit ihrem Langspielfilm-Debüt "Die Vaterlosen“ Publikum und Kritiker bei der Berlinale überzeugt. Die Österreich-Premiere ihres Familiendramas zählt auch zu den Highlights des Diagonale-Programms.

Die Furche: Trotz erfolgreicher Frauen wird das "Filmland Österreich“ in erster Linie mit männlichen Namen in Verbindung gebracht. Wieso?

Marie Kreutzer: Das frage ich mich manchmal auch. Es ist generell eine Katastrophe, dass es nur so wenige bekannte Regisseurinnen gibt. Der erste Regie-Oscar für eine Frau wurde erst letztes Jahr vergeben - an Kathryn Bigelow für "The Hurt Locker“: eigentlich ein Wahnsinn! Frauen haben es in der Filmbranche immer noch schwerer. Es gibt aber genug talentierte Filmemacherinnen, die kommen nur nie zum Zug.

Die Furche: Wie schwierig ist es generell für junge Nachwuchsfilmer zu reüssieren?

Kreutzer: Sehr, denn es gibt viele, die Filme machen wollen, aber nur wenig Geld und Möglichkeiten dazu. Ich hatte den Vorteil, die Filmakademie zu besuchen und bin so in die heimische Filmstruktur hineingewachsen, das hilft natürlich. Das größte Problem ist Geld für eine Produktion aufzustellen - da herrscht ein harter Wettbewerb. Leicht ist es also nicht und schnell geht es auch nicht!

Die Furche: Haben die internationalen Erfolge heimischer Filmschaffender etwas verändert?

Kreutzer: Das kann ich schwer beurteilen, da ich erst mit diesem Aufschwung in die Kinofilmwelt gekommen bin. Atmosphärisch und oberflächlich betrachtet glaube ich aber schon, dass sich das positiv ausgewirkt hat. Wenn österreichische Filme internationale Preise gewinnen, ist das natürlich super für ein so kleines Land mit wenigen Film-Produktionen. Rein ökonomisch hat sich auf der Förderebene trotz der Aufbruchstimmung leider nicht sehr viel getan.

Die Furche: Woran messen Sie persönlich den Erfolg Ihrer Filme?

Kreutzer: Ob sie Menschen berühren. Wenn ich im Kino sitze und merke, dass das Publikum sich auf den Film einlässt. Als Regisseurin arbeitet man ja nicht zum Selbstzweck. Daher hoffe ich, dass sich möglichst viele Menschen "Die Vaterlosen“ ansehen und davon berührt sind - wenn sie dann auch noch ein Kinoticket kaufen, umso besser. Der größte Erfolg ist, wenn am Ende ich, das Publikum und die Produktionsfirma zufrieden sind …

Die Furche: Hat Ihr ursprünglicher Berufswunsch Schriftstellerin damit zu tun, dass Ihr Film auf einer literarischen Vorlage basiert?

Kreutzer: Nein, überhaupt nicht. Der Film ist auch keine Adaption des Bühnenstoffs - Tschechows "Platonow“ diente mir nur als Inspiration für die Figurenkonstellation und die Atmosphäre des Films. Handlung und Setting sind sehr verschieden, der Film hat mit dem Theaterstück eigentlich nur ganz wenig zu tun. Mir hat der Ensemble-Charakter, die Idee, dass unterschiedliche Menschen ein gemeinsames Wochenende in einem Haus verbringen, sehr gut gefallen. Dieses Motiv habe ich ebenso wie einige Themen, die bei Tschechow vorkommen, ins Drehbuch einfließen lassen.

Die Furche: Wie hat sich die Arbeit zu "Die Vaterlosen“ von Ihren bisherigen Kurzfilmen unterschieden?

Kreutzer: Vor allem die äußeren Strukturen sind bei einer Kinofilm-Produktion völlig andere. Auch die Arbeit am Drehbuch ist viel aufwändiger als bei Kurzfilmen. Das Wichtigste aber ist, sich nicht von der Größe der Aufgabe und der Gesamtverantwortung, die man hat, beherrschen zu lassen, sonst kann man nicht frei und kreativ arbeiten. Für mich ist immer der Film, den ich gerade mache, der wichtigste. Die Größe der Aufgabe darf nie Thema während der Arbeit am Set sein.

Die Furche: Sie haben das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Was war die größere Herausforderung?

Kreutzer: Definitiv die Arbeit am Drehbuch. Die größte Schwierigkeit war, für das komplexe Stück eine Struktur zu finden, die spannend ist und der man als Zuseher folgen möchte. Generell sind Ensemblefilme, noch dazu wenn sie wie "Die Vaterlosen“ auf zwei Zeitebenen spielen, viel schwieriger zu erzählen als eine Geschichte mit nur einem Helden. Die Regiearbeit ist dagegen viel lebendiger und findet mehr im Moment statt. Mir war vor allem das atmosphärische Setting des Films sehr wichtig. Ich benötige zuerst immer ein klares, atmosphärisches Bild und habe dann die Figuren vor Augen - erst danach überlege ich, wie die Handlungsebene aussehen könnte.

Die Furche: War es schwierig, das Schauspieler-Ensemble für den Film zu casten?

Kreutzer: Nein, die Entscheidung für die Besetzung der einzelnen Rollen ist rasch gefallen. Zu Beginn war ich nicht sicher, ob man bekannte Schauspieler wie Marion Mitterhammer und Johannes Krisch überhaupt bekommt. Beiden hat mein Drehbuch aber gefallen und sie haben sich darauf gefreut, gemeinsam mit den anderen Darstellern vor der Kamera zu stehen.

Die Furche: Ist die Zusammenarbeit mit Profi-Schauspielern einfacher oder schwieriger als mit Laien?

Kreutzer: Professionelle Darsteller bereiten sich anders auf ihre Rolle vor, stellen andere Fragen, wollen andere Regieanweisungen haben. Das Wichtigste bei jedem Dreh, egal ob mit Profis oder Laien, ist aber die gemeinsame Arbeit auf Augenhöhe - von bekannten Namen darf man sich nicht einschüchtern lassen. Wenn ich während der Dreharbeiten unsicher war, habe ich versucht nicht daran zu denken, dass einige Ensemble-Mitglieder mehr Erfahrung haben als ich. Alle Darsteller haben mir von Anfang an ihr Vertrauen geschenkt und mir gezeigt, dass sie mich als Regisseurin ernst nehmen - was die Zusammenarbeit einfach gemacht hat.

Die Furche: Wie viel Spielraum haben Sie den Schauspielern bei der Umsetzung ihrer Rollen gelassen?

Kreutzer: Mir war schon wichtig, dass sie möglichst nahe am Drehbuch bleiben - es hat ja einen Grund, weshalb die Dinge so sind, wie ich sie geschrieben habe. Die konkrete Umsetzung, wie gesprochen wird beispielsweise, habe ich aber den Darstellern überlassen. Sie haben letztlich ja auch die Verantwortung über ihre Filmfiguren. Ich habe versucht, nicht jedes winzige Detail zu inszenieren, sondern jedem in der Interpretation seiner Rolle möglichst freie Hand zu lassen.

Die Furche: Wie würden Sie Ihren Regiestil beschreiben?

Kreutzer: Ich habe klare und konkrete Vorstellungen von dem, was ich möchte. Trotzdem versuche ich, wie gesagt, den Schauspielern ihre Rolle soweit es geht zu überlassen und nicht alles vorzugeben. Das funktioniert aber nur, wenn im Vorfeld allen klar ist, wohin die Reise gehen soll. Natürlich gibt es dann auch Momente, in denen man als Regisseur einschreiten muss, damit die Geschichte nicht in eine falsche Richtung läuft. Was ich allerdings nicht mache, ist Schauspieler einfach in eine Szene zu stellen und zu sagen: "Du musst das jetzt so oder so machen“ - die Interpretation einer Rolle muss von innen heraus kommen.

Die Furche: Gibt es ein Erfolgsrezept für Nachwuchsfilmer?

Kreutzer: Nein, man muss einfach immer am Ball bleiben. Filme machen zu wollen allein ist zu wenig, man muss lernen, sich selbst richtig einzuschätzen und bereit sein, auch kleine Schritte zu machen. Ich habe immer gedreht, weil es mir Spaß gemacht hat und ich so Erfahrung sammeln konnte - das hat mir sehr geholfen. Die Grundvoraussetzung für diesen Beruf ist, dass man aus sich selbst schöpft, etwas Eigenes macht und nicht versucht, einfach etwas zu kopieren.

Zum dritten Mal findet die Diagonale unter der Leitung von Barbara Pichler statt, deren Vertrag mittlerweile bis 2014 verlängert wurde. 2011 dauert das Festival von 22. bis 27. März. Seit nunmehr 13 Jahren ist die Stadt Graz Gastgeberin für die Leistungsschau und den Treffpunkt des österreichischen Films. Barbara Pichlers Statement zum diesjährigen Festivalprogramm: "Abgesehen von dem sehr umfangreichen Jahresrückblick zeigt sich im Programm der Diagonale 2011 eine große Bandbreite von filmischen Zugängen, sowohl von etablierten Namen wie auch von talentierten jungen Filmschaffenden, die das österreichische Kino mit ihren individuellen Erzählweisen und Perspektiven bereichern. Das produktive Aufeinandertreffen verschiedenster filmischer Formen sowie die persönliche Auseinandersetzung mit den Filmemacher/innen und ihren Arbeiten stehen dabei im Zentrum des Festivals. Das Ziel der Diagonale ist ein lebendiger Bezug zwischen den Filmen und dem Publikum, ein offener, hoffentlich immer wieder auch überraschender Diskurs.“ Etwa 25.000 Besucher wies die Diagonale zuletzt aus, die Film- und Medienbranche ist mit einem 1300-köpfigen Fachpublikum vertreten. (ofri)

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